Gründer 12.03.1999, 17:20 Uhr

Selbständig und doch abhängig

Immer mehr frühere Angestellte gelten als Scheinselbständige, weil sie von nur einem Kunden abhängig sind. Diese Abhängigkeit versucht der Gesetzgeber nun mit einem neuen, recht komplizierten Gesetz zu regeln.

Fluch oder Segen? Ein neues Gesetz regelt die sog. „Scheinselbständigkeit“. Während die privaten Rentenversicherer und viele unfreiwillig Outgesourcte daran Gefallen finden, sehen andere ihre Existenz bedroht.
Seit zwei Jahren kein Urlaub, sechs oder sieben Tage arbeiten pro Woche, ständig einsatzbereit trotz schmerzenden Rückgrats: Der Elektroingenieur Harald Fuchs (Name geändert) lebt mit einer Ausbeutung wie im Frühkapitalismus. Mit einem Unterschied: Seine Situation gefällt ihm, zumindest zur Zeit. Denn der 42jährige fühlt sich als Selbständiger. Allerdings fehlen ihm sämtliche Attribute, die mit dieser Stellung normalerweise verbunden sind: Er hat keine Angestellten, weder Büro noch Lager. Und seit drei Jahren nur einen einzigen Auftraggeber, einen Maschinenbau-Konzern. Damit gehört Fuchs in eine Art Kaste des Unternehmertums, die Experten als „Scheinselbständige“ bezeichnen.
In den letzten Jahren ist die Form des abhängigen Ein-Mann-Betriebs in fast jeden Wirtschaftszweig vorgedrungen. Busfahrer und Kranführer tragen sich in die Melderegister der Gewerbeämter ein, auch selbständige „Ladenregalauffüller“, die im Einkaufszentrum Tomatendosen nachschieben. Sogar Ein-Mann-Fahrrad-Kurierdienste strampeln sich am Markt ab. Besonders verbreitet ist die Scheinselbständigkeit im Versicherungs-, Speditions- und Baugewerbe. Die Folge: Immer mehr frühere Angestellte gelten als selbständig und verlassen die Rentenversicherung. Sie müßten nun selbst für das Alter vorsorgen, etwa mit einer privaten Kapital-Rentenversicherung. Doch viele können das Geld dafür nicht aufbringen, genausowenig Rücklagen bilden für Urlaub, Krankheit oder Arbeitslosigkeit.
Die rot-grüne Koalition hat ein Gesetz beschlossen, das am ersten Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist und die Scheinselbständigkeit bekämpfen soll. Das Gesetz definiert erstmals, was ein Scheinselbständiger überhaupt ist. Es sieht dafür vier Kriterien vor, von denen mindestens zwei erfüllt sein müssen. Scheinselbständig ist also, wer:

  • Mitarbeiter beschäftigt, die nicht sozialversicherungspflichtig sind,
  • hauptsächlich oder nur für einen Auftraggeber tätig ist,
  • einen Auftraggeber hat, der den „Selbständigen“ in seine eigene Arbeitsorganisation eingliedert und bestimmt, wo und wann der Selbständige seine Arbeit erledigt,
  • nicht aufgrund eigener unternehmerischer Tätigkeit am Markt auftritt, etwa Werbung für sein Unternehmen treibt und sich um andere Auftraggeber bemüht

Kompliziert ist allerdings nicht allein die Definition der Scheinselbständigkeit – verwirrender wird es noch, wenn es um die Folgen geht. Denn hier können Sozialversicherungsrecht und Arbeitsrecht auseinanderklaffen. So ist jemand, der nach der neuen Definition scheinselbständig ist, vom Sozialversicherungsrecht her gestellt wie ein Arbeitnehmer: Der Arbeitgeber muß, wie bei einem Angestellten auch, die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge zahlen, also Beiträge für die Kranken-, Arbeitslosen, Renten- und Pflegeversicherung. „Für das Arbeitsrecht hat das aber keine unmittelbaren Auswirkungen“, erläutert der Bremer Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Däubler. Wenn die Sozialversicherungspflicht feststehe, sei damit ja nicht automatisch ein Arbeitsvertrag ausgestellt. Der müsse dann erst vor einem Arbeitsgericht erstritten werden. „Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber wohl eher ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen aufgelegt“, seufzt Däubler.
Burkhard von Seggern, Arbeitsrechtsexperte beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Düsseldorf, rät den Scheinselbständigen, die nicht mit ihrem Status zufrieden sind, sich an die Krankenversicherung zu wenden: „Die Krankenversicherung muß den Schutz der Scheinselbständigen durchsetzen, zum Unternehmen gehen und die Situation klären. Das entbindet die Scheinselbständigen davon, selbst bei ihrem Arbeitgeber Rechte einfordern zu müssen“, erläutert er. Der Arbeitgeber müßte dann im Zweifel sogar noch für die Vergangenheit die Sozialversicherungsbeiträge nachentrichten. Er wird daher eventuell versuchen, den Scheinselbständigen zu überreden, sich als echter Selbständiger auszugeben. „Da sollte man sich nicht unter Druck setzen lassen und sich auf die Wahrheitspflicht gegenüber der Krankenkasse berufen“, meint von Seggern.
Er hält die Neuregelung insgesamt für eine Verbesserung. „Selbst für Existenzgründer ist es jetzt einfacher, denn die Arbeitgeber haben nun einen größeren Anreiz, mit Kleinstunternehmern klare Absprachen zu treffen“, sagt er. Ganz anderer Ansicht ist Alfred Wiskirchen vom Bundesverband Deutscher Arbeitgeber (BDA) in Köln: „Die Neuregelung ist ein Bärendienst für den Arbeitsmarkt. Viele bisher eindeutig Selbständige gelten in Zukunft als abhängig Beschäftigte. Die Existenzgründung wird schwieriger – dabei sind es doch gerade die kleinen Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen!“
Arbeitsrechtler Däubler relativiert das: „In Frankreich ist, übertrieben gesagt, jeder Schuhputzer sozialversicherungspflichtig. Selbständig ist er trotzdem – das muß ja kein Widerspruch sein!“ Auf jeden Fall entlastet die neue Regelung die Allgemeinheit. Denn Scheinselbständige, die keine Aufträge mehr bekamen, waren in der Vergangenheit oft Fälle für die Sozialhilfe, weil sie als Selbständige nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert waren.

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Der unternehmerische Spielraum für Selbständige ist gering, wenn sie von nur einem Auftraggeber abhängig sind.

 

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