Türkische Bildungswege
So „türkisch“ sind die Neuen nun auch wieder nicht.
Computer und Internetanschluss an jedem Tisch, eine „intelligente“ Tafel mit Schrifterkennungssoftware vorne: Alp Sarac führt stolz die frisch renovierten Klassenzimmer vor. Früher war hier das Arbeitsamt Köln-Buchheim. Seit Beginn des Schuljahres ist es das Privatgymnasium „Dialog“.
Gegründet wurde es vom Türkisch-Deutschen Akademischen Bund (TDAB). Dessen Mitglieder brauchten erst gar nicht die Pisa-Studie, um zu wissen, dass ihre Kinder im deutschen Bildungssystem besonders benachteiligt sind: „Das habe ich doch selbst durchgemacht“, sagt der Diplom-Kaufmann Alp Sarac.
Schulranzen sind überflüssig. Von 8 Uhr bis 18 Uhr sind die Kinder in der Schule, machen dort ihre Hausaufgaben, kümmern sich um den Botanischen Garten oder haben Sport. In zwei zusätzlichen Stunden „Praxis Naturwissenschaften“ pro Woche experimentieren sie im Labor.
Kantine und Nachmittagsbetreuung kosten die Eltern 180 € im Monat. Da „Dialog“ als staatlich anerkannte Ersatzschule gilt, übernimmt der Staat wie bei anderen Privaten 94 % der Betriebskosten. Den Rest finanziert der TDAB durch Mitgliederbeiträge, Spenden und den Erlös aus seinen Nachhilfezentren. Rund ein Drittel der Mitglieder seien mittelständische Unternehmer, sagt Sarac, und hätten die moderne Ausstattung gesponsert. Eine Schule nur für die Elite soll „Dialog“ nicht sein: Vier Familien leben von Hartz-IV und zahlen keine Gebühren.
Private türkische Gymnasien gibt es in Berlin, Mannheim, Paderborn, Stuttgart und Hannover. Auch dort steigen die Anmeldezahlen, die Einrichtungen eröffnen weitere Klassen sowie Internate oder nehmen einen Realschulzweig dazu. Die Gründungsväter und -mütter folgen dem Trend, sich die Traumschule selbst zu erschaffen: kleine Klassen, engagierte, ausgesuchte Lehrer, kaum Unterrichtsausfall, musische und technische Nachmittagsangebote und Extrastunden in Deutsch und Englisch. Einige haben Schuluniformen eingeführt. Türkisch ist als zweite Fremdsprache anerkannt, wie Latein oder Französisch.
Türkischsprachig oder auch nur bilingual sind die Privatschulen also nicht: Der Unterricht erfolgt auf Deutsch und nach deutschen Lehrplänen. Das ist die Voraussetzung dafür, als Ersatzschule anerkannt zu werden und die Kinder zur allgemeinen Hochschulreife zu führen. Die Mannheimer SEMA verbietet gar, in der Pause Türkisch zu plaudern.
„Wir würden gern zwei- oder dreisprachigen Unterricht erteilen“, sagt Sarac von „Dialog“. Das Problem seien die Pädagogen. Besonders in den Naturwissenschaften gebe es kaum solche, die den Stoff auf Deutsch, Englisch und Türkisch zu erklären vermochten.
Die künftigen Abiturienten werden vielleicht auch zu mehr Studierenden in den Ingenieurwissenschaften beitragen. Deutsch-Türken lernen gern etwas „Handfestes“, das Prestige und gutes Einkommen sowie die Option der Selbstständigkeit verspricht: Arzt, Anwalt oder eben Ingenieur.
Im Wintersemester 2006/7 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes insgesamt 14 910 Bildungsinländer türkischer Herkunft an den Hochschulen eingeschrieben, davon rund 3800 in einem Ingenieurwissenschaftlichen Fach. Doch es sind nur wenige, die es durch das Nadelöhr des Schulsystems bis zum Abitur schaffen.
In der deutsch-türkischen Bildungslandschaft gibt es längst auch eine Privathochschule: OTA in Berlin. Präsidentin ist Prof. Rita Süssmuth. Der Multimillionär Erman Tanyildiz hatte sein Ingenieur-Studium an der TU Berlin in den 70er Jahren abgeschlossen und sein Vermögen mit Catering, Schweißtechnik und Weiterbildungsangeboten gemacht.
Aus Empörung, dass die damalige Schröder-Regierung Fachkräfte mit Greencard importieren wollte statt die hiesigen Migrantenpotenziale zu fördern, gründete er 2002 mit rund 6 Mio. € eine kleine Hochschule. OTA hat zurzeit 160 Studierende in zwei Bachelorstudiengängen und einem Masterstudiengang. Es bestehen Partnerschaften mit Universitäten in Istanbul.
Doch nur etwa ein Viertel der OTA-Zöglinge kommen aus eingewanderten Familien. Immerhin kostet das Studium 700 € im Monat. Um begabten Migranten-Nachwuchs zu fördern, sollte ein Stipendienprogramm installiert werden. Das ist noch nicht gelungen. Im Herbst kaufte der Heidelberger Bildungs- und Gesundheitskonzern SRH die Mini-Uni und will die Studienplätze in den nächsten drei Jahren verdoppeln. Dass türkische Eltern bereit sind, in Bildung zu investieren, haben sie bewiesen. M. JORDANOVA-DUDA
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