Schulabschluss und Gesellenbrief
Die Meinungen, ob das Pilotprojekt Duale Oberschule ein Erfolg ist oder nicht, gehen zwischen Landesministerium und Gewerkschaft auseinander.
Spezialwissen und eingepaukter Lehrstoff sind in der Wirtschaft schon lange nicht mehr gefragt. Auch Haupt-, Real- und Berufsschüler müssen sich vielseitiger als bislang für die Arbeitswelt wappnen. Einer neuen Lern- und Unterrichtskultur hat sich deswegen die Duale Oberschule (DOS) verschrieben, die in Rheinland-Pfalz seit fünf Jahren als Pilotprojekt an elf Schulen erprobt wird.
„Es ist der erste Schulversuch dieser Art in Deutschland“, erklärt der Dortmunder Professor für Berufspädagogik, Bernd Ott. Die DOS ermöglicht in einem Stufenmodell nicht nur sämtliche Abschlüsse, vom Hauptschulabschluss bis zum Fachabitur. Der neue Schultyp hat auch die herkömmlichen Haupt- und Realschulinhalte weiter entwickelt und ganzheitlich miteinander verzahnt: Praktisches Lernen und der Erwerb von Schlüsselqualifikationen stehen gleichberechtigt nebeneinander.
So ist Teamarbeit für die Achtklässler der Dualen Oberschule im südpfälzischen Landau längst kein Fremdwort mehr. Ein „technisches System zur nachhaltigen Ver- und Entsorgung“ sollen sie gemeinsam planen, entwickeln und herstellen. Anders als an herkömmlichen Haupt- und Realschulen, bekommen die Schüler keine Vorgaben. „Wir haben uns für ein Windrad entschieden“, berichtet die 13-jährige Annette. „Den Plan dazu haben wir selbst gemacht“, ergänzt ihr Mitschüler Alexander selbstbewusst.
Dass ein Windrad umweltfreundlich ist und man damit „mehr Strom herauskriegt als mit einem Wasserrad“ gehört zu den Dingen, über die sich die Schüler vorher informiert haben. „Praxis in der Schule“, heißt das neu entwickelte Kernfach der DOS, das die Berufsbereiche Naturwissenschaft und Technik, Wirtschaft und Verwalten sowie Hauswirtschaft und Sozialwesen aufgreift. Die Lernaufgaben, mit denen die Schüler sich auf den Berufsalltag vorbereiten, aber auch Themen mit „gesellschaftlicher Bedeutung“ in Projektarbeit durchdringen, werden in Zusammenarbeit mit den berufsbildenden Schulen entwickelt. Im Zuge der Projekte können die Schüler auch ihre im so genannten „Sockeltraining“ erworbenen Lernmethoden erproben. Auch die Schlüsselqualifikationen werden „benotet“: in einer vom normalen Zeugnis getrennten Verbalbeurteilung.
„Das Fach ist ein Renner“, sagt die Konrektorin der Landauer DOS, Ingrid Baumgärtner-Schmidt. Bereits in der sechsten Klasse können die DOS-Schüler im Wahlpflichtbereich „Praxis in der Schule“ oder Französisch wählen. Nach der Orientierungsstufe entscheidet die Klassenkonferenz, ob ein Schüler die Profilstufe 1, die dem Hauptschulniveau, oder die Profilstufe 2, die dem Realschulabschluss entspricht, besucht. Um Durchlässigkeit zu erreichen, ist nach jedem Schuljahr ein Wechsel der Profilstufe möglich. Außerdem wird „Praxis in der Schule“ stufenübergreifend unterrichtet.
Bereits nach dem neunten Schuljahr können die Schüler der Profilstufe 2 an eine kooperierende Berufsschule in den Bildungsgang Duale Oberschule wechseln und nach zwölf Jahren die Schule mit Gesellenbrief und Realschulabschluss verlassen, ein Novum in der deutschen Schullandschaft. Wer ein weiteres Jahr investiert, kann in der Qualifikationsstufe zusätzlich das Fachabitur absolvieren.
Obwohl das Konzept überzeugt, machen bislang nur wenig Schüler vom speziellen DOS-Angebot Gebrauch. Nur sieben aus dem im Schuljahr 1995/96 gestarteten ersten Jahrgang haben sich in Landau für den Bildungsgang Duale Oberschule entschieden. „Ein mageres Ergebnis“, findet Baumgärtner-Schmidt.
Auf die niedrigen Zahlen bezieht sich auch die Kritik der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Diese Schule ist gescheitert“, bilanziert Tilman Boehlkau von der GEW Rheinland-Pfalz. Boehlkau hält die DOS im zersplitterten Schulsystem des Landes schlicht für überflüssig: „Das pädagogische Ziel hätte man auch an den bestehenden Schulen erreichen können.“ Außerdem werde die neue Schulform nicht flächendeckend angeboten und belaste die Berufsschulen zudem durch zusätzliche Schüler.
Ein derart vernichtendes Urteil hält die rheinland-pfälzische Bildungsministerin, Doris Ahnen, für nicht angemessen. Mit rund 5000 Schülern verzeichne das auf zehn Jahre angelegte Projekt, in das das Land jährlich 500 000 DM investiert, „ordentliche Zahlen“, findet die SPD-Politikerin. Möglicherweise muss Ahnen den Dualen Oberschulen in Zukunft allerdings stärker unter die Arme greifen. „Viel, viel Öffentlichkeitsarbeit“, hält Konrektorin Baumgärtner-Schmidt für unerlässlich, um die neue Schulform zu etablieren. Und hier sei vor allem das Land gefragt. JUTTA WITTE
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