Mathematik – alles andere als ein Zuschauersport
VDI nachrichten, Düsseldorf, 18. 1. 08, ws – Kaum eine Disziplin, die gleichzeitig so anziehend und abschreckend wirkt wie die Mathematik. Um sie von ihrer spannenden Seite zu zeigen, hat das Bildungsministerium 2008 zum „Jahr der Mathematik“ aufgerufen. Prof. Günter M. Ziegler, Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, koordiniert die Initiative und sagt, worum es in den kommenden zwölf Monaten geht.
Ziegler: Ja, auf jeden Fall. Wobei für Grundschüler natürlich andere Faktoren gelten als für Ingenieurstudenten. Im Mathematik-Jahr wollen wir zeigen, in welch vielfältiger Weise Mathematik praktische Anwendung findet, dass sie Forscher mitunter zum Haareausraufen bringt und dass sie sehr anspruchsvoll, aber auch sehr spielerisch sein kann. Die Facetten sind sehr bunt. Mathematik ist spannend und begeistert auch Kinder.
VDI nachrichten: In der Praxis sieht es häufig anders aus: Viele Kinder finden keinen Bezug zur Mathematik, Ingenieurstudenten sehen sie als notwendiges Übel an.
Ziegler: Mathematik polarisiert. Eine Schüler-Umfrage ergab, dass das beliebteste Fach Mathematik ist und gleichzeitig nach Physik das Horrorfach. Die Materie ist schwierig und unnachgiebig. Es gibt eben nur richtig oder falsch. Für schöne Worte gibt es keine Punkte. Manche reizt das, andere schreckt es ab.
VDI nachrichten: Trotzdem gilt Mathematik als trockener Lehrstoff.
Ziegler: Was in Schule und vermutlich auch im Ingenieurstudium vermittelt wird, ist meist zu eindimensional. Da werden Rechenschemata gepaukt und es wird Kalkül beigebracht. Die Tatsache aber, dass Mathematik Anwendung findet und viele spielerische Elemente hat, dass jedes Sudoku ein mathematisches Logikrätsel ist, wird nicht hinreichend gezeigt.
VDI nachrichten: Bildungsexperten sind der Auffassung, der Mathematikunterricht sei auf dem besten Wege, mehr Praxisnähe zu integrieren. Teilen Sie diese Auffassung?
Ziegler: Ich glaube, die Entwicklung geht in die richtige Richtung. Der Unterricht liefert heute Begründungen, bei Weitem aber noch nicht genug. Wir werden 2008 massiv darauf hinwirken, das Bild der Mathematik viel bunter und interessanter darzustellen. Mathematik ist kein Zuschauersport, heißt es zu Recht. Wir laden Eltern, Schüler, Lehrer, Studierende und alle anderen dazu ein, mitzumachen. Das gelingt nicht über Vorlesungen, sondern über Mathematik zum Anfassen.
VDI nachrichten: Zahlen und Kurven zum Anfassen?
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Ziegler: Ich möchte die verschiedenen Aspekte des Anschauens und Mitmachens verdeutlichen: Das Projekt „Imagenary – mit den Augen der Mathematik“ etwa zeigt in Form einer Kunstausstellung faszinierende Bilder von mathematischen Objekten. Aktiv werden die Besucher, wenn sie jede Fläche, die aus Gleichungen besteht, verändern. Sie könnten sehen, wie sich das Objekt „bewegt“. Und ein Projekt auf dem Wissenschaftsschiff: Dort zeigen wir, dass ein Sudoku auch etwas zum Anfassen ist, ein Zuordnungsproblem, das man auch dreidimensional visualisieren kann. Die Lösungsverfahren kommen aus der kombinatorischen Optimierung und spielen auch praktisch eine bedeutende Rolle, etwa in der Logistik.
VDI nachrichten: An wen richtet sich das Programm des Mathematik-Jahres vor allem?
Ziegler: Wir wollen auch die erreichen, die in der Regel nur den Kulturteil einer Zeitung lesen und weniger die Wissenschaftsseite. Besonders wichtig ist uns aber die Schule. Wir müssen Eltern und Lehrer erreichen, um auf diesem Wege an die Schüler heranzukommen. Poster zum Jahr der Mathematik sollen in jeder Schule hängen.
VDI nachrichten: Was soll das Jahr der Mathematik bewirken?
Ziegler: Die Riesenresonanz der Medien im Vorfeld zeigt, dass sich die Öffentlichkeit für Mathematik interessiert. Das ist der erste Erfolg, obwohl die meisten Aktivitäten noch nicht begonnen haben. Ich wünsche, dass wir am Jahresende sagen können: Das Bild der Mathematik in der Öffentlichkeit ist vielfältiger als zuvor. Wichtig ist auch die Nachhaltigkeit der Initiative. Der Erfolg wird sich letztlich 2009 zeigen, wenn Projekte fortgeführt werden und das Engagement bei allen Beteiligten weiter vorhanden ist. W. SCHMITZ