Beratung 08.09.2000, 17:26 Uhr

„Den Hang zur Präzision muss man aufgeben“

Wer als Ingenieur umsattelt und Berater wird, sollte nach Ansicht des Leiters des Hochschuldidaktischen Zentrums in Aachen eine Weile seinen ursprünglichen Beruf ausgeübt haben. Dann hat Gerhard Borho es ja richtig gemacht.

Den Blick öffnen, interdisziplinär arbeiten – das ist es, was Gerhard Borho reizt. Drei Jahre hat der diplomierte Maschinenbauer in seinem erlernten Beruf beim Automobilhersteller Daimler Benz gearbeitet. „Dann habe ich erkannt, dass es mir an Vielseitigkeit in diesem Job fehlt.“ Kurz entschlossen wechselte Borho. Heute ist der 31-jährige Unternehmensberater bei der international agierenden Unternehmensberatung Boston Consulting Group in Stuttgart beschäftigt.
Der Kontakt zur Branche entstand untypisch. Obwohl sich die Unternehmensberatungen seit einigen Jahren verstärkt um Uniabgänger aller Fachrichtungen bemühen: Borho konnten sie nicht gewinnen. Nach Abschluss des Studiums stürzte sich der Produktionstechniker in die klassische Ingenieurkarriere. Der Umschwung kam durch einen Freund. „Der meinte, dass mir das Spaß machen würde.“ Und der Freund hatte Recht.
Bewusst hat sich Borho bei seinem neuen Arbeitgeber zunächst nicht auf ein Gebiet festgelegt. „Ich wollte quer durch alle Branchen und alle Aufgabenstellungen hinweg einfach dazulernen“, erklärt der Berater. Das, was ihn am Ingenieurdasein reizte, findet der Berater auch in seinem jetzigen Job. „In beiden Berufen ist man kreativ und es entsteht etwas Neues.“ Von der bei Daimler erlernten Sachkenntnis konnte Gerhard Borho profitieren. „Meine Erfahrung in der Industrie hat mir geholfen, zu verstehen, wie Unternehmen funktionieren.“
Natürlich bedeutet der Wechsel in die Beratung erstmal eine Umstellung für Ingenieure. Schwierigkeiten waren für den einstigen Tüftler die Graustellen : „Ich war gewohnt, alles bis auf die dritte Nachkommastelle zu berechnen.“ Den Hang zur höchsten Präzision müsse man als Berater aufgeben. Es sei nicht genau vorauszusehen, ob Version A oder B erfolgreicher sein werde. „Da spielen Menschen und Kulturen mit, die man nicht genau berechnen kann.“
Ingenieure in Unternehmensberatungen – das ist schon lange keine Seltenheit mehr. „Die Kopplung des Geschäftsprozesses mit technischen Prozessen hat sich in den letzten Jahren dramatisch verstärkt“, erkennt Prof. Dr.- Ing. Klaus Henning. Die Folge: Der Ingenieuranteil liegt in vielen Firmen um die 15 %. In einigen Fällen muss die Entscheidung für den Beraterberuf noch nicht einmal einen Richtungswechsel bedeuten „Es gibt natürliche Laufbahnen, beispielsweise im Bereich der Arbeitswissenschaft, in denen sich das Beratungsprofil des Ingenieurs ganz von selbst entwickelt“, sagt der Professor für Informatik im Maschinenbau an der RWTH Aachen. Aber auch wer klassische Konstruktion gelernt hat, kann sich das nötige Wirtschaftswissen selbst und mit Hilfe von Teamkollegen und Fortbildungsseminaren im Beruf aneignen.
Maschinenbauer, Elektrotechniker oder Nachrichtentechniker bereichern das Beraterteam mit notwendigem Fachwissen. Jedoch sollte ein Hochschulabsolvent nicht direkt von der Universität zur Unternehmensberatung gehen. Der Fachmann befürwortet eine Karriere wie die Gerhard Borhos. „Sonst kann man den spezifischen Vorteil des Technikverständnisses gar nicht ausspielen, sondern rutscht in die normale Beraterlaufbahn hinein“, so Prof. Henning. „Man muss auch schon mal unmittelbare Verantwortung für das eigene Arbeitsergebnis übernommen haben, und das lernt man nur in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich.“ Fünf Jahre in einem typischen Ingenieurberuf sind nach Einschätzungen des Professors ratsam.
Allerdings sieht der Leiter des Hochschuldidaktischen Zentrums auch einige Hürden auf seine Studenten zukommen. „Defizite von Ingenieuren liegen in der Sprachfähigkeit g im doppelten Sinne des Wortes“, so Henning. Nicht nur die Fremdsprachen werden an den Hochschulen vernachlässigt, auch die Muttersprache bereite Probleme. Und das ist fatal: Wenn der Berater Sachverhalte nicht klar und verständlich vermitteln kann, dann nutzt ihm auch sein technisches Hintergrundwissen nicht.
Professor Hennings Empfehlung: „Am besten schon während des Studiums ein halbes Jahr ins Ausland gehen, sei es mit einem Praktikum oder im Rahmen der Diplomarbeit.“ Jeder zukünftige Berater sollte sich zudem eine dritte Sprache aneignen – das erhöhe den Wettbewerbsvorteil ungemein.
Dass man auch als Berater Ingenieur bleiben kann, beweist Dr.-Ing Bruno Wüst, Gesellschafter der Unternehmensberatung Theron in Köln. Theron gehört zu den kleineren Beratungsunternehmen, die sich zunehmend spezialisieren. Bereiche wie Telekommunikation oder Informationstechnologie bieten neue Tätigkeitsfelder für Ingenieure.
Als der Elektrotechniker vor elf Jahren seine Karriere zunächst bei Mc Kinsey begann, hatte er von Anfang an die besseren Aufstiegsmöglichkeiten im Blick. „Ein Fachmann bei einem Energieversorger mag ein gefragter Spezialist sein, kommt aber nicht bis ins Management“, erklärt Wüst.
Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler sind nach Meinung von Wüst in der Beratung gleichberechtigt. In einem guten Berater-Team profitierten beide voneinander. Die Techniker hätten sogar eher einen Startvorteil. „Es ist leichter, betriebswirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen“, meint Wüst. „Wer nicht Knecht der Betriebswirte werden will, muss sich rechtzeitig mit Wirtschaftswissenschaft auseinanders etzen.“
Viele Berater nützen die Zeit und Erfahrung in der Beraterbranche als Sprungbrett. Wer sich einen Namen gemacht hat, kann sich von dem extrem zeit- und arbeitsaufwendigen Beruf verabschieden. Ihn locken Angebote in der Industrie, vielleicht sogar von ehemaligen Kunden.
Gerhard Borho möchte noch nicht so weit voraussschauen. „Ich bleibe, solange ich noch etwas dazulernen kann, und momentan macht es unheimlich viel Spß.“ JUDITH LUIG

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