Initiative Zukunft Deutschland 2050 18.11.2025, 08:00 Uhr

Transformation Automotive: Re-skilling als Chance für Mitarbeiter und Unternehmen

Die Automobilbranche steckt mitten im Wandel: Transformation, Elektrifizierung, Stellenabbau – ganze Standorte verschwinden, während gleichzeitig andere Industrien händeringend nach Fachkräften suchen. In dieser Zwischenwelt begleitet Bastian Hughes Ingenieurinnen, Techniker und Kaufleute, die ihren Platz neu finden müssen.

Bastian Hughes

Bastian Hughes bei der Podiumsdiskussion zum Thema Re-skilling in Darmstadt.

Foto: Witefield GmbH

Im Gespräch erklärt er, warum Re-skilling nicht nur Weiterbildung bedeutet, sondern auch ein neues Selbstverständnis – und weshalb viele Menschen erst dann in Bewegung kommen, wenn sie eigentlich keine andere Wahl mehr haben.

Bastian Hughes verfügt über langjährige Erfahrung in der Automobilbranche. Er begann seine Karriere bei einem großen Hersteller im Raum Köln, wo er externe Ingenieure in einer Arbeitnehmerüberlassung betreute. Anschließend wechselte er in die Unternehmensberatung und später in die Personalvermittlung. Durch diese Stationen kennt er sowohl die Perspektive der Unternehmen als auch die der Fachkräfte – eine Expertise, die ihn heute zu einem gefragten Berater für berufliche Neuorientierung und Re-skilling macht. Er war auch bei der Expertenrunde dabei, zu der der VDI im Rahmen der VDI-Initiative „Zukunft Deutschland 2050“  nach Darmstadt eingeladen hat.

ingenieur.de: Herr Hughes, Sie arbeiten als Berater für berufliche Neuorientierung. Wenn Sie den Begriff Re-skilling hören – was bedeutet das für Sie ganz konkret?

Bastian Hughes: Re-skilling bedeutet für mich, dass man erst einmal ein Bewusstsein dafür entwickelt: Was habe ich eigentlich für Skills? Also wirklich konkret – was bringe ich mit, was kann ich, was habe ich vielleicht auch unbewusst gelernt?

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Dann der zweite Schritt: Wo möchte ich hin – oder wo könnte ich hin? Und das nicht immer aus einem positiven Antrieb heraus, wie „ich will mich weiterentwickeln“, sondern manchmal auch aus einer Notwendigkeit. Gerade in der Automobilbranche, wenn man merkt: Mein Bereich verändert sich, vielleicht fällt mein Job weg, und ich muss mich neu orientieren – vielleicht in Richtung Schifffahrt, Maschinenbau oder Medizintechnik.
Und dann kommt der dritte Punkt, der in der Beratung ganz wichtig ist: Was ist der Gap – also die Lücke – und wie kann ich die schließen? Denn die ist oft kleiner, als viele denken. Viele merken erst, wenn man ihre Tätigkeiten mal sauber auseinanderzieht: „Oh, das, was ich mache, gibt’s ja auch woanders.“

Zwischen Verunsicherung und Aufbruch

Wie erleben Sie die Menschen, die zu Ihnen kommen – gerade aus der Automobilbranche?

Sehr verunsichert, ehrlich gesagt. In vielen großen Konzernen laufen derzeit umfangreiche Programme, um Personal zu reduzieren. Meist beginnt das mit einem freiwilligen Angebot: Mitarbeitende werden eingeladen, über eine Abfindung und einen einvernehmlichen Austritt nachzudenken, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Begleitet werden diese Programme häufig durch externe Beratungen, bei denen Betroffene in einem Erstgespräch ihre Optionen ausloten können – also, welche Chancen sich jenseits ihres bisherigen Unternehmens oder sogar außerhalb der Branche ergeben könnten.

Das Problem ist: Solange diese Angebote freiwillig sind, werden sie oft kaum genutzt. Viele glauben, sie hätten „da draußen“ ohnehin keine Chance, weil sie zu spezialisiert sind. Dabei zeigt sich in den Gesprächen immer wieder, dass genau das Gegenteil stimmt. Wer sich mit seinen sogenannten transferierbaren Kompetenzen beschäftigt, entdeckt oft ganz neue Perspektiven.

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Gleichzeitig ist da aber auch eine große Erwartungshaltung: Wer überlegt, ein Abfindungsangebot anzunehmen, möchte am liebsten nahtlos in einen neuen Job wechseln, mit gleichem Gehalt, Sicherheit und Spaß an der Arbeit. Diese hohen Ansprüche blockieren viele zunächst, weil sie spüren, dass das kaum realistisch ist. Doch sobald sie den ersten Schritt wagen und die eigenen Möglichkeiten prüfen, merken sie: Sie können weit mehr, als sie bisher geglaubt haben. Und sie beginnen, in Grauschattierungen zu denken, also jenseits von Schwarz-Weiß-Mustern wie „entweder Traumjob oder gar nichts“. Es geht dann nicht mehr nur um den perfekten nächsten Schritt, sondern darum, unterschiedliche Perspektiven zu erkennen, Optionen zu vergleichen und herauszufinden, welche Richtung wirklich stimmig ist.

Wie ein Perspektivwechsel neue Chancen sichtbar macht

Können Sie das an einem Beispiel festmachen?

Ja, klar. Ich hatte gerade am Montag einen Ingenieur da. Der sagte: „Ich bin in der Antriebstechnik so tief drin, ich kann nirgendwo anders hin.“
Dann haben wir uns angeschaut, was er eigentlich genau macht – also Projektkoordination, Lieferantenmanagement, technische Dokumentation, Schnittstellenarbeit. Und plötzlich fiel ihm auf: Das kann ich ja überall machen! Ob das jetzt in der Medizintechnik, im Maschinenbau oder in der Schifffahrt ist – das ist völlig egal.

Diese Momente sind die schönsten, weil die Leute dann anfangen, wieder Möglichkeiten zu sehen. Es ist, als würde man ihnen eine Tür öffnen, die sie vorher gar nicht wahrgenommen haben.

Diskussion

Foto: Witefield GmbH

Die Sprache der Chancen: Wie Erfahrungen neu übersetzt werden

Sind Ihre Klienten meist noch im Unternehmen beschäftigt, oder kommen sie erst, wenn sie schon raus sind?

Beides, aber oft noch im Unternehmen. Viele sind in sogenannten Freistellungsprogrammen oder wissen, dass ihre Abteilung geschlossen wird. Sie sollen sich intern bewerben, aber alle tun das gleichzeitig – und dann ist das ein reiner Verdrängungswettbewerb.

Andere kommen, wenn es schon zu spät ist, also wenn der Betrieb dichtgemacht hat. Bei Mittelständlern passiert das häufiger, da gibt es dann oft gar keine Auffangstrukturen. Dann landen sie in der Arbeitsagentur oder in einer Transfergesellschaft.

Und das ist auch interessant: Gute Transfergesellschaften leisten da richtig gute Arbeit. Schlechte sagen einfach nur: „Schreib Bewerbungen.“ Gute dagegen helfen wirklich dabei, die eigenen Fähigkeiten zu übersetzen – also zu sagen: Deine Automotive-Erfahrung ist wertvoll – du musst sie nur in die Sprache einer anderen Branche übersetzen.

Was meinen Sie mit „übersetzen“?

Na ja, ein Beispiel: Wenn du dich bei einem Unternehmen aus der Schifffahrt bewirbst und dein Lebenslauf ist voller Automotive-Begriffe, dann verstehen die das gar nicht. Die denken: „Ach, der kommt aus der Autoindustrie, der hat mit uns nichts zu tun.“

Wenn du aber statt „Antriebsstrang“ vielleicht „Powertrain-System“ oder „mechanische Baugruppenentwicklung“ schreibst, dann öffnet sich plötzlich eine ganz andere Tür. Das ist, als würdest du eine Fremdsprache sprechen lernen.

Ich sage meinen Klienten oft: Re-skilling ist wie Sprachenlernen. Du kannst das Gleiche sagen, aber mit anderen Worten – und plötzlich versteht dich eine ganz neue Branche.

Automotive-Know-how als Chance

Wie offen sind die Menschen für solche Veränderungen?

Am Anfang gar nicht (lacht). Ganz ehrlich: Die meisten kommen mit der Haltung „Ich will genau das Gleiche machen, nur woanders – und mit dem gleichen Gehalt“. Das ist menschlich, aber unrealistisch.

Wenn man dann gemeinsam draufschaut, welche Kompetenzen wirklich dahinterstecken, dann ändert sich was. Dann sagen viele: „Stimmt, das mache ich ja ständig – das habe ich gar nicht als Kompetenz gesehen.“

Ein Beispiel: Eine Projektassistenz denkt oft, sie „hilft nur“. Tatsächlich macht sie aber Terminplanung, Kommunikation, Datenpflege, Reporting – das ist Projektmanagement. Und plötzlich ist das ein völlig anderes Profil.

Gibt es Branchen, die aktuell besonders offen für Quereinsteiger aus der Automobilbranche sind?

Ja, viele. Maschinenbau, Medizintechnik, Defense, Aerospace, Land- oder Baumaschinen – überall dort werden Fachkräfte gesucht.

Und das Witzige ist: Viele dieser Branchen haben Prozesse und Methoden ursprünglich aus der Automobilindustrie übernommen. Automotive war lange technologisch führend. Das heißt: Die Leute bringen Know-how mit, das anderswo Gold wert ist – sie müssen es nur zeigen.
Was ich gerade stark beobachte: Medizintechnik boomt, Defense ebenfalls – aber auch Branchen wie Energie- oder Umwelttechnik suchen händeringend Personal. Das wird nur medial oft nicht so sichtbar.

Das klingt, als gäbe es Chancen – wenn man bereit ist, den Schritt zu gehen.

Genau. Der Fachkräftemangel ist real. Nur weil in der Automobilindustrie Stellen abgebaut werden, heißt das nicht, dass der Mangel vorbei ist.
Im Gegenteil: Andere Branchen freuen sich über jede Fachkraft, die kommt – aber die Menschen müssen selbst erst verstehen, dass sie kommen dürfen. Dass sie willkommen sind, auch wenn sie nicht aus der Branche stammen.

Das ist die eigentliche Re-skilling-Hürde: das mentale Umdenken.

Bastian Hughes

Foto: Witefield GmbH

Re-skilling strategisch nutzen

Was können Unternehmen tun, um Re-skilling auch strategisch zu nutzen?

Unternehmen müssen genauso ehrlich hinschauen wie Beschäftigte: Was suche ich wirklich? Wenn ich nach der eierlegenden Wollmilchsau suche, finde ich niemanden. Aber wenn ich sage:  „Ich brauche jemanden, der Prozesse versteht, mit Schnittstellen umgehen kann, und der Technik spricht“ – dann finde ich plötzlich viele. Und sie sollten mutiger werden bei Stellenausschreibungen. Wenn ich da zum Beispiel schreibe „Kenntnisse in Automotive-Prozessen von Vorteil“, dann finden mich Fachkräfte aus genau dieser Branche. Das ist Recruiting mit Weitblick.

Viele Unternehmen sehen Weiterbildung immer noch als Kostenfaktor. Wie begegnen Sie dieser Haltung?

Das höre ich oft. Aber wenn man es betriebswirtschaftlich betrachtet, ist das Gegenteil richtig.

Ich hatte neulich ein Gespräch mit einem Unternehmer, der darauf spezialisiert ist, Fachkräfte über 50 zu halten. Der sagte: Ein Drittel meiner Arbeitskraft besteht aus Menschen über 50. Wenn ich die verliere, verliere ich bares Geld.

Dasselbe gilt für Re-skilling: Eine Weiterbildung kostet vielleicht ein paar Tausend Euro. Aber wenn ich dadurch Wissen im Unternehmen halte oder schneller neue Aufgaben besetzen kann, dann ist das eine Investition, keine Ausgabe.

Investition in Wissen: Re-skilling sichert Zukunft

Haben Sie ein Beispiel, wo Re-skilling richtig gut funktioniert hat?

Bei einem Projekt ging es um kaufmännische Mitarbeitende – Buchhaltung, Personal, Einkauf. Viele dachten: Ich kann nichts anderes, ich bin Buchhalterin.

Das Unternehmen hat dann ein Programm aufgesetzt, bei dem neue Fachbereiche die Leute übernehmen konnten, ohne sie sofort selbst bezahlen zu müssen – für ein Jahr hat die Personalabteilung die Gehälter refinanziert. Also Stichwort – Kostenstellen. In dieser Zeit haben die Mitarbeitenden Schulungen bekommen und sich eingearbeitet.

Das war unglaublich erfolgreich. Da sind richtige Erfolgsgeschichten entstanden – Menschen, die plötzlich im Projektmanagement oder Controlling

arbeiten, obwohl sie vorher etwas ganz anderes gemacht haben.

Auch interessant: Re-skilling als Firewall gegen Jobverlust

Und was passiert, wenn Unternehmen gar nichts tun?

Dann verlieren sie ihre Leute – oder ihre Aufträge.

Das ist ganz einfach. Wenn ich nicht investiere, verliere ich Wissen, und meine Stammbelegschaft ist ohnehin schon überlastet. Gleichzeitig suchen alle nach denselben Fachkräften.

Trotz der aktuellen Krisen glauben viele, dass der Fachkräftemangel vorbei sei, insbesondere in der Automobilbranche, da dies in den Medien stark präsent ist. Das ist jedoch nicht korrekt. Viele Branchen suchen weiterhin händeringend nach qualifizierten Fachkräften. Unternehmen, die verstanden haben, dass Re-skilling der Schlüssel ist, um spezialisierte Fachkräfte aus anderen Branchen anzusprechen, werden die Gewinner der Zukunft sein.

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Alexandra Ilina ist Diplom-Journalistin (TU-Dortmund) und Diplom-Übersetzerin (SHU Smolensk) mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung im Journalismus, in der Kommunikation und im digitalen Content-Management. Sie schreibt über Karriere und Technik.

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