„Trocken, verschult, konservativ“: das Ingenieurstudium
Ist das Ingenieurstudium hierzulande nicht mehr zeitgemäß? Und geht das überhaupt: Einsteiger ohne Qualitätseinbußen massenweise durchs anspruchsvolle Studium zu bringen? Fragen, denen der „acatech-Nachwuchsgipfel“ nachging. VDI nachrichten, Düsseldorf, 27. 3. 09, ws
„Wenn der Rauch der Krise verflogen ist, müssen genug Fachkräfte zur Verfügung stehen.“ Joachim Milberg, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech), warnt vor einem „Reflex“, der die deutsche Wirtschaft mittelfristig in eine schwere Krise stürzen könnte. Wer glaube, bei Sparmaßnahmen an Ingenieuren ansetzen zu müssen, setze die falschen Zeichen. Schon mittelfristig könnten junge Fachkräfte die altersbedingt ausscheidenden Ingenieure nicht ersetzen, sagte Milberg Anfang der Woche auf dem „acatech-Nachwuchsgipfel“.
Wolle Deutschland seinen Ingenieur-Fundus auffüllen, müsse man an den Wurzeln ansetzen, war einhelliger Tenor des Berliner Gipfels. Die eine Wurzel sei die mangelhafte Technikbildung in Kindergarten und Schule, die andere das schlechte Image, mit dem sich die Ingenieurwissenschaften herumplagten. „Ingenieure gelten als hochintelligent und gut organisiert, aber auch als wenig sozial orientiert, als schlechte Teamplayer und als kontrollbedürftig“, meinte der Stuttgarter Techniksoziologe Ortwin Renn. Was man statt überkommener Berufsbilder brauche, sei ein Image, das die neuen, komplexen Berufsbilder von Ingenieuren widerspiegele.
Groß war der Konsens, die naturwissenschaftliche Ausbildung fächerübergreifend zu gestalten, um, so Renn, vom „analytischen Systemwissen zu einem kreativen Gestaltungswissen“ zu gelangen. Das aber mache nur Sinn, wenn naturwissenschaftlich-technische Bildung eine kontinuierliche Kette vom Kindergarten bis zum Schulabschluss bilde. „Beim Englisch-Unterricht setzt man ja auch nicht ein bis zwei Jahre aus.“
Wenn diese Baustellen in Angriff genommen würden, werde sich auch das Problem der hohen Abbrecherquoten legen. Es dürfe nicht sein, dass sich die ersten Semester für angehende Ingenieure als „Martyrium“ und als massenhafte Ausleseprozedur erwiesen.
Jürgen Enders vom Center for Higher Education Policy an der Uni Twente blies ins gleiche Horn: Man müsse „tatsächlich etwas am Produkt ändern. Spricht man von einer verschulten, trockenen und konservativen Ausbildung, so ist das kein Vorurteil, sondern eine Realitätsbeschreibung“. Ein Studium werde oft als Fortführung der Schule mit ähnlichen Mitteln verstanden.
Das wollte Horst Hippler, Präsident der TU9, der Vereinigung großer deutscher Technik-Universitäten, nicht auf sich sitzen lassen. „Wir tun so, als läge in der deutschen Ingenieurausbildung viel im Argen. Sie ist aber weiterhin exzellent.“ Die Schwierigkeit sei, bei anhaltend hoher Qualität genügend Absolventen auf den Markt zu bringen. „Masse und Klasse – das geht nicht wirklich.“
Für Hippler hat die Politik den Schwarzen Peter. Wenn man bedenke, wie viele Ingenieurprofessuren abgebaut wurden, um sie jetzt wieder langsam aufzubauen, müsse dieses „Auf und Ab“ zu einem Qualitätsverlust führen.
Ein Vorwurf, mit dem der Berliner Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner umgehen kann: Es sei nie strittig gewesen, die Ingenieurwissenschaften fördern zu müssen. „Es ist aber nichts geschehen, was einen vom Hocker reißt.“ Solange die Hochschulfinanzierung in Deutschland nicht besser unterfüttert sei, sei kein Fortschritt zu erzielen.
Mit dem Nachwuchsgipfel legt acatech bildungspolitische Empfehlungen vor, die Netzwerken als wissenschaftliche Basis dienen können. W. SCHMITZ
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