Bildung 28.07.2000, 17:26 Uhr

Schüler geben ihren Paukern Internet-Nachhilfe

Keine Erfahrung mit dem Internet? In Schleswig-Holstein engagierten eine Ministerin und ein Staatssekretär vier Schüler, die ihren Lehrern auf die Sprünge halfen.

Ich bin drin“ – in null Komma nichts ins Internet zu gelangen, sieht nur im Werbefilm mit Boris Becker einfach aus. Denn kaum im Netz, fangen die Schwierigkeiten erst richtig an. Wer versucht, sich in der unendlichen Weite des Internets zurechtzufinden, verliert leicht den Überblick.
Auch Schulleiter Peter Jensen (60) bekam das zu spüren. Zu Hause hat er höchstens mal seiner Tochter beim Surfen über die Schulter geschaut. Die Unwissenheit hat ihn aber schon lange geärgert. Das wird sich jetzt ändern. Etwas unsicher ist der Lehrer für Englisch, Dänisch, Geschichte und Kunst zwar noch, als er sich zum ersten Mal einloggt. Doch einmal online, ist die Lust am Surfen erwacht. „Wie hast du das gemacht?“, fragt sein Kollege Dirk Hoffmeister (46) ganz erstaunt, als Jensen seine erste E-Mail über die Datenleitung schickt.
Die beiden Flensburger Schulleiter sind blutige Internet-Anfänger und fest entschlossen, das World Wide Web zu erobern. Und das nicht nur zum Spaß. Schließlich wollen sie die Technik auch in den Schulen einsetzen, erklärt Hoffmeister, der an einer Schule für Körperbehinderte unterrichtet, seine Motivation: „Gerade für körperbehinderte Jugendliche bietet das Internet eine Möglichkeit, um zu kommunizieren“.
Eine Reihe weiter versucht Norbert Schuckart (56), Schulrat der Stadt Flensburg, sich ebenfalls an das neue Medium zu gewöhnen. „Ich will beim Internet nicht nur auf meine Sekretärin angewiesen sein“, meint Schuckart, der gerade etwas über Bachmusik sucht und als Antwort ein paar tausend Links erhält. „Sie müssen das Stichwort mehr eingrenzen“, erklärt Helge Jürgensen.
Geduldig erklärt der 18-jährige Gymnasiast dem Schulrat, wie er mit ein paar Kommata und mehreren Stichworten in der Suchmaske ein besseres Ergebnis erzielt. „Das zu finden, was man gerne möchte, ist nicht einfach“, gesteht Schuckart, als einige Kollegen plötzlich laut lachen. Markus Jungnickel (17) hat am PC des Nachbartisches gerade www.autsch.de aufgerufen. Die Lehrer amüsieren sich köstlich. Aus der ernsthaften Materie ist plötzlich ein unterhaltsames Medium geworden. Aber selbst auf dieser eher unnützen Homepage haben sie noch etwas gelernt – das Abspielen von Filmsequenzen im Netz.
Nach der ersten „Unterrichtsstunde“ fühlen sich die beiden Schüler schon wohler. Etwas merkwürdig war es für Jürgensen und Jungnickel anfangs schon, den Paukern Anweisungen zu geben. Langsam macht es ihnen aber richtig Spaß. Denn ausnahmsweise haben sie das Know-how, das die Lehrer auch gerne hätten. „In Bereichen, in denen Schüler einen Wissensvorsprung haben, sollte man ihn auch nutzen“, meint Schulrat Schuckart. Probleme hat er mit der vertauschten Lehrer-Schüler-Rolle nicht. Ganz im Gegenteil. „Eine Internetschulung könnten mehrere Lehrer gebrauchen.“
Auf die Idee kamen Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave und ihr Staatssekretär Dr. Ralf Stegner. „Das Internet wird bald selbstverständlich werden“, so der Staatssekretär. Doch erst etwa ein Drittel der Lehrkräfte in Schleswig-Holstein hätten eine Fortbildung auf diesem Gebiet. Am „Sozialen Tag“ griffen Erdsiek-Rave und Stegner daher in die private Tasche und engagierten vier Schüler. Für insgesamt 300 DM erteilten sie in Bad Oldesloe und Flensburg einen Tag lang zwölf Paukern Web-Unterricht. „Die Lehrer haben auf diesem Gebiet Nachholbedarf“, so Stegner, der sich vor Ort ein Bild von dem Unterricht der etwas anderen Art machte und feststellte: „Lehrer und Schüler haben richtig Spaß daran.“
Ute Joppich (44) hat bereits seit einem Jahr einen privaten Internetanschluss. Doch fit im Web ist die Leiterin der Förderschule noch nicht. Vor allem der Umgang mit Suchmaschinen bereitet ihr noch Schwierigkeiten. Für Markus Jungnickel ist dies schon längst kein Problem mehr. Einen PC besitzt er bereits seit der Zeit, als die Bildschirme noch schwarzweiß waren – im Internet surft er seit vielen Jahren. Warum gerade er für dieses Projekt ausgesucht wurde, weiß er nicht. Der Umgang mit Drag-and-Drop, Hyperlinks und Providern ist für ihn nichts Besonderes.
Ganz anders sieht es bei den Lehrern aus, die in einem Übungsraum des Kommunikationsanbieters KomTel in Flensburg versuchen, zum ersten Mal die Internetwelt zu durchschauen. Alle sind sich einig, dass auch in der Schule der Umgang mit dem Netz immer wichtiger wird und forciert werden muss. In den meisten Fällen stehen zwar in den Schulen Computer für die Jugendlichen zur Verfügung – doch der Online-Anschluss hat längst noch nicht überall Einzug gehalten.
„Man muss sehr viel Zeit und Geduld in das neue Medium investieren“, resümiert Jensen, während die beiden Schüler gerade die Vorteile der Bookmarks erläutern. „Ich hätte nicht mit der Vielfalt an Informationen gerechnet“, gesteht Bodo Konetschny, der gerade ein paar Beatles-Songs im Netz sucht. „Jetzt kann ich nachvollziehen, dass sich die Jugend dafür begeistert.“ ANGELA SCHMID
Vertauschte Rollen: Markus Jungnickel (links stehend) und Helge Jürgensen (rechts stehend) zeigen ihren Lehrern, was das Internet alles kann.

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