Schleichwege zum Ingenieurstudium
VDI nachrichten, Bonn, 30. 9. 05 – Wirtschaft und Wissenschaft klagen über den Ingenieurmangel in Deutschland. Ein Förderprojekt des Bundes erschließt nahe liegende Bildungsreserven. Vom Meister zum Studenten ist es künftig nicht mehr weit. Erfahrungs- und Weiterbildungswerte aus dem Berufsleben werden auf die akademische Bildung angerechnet.
Ilmenau und die Uni Hannover versuchen, berufliche Kompetenzen ebenfalls im Maschinenbaustudium von Technikern zu berücksichtigen. Die gemeinsame Währung sind Leistungspunkte für einzelne Module (ECTS). Neben den Ingenieurfächern liegt ein zweiter Förderschwerpunkt der BMBF-Initiative im kaufmännischen Bereich.
Mindestens sechs verkürzte Wege von der Berufspraxis zum Hochschulabschluss gibt es. Der Fertigungsleiter beispielsweise muss nicht unbedingt das Katheder des Professors übernehmen, um sein Vorwissen zu demonstrieren. Das könnte in besonderen Seminaren schon vorausgesetzt und theoretisch durchdrungen werden, z. B. mit Buchwissen aus der Managementlehre.
Hartmann spricht von „nachlaufender Akademisierung“ auf einer Wissensbasis, die ein Student ohne Berufserfahrung noch nicht hat. Vielleicht lassen sich einzelne Module der beruflichen Weiterbildung auch pauschal als hochschulkompatibel anerkennen. Individuelle Einstufungen von Studienbewerbern sind gegenwärtig in Nordrhein-Westfalen bereits möglich, wenngleich sehr selten.
Das Vorwissen mag alternativ in einem Assessment-Verfahren wie bei Stellenbewerbungen festgestellt werden. Dabei könnten formelle Qualifikationen von Bedeutung sein, aber womöglich auch informelle Nachweise, etwa einer erfolgreichen Betriebsleitung über einige Jahre. „Bei der Kunsthochschule bewerben sich die Studenten ja auch mit einer Mappe voll konkreter Arbeitsproben“, erklärt Hartmann. „Mit dieser Individualprüfung ließe sich zugleich die immer schon mögliche Hochschulzulassung von Nichtabiturienten verbinden.“
Der gemeinsame europäische Bildungsmarkt zwingt unsere Hochschulen zu größerer Offenheit. Denn schon längst bieten Wirtschafts- oder Berufsakademien ihren Ehemaligen ein verkürztes Fernstudium in den Niederlanden oder bei der britischen Open University. Der Bachelor- oder Mastertitel gilt ohne weiteres auch hierzulande. HERMANN HORSTKOTTE