Praktiker der Logik
Viel Schelte musste Lotfi Zadeh in seinen 85 Lebensjahren schon über sich ergehen lassen. Ein Kollege wollte den inzwischen emeritierten Informatikprofessor der kalifornischen Elite-Uni Berkeley lynchen, weil er „die Disziplin der harten wissenschaftlichen Arbeit“ zersetze.
Lofti Zadeh ist in Aserbaidschan geboren, im Iran aufgewachsen und studierte in den USA Elektrotechnik. Den Zorn des Establishments zog sich der Wanderer zwischen den Welten zu, weil er die Klarheit der klassischen Logik als untauglich für die Praxis abtat. 1965 legte Zadeh mit seinem Aufsatz „Fuzzy Sets“ die Basis für eine Wissenschaft der Unschärfe: Fuzzy Logic.
Für den Vordenker, der vor kurzem an der TU Berlin immer noch für ein prall gefülltes Audimax sorgte, ist alles eine Sache der Abstufung. Die mathematische digitale Logik, die nur ein „Entweder-oder“ zulässt, sieht er in einem „Dauerkonflikt mit der Realität“.
Fuzzy Logic macht es möglich, dass auch Maschinen die kleinen, aber feinen Unterschiede in der menschlichen Ausdrucksweise und in der vom Menschen wahrgenommenen Realität erkennen. Das kann sie anpassungsfähiger und „schlauer“ machen.
Zadeh hält es lieber mit der natürlichen Sprache, in der vieles vage bleibt. „Der Mensch sagt: “Es ist heiß“ statt: “Es hat 35 Grad““, bringt er ein Beispiel. Der Vorteil dieser Beschreibungsform: Es lassen sich Zwischenstufen erfassen, also etwa, dass ein Kaffee manchmal lauwarm ist. Oder dass Thomas und Rainer beide groß sind, Rainer aber der „ein bisschen“ Größere.
Laut Zadeh funktioniert diese mit unscharfen Beschreibungssets agierende Herangehensweise genauer als jede Ja-Nein-Logik mit komplizierten, exakten Berechnungen. „Fuzzy Logic ist präzise“, sagt der 23fache Ehrendoktor. „Sie beschäftigt sich mit präzisen Modellen dessen, was unpräzise ist.“ Denn, wenn die Welt schon konfus ist, dann lässt sich ihre Komplexität zumindest sprachlich klar anhand von Wahrnehmungen beschreiben.
Überrascht hat Zadeh, dass seine Theorie in den Steuereinheiten von Maschinen und Verbraucherelektronikartikeln wie Kameras, Blutdruckmessern oder Mikrowellenöfen in die Praxis umgesetzt wurde. Eigentlich dachte er, dass zunächst Humanwissenschaften wie die Psychologie davon Gebrauch machen würden.
Als Nächstes, ist sich Zadeh, ein Fan Künstlicher Intelligenz (KI), sicher, werden Suchmaschinen im Internet mit Fuzzy Logic operieren und sich in Frage-und-Antwort-Systeme verwandeln. „An diesem Punkt wird das Verstehen natürlicher Sprachen entscheidend“, weiß Zadeh. Dies gehe nur mit möglichst genauen Beschreibungen der zunächst per se unscharfen Wahrnehmungen mit der menschlichen Sprache, die dann auch vom Rechner verarbeitet werden könnten. Dies würde der KI insgesamt neue Wege öffnen.
STEFAN KREMPL
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