Hochschule 28.07.2000, 17:26 Uhr

Nur gut zu sein, reicht nicht

Eine praxisnahe Ausbildung ist im Ingenieur-Studium heute selbstverständlich. Für ihre besten Studenten bieten manche Institute auch die Chance zur Kooperation mit US-Hochschulen.

Christian Haupt entwickelt beim Bonner Traditionsunternehmen Moeller elektronische Steuerungssysteme, die nach Softwareprogrammen arbeiten können (SPS). Der 30-Jährige hat sein Metier von der Pike auf gelernt. Nach dem Abitur ließ er sich bei der Telekom zum Kommunikationselektroniker ausbilden, dann machte er nach sieben Semestern Fachhochschule den Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik.
Rückblickend verdankt er dem Studium Methodenwissen in technischen Belangen, ohne die er keine Innovationen austüfteln könnte. Betriebsabläufe zu überschauen, lernte der Entwicklungsingenieur erst im Job. Hier trägt er wie selbstverständlich die gesamte Produktverantwortung über fünf „Meilensteine“ von der Idee über die „Entwicklung“ – also die technische Lösung – bis zum Prototyp und dem grünen Licht der Geschäftsleitung für die Serienproduktion.
Der Entwickler wird so zum Marathon-Mann, der die Abläufe auch jenseits seines eigentlichen Aufgabenfeldes mit dem Fertigungsbereich, „dem Werk“, und dem Marketing koordiniert. Aber auch selbst in der Entwicklungsabteilung, in seinem Kerngeschäft, denkt Christian Haupt zugleich immer daran, „was die anderen denken“, die Einkäufer zum Beispiel.
Entwickeln heißt, kostengünstig konstruieren. Die neue Schaltung findet im Unternehmen umso mehr Anklang, wenn der Konstrukteur zugleich sagen kann, wo zu welchem Preis die nötigen Bauteile zu haben sind.
Moeller ist nicht der Größte in der deutschen Elektro-Branche, aber ein Großer. In kleineren und weniger gegliederten Unternehmen, gerade in innovativen Start-ups, spielt der Entwicklungsingenieur notgedrungen noch mehr die Rolle des Allrounders. Die erweiterten Anforderungen im Betrieb (neudeutsch: „job enrichment“) kommen mittlerweile (als „educational enrichment“) auch im universitären Ingenieurstudium stärker zur Geltung.
Ein Musterbeispiel bietet das „Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre“ (WZL) der Technischen Hochschule Aachen. Bis zum Vordiplom steht, wie Professor Walter Eversheim formuliert, „Grundlagenwissen, das nicht veraltet“, auf dem Lehrplan. Im Hauptstudium geht es dann um die Lösung konkreter Fallbeispiele aus dem Unternehmensalltag.
Ein Team von vier Studenten wird im Rahmen der „Technischen Investitionsplanung“ etwa mit der Frage konfrontiert, ob sich eine real existierende Firma eine neue Drehmaschine anschaffen soll. Eine große oder besser eine kleine, eine, mit der man außerdem auch fräsen kann – oder vielleicht gar keine, sondern ein ganz anderes Instrument?
Zur Klärung hat die Projektgruppe zwei bis drei Monate Zeit. Betreut und kontrolliert von einem wissenschaftlichen Assistenten, analysieren die Studenten die Arbeitsprozesse in dem Unternehmen, sie informieren sich zum Beispiel bei Messebesuchen über Produktangebote und stellen ihre Ergebnisse in einer „Abschlusspräsentation“ vor der Geschäftsleitung dar – wie im richtigen Leben.
Wer Entwicklungsingenieur werden will, hat sich als Projektmanager im Team zu beweisen. Er soll Verantwortung für die Gruppe übernehmen, sich durchsetzen können, ohne die anderen dadurch zu demotivieren. „Er muss“, so Eversheim, „in Wort und Schrift kommunizieren können“, was offenbar nicht immer selbstverständlich war. Erst solche „soft skills“ qualifizieren für Führungsaufgaben.
Die fachlich-technische Kompetenz können die Studenten auf freiwilliger Basis in den Lernwerkstätten des „Aachener Demonstrationslabors für Integrierte Produktionstechnik“ (ADITEC), einer bundesweit einmaligen Hochschuleinrichtung nach dem Muster amerikanischer Teaching Factories, vervollkommnen.
Sie haben hier die Chancen, industrienahe Aufgaben (annähernd) ganzheitlich zu lösen. Oberingenieur Oliver Terhaag nennt als Beispiel die Weiterentwicklung eines Getriebes. Dabei geht es zunächst um die Aufgabenklärung – womöglich aufgrund einer Anregung vom Marketing -, dann die Konstruktion, die Arbeitsplanung, die Fertigung und schließlich die Montage
Der angehende Konstrukteur soll selber probieren, ob sich die Teile wirklich so leicht zusammensetzen lassen, wie er sich das vorstellte. Die Übung geht über ein Semester und beansprucht einen Tag pro Woche. Die besten WZL-Studenten dürfen ihre Diplomarbeit in Amerika schreiben, bei Ford oder am Massachusetts Institute for Technology.
Im Vergleich zwischen der elitären WZL-Ausbildung und dem Werdegang des Dipl.-Ing. (FH) Christian Haupt fallen die Unterschiede zuerst ins Auge, vor allem in der Studiendauer: TH-Absolventen brauchen oft zwei Mal sieben Semester, mit 30 Jahren brüten sie noch ihre Doktorarbeit aus. Gleichwohl: Bei Moeller zum Beispiel haben Entwicklungsingenieure von der FH und der TH die gleiche Funktion und das gleiche Gehalt.
Was „Produktionssystematik“ ist, hat der Absolvent der Fachhochschule, anders als sein Kollege mit einem Universitäts-Diplom, im Studium nicht gehört, aber im Berufsalltag doch rasch begriffen. Haupts persönliche Entwicklungs-Maxime: Gut sein allein reicht nicht, man muss auch schnell sein. Das beste Beispiel ist sein früherer Gruppenleiter, inzwischen als Hauptabteilungsleiter ganz oben in der Firmenhierarchie. Er hat seine Ingenieurausbildung an einer Berufsakademie genossen. HERMANN HORSTKOTTE
Walter Eversheim, Professor an der RWTH Aachen, arbeitet mit seinen Studierenden eng an Problemen der Praxis.

Ein Beitrag von:

  • Hermann Horstkotte

    Hermann Horstkotte ist freier Journalist und  lehrte als Privatdozent an der RWTH Aachen. In Bonn arbeitet er als Bildungs- und Wissenschaftsjournalist.

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