„Keine schlechten Unis in Deutschland“
VDI nachrichten, Düsseldorf, 18. 1. 08, has – Deutsche Hochschulen gehörten international nicht zu den Spitzen-Universitäten, aber das deutsche Hochschulsystem sei eines der besten der Welt, meint der Elitenforscher Michael Hartmann von der TU Darmstadt. Vergleiche mit den USA seien problematisch und von politischen Interessen bestimmt.
Hartmann: In den USA gibt es rund 4200 Universitäten. Das beginnt mit einem Niveau, vergleichbar den letzen Klassen der gymnasialen Oberstufe, und das reicht bis Harvard und Yale. Mit unseren Universitäten vergleichbar ist nur die oberste Gruppe, die gut 150 so genannten Research-Universitäten, Kategorie I. Dann gibt es noch rund 250 Hochschulen, die den deutschen Fachhochschulen ähnlich sind. Mehr als 3500 US-Hochschulen haben mit unseren Hochschulen nichts gemein.
VDI nachrichten: Warum sind hochschulpolitische Vergleiche so populär?
Hartmann: Da spielen politische Interessen eine Rolle. Man kann sagen, dass auch in einem elitären System wie in den USA der Zugang zur Universität für alle offen ist. Die Bildungsgerechtigkeit scheint größer zu sein als in Deutschland mit seinem ausgeglicheneren Hochschulsystem. Harvard und Princeton z. B. übernehmen die Studiengebühren für Studenten aus unteren Schichten. Außerdem findet Hochschulpolitik in Deutschland unter einer Maxime statt: Es darf nicht mehr kosten, obwohl es mehr Studenten geben wird, es soll nur besser aussehen. Hinzu kommt noch, dass viele, die solche Vergleiche anstellen, wie deutsche Wissenschaftsminister, aber auch Journalisten, schlecht informiert sind.
VDI nachrichten: Was sind die Vorteile des deutschen Systems?
Hartmann: Sie sind international nicht unter den Spitzen-Unis, aber das deutsche System gehört zu den drei besten der Welt. Es gibt in Deutschland, und das sagen alle Experten, die sich im Ausland auskennen, keine schlechten Hochschulen, es gibt nur weniger gute. In Ländern mit einem Elite-System, z. B. den USA und Frankreich, gibt es auch miserable Hochschulen. Die Stärke des deutschen Systems ist, dass Studenten auf einem hohen Niveau im internationalen Vergleich Forschung und Lehre erfahren. Wenn man das US-System so zu kopieren versucht wie geplant, wird dieser Vorteil wegfallen.
VDI nachrichten: Wie wird das Hochschulsystem in Deutschland künftig aussehen?
Hartmann: In zehn oder 20 Jahren werden wir einige Unis haben, die ein wenig näher an die Spitzen-Unis der USA herangekommen sind, ohne sie je erreichen zu können, es wird aber viele geben, die deutlich schlechter sind als heute. Es wird kein Nullsummenspiel werden, sondern insgesamt sogar einen Verlust an wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit geben.
VDI nachrichten: Kommen in den USA die besten Studenten an die Elite-Unis?
Hartmann: Es kommen nicht einfach die Besten dorthin. Ausgewählt wird vor allem nach sozialer Herkunft. An den 20 Spitzen-Unis kommen 80 % der Studierenden aus den oberen 20 % der Bevölkerung. Die unteren 80 % der Bevölkerung stellen nicht mehr Studierende als die oberen 2 %. An den Eliteuniversitäten sind die Lebenshaltungskosten so hoch, dass viele sie nicht bestreiten können, auch wenn ihnen die Gebühren erlassen werden. In den Auswahlgesprächen wird außerdem großes Gewicht auf „character and leadership“ gelegt, also auf Persönlichkeit und Führungsstärke. Gesucht werden Studenten, von denen angenommen wird, dass sie später wichtige Führungspositionen bekleiden. Diese Kriterien können Bewerber aus den mittleren und unteren Schichten zumeist nicht erfüllen. So ist eine Bewerberin in Harvard gescheitert, obwohl sie zu den Besten des Jahrgangs zählte, aber sie war in den Augen der Jury zu schüchtern.
VDI nachrichten: Dann wird ein Teil der Begabungen nicht genutzt?
Hartmann: In den USA werden durch die Auswahl die sozialen Herrschaftsverhältnisse reproduziert. Viele gute Schüler bewerben sich nicht bei den besten 20 Unis, die bewerben sich noch nicht mal bei den besten 100, weil sie erwarten, dass sie bei einer weniger guten Uni eine Zusage bekommen und das Studium dort auch bezahlen können.
VDI nachrichten: Auch Frankreich hat Elite-Unis. Was ist der Unterschied zu den USA?
Hartmann: An den französischen Spitzen-Hochschulen, mit Ausnahme der Ecoles normales superieurs, spielt wissenschaftliche Leistungsfähigkeit keine große Rolle. Die drei für die Elitenbildung wichtigsten Hochschulen (ENA, Ecole polytechnique, HEC) legen im Kern nur Wert darauf, Führungspersonal auszubilden. Ob das wissenschaftlich auf hohem Niveau passiert, ist zweitrangig. Es gibt, wie in den USA, eine tiefe Spaltung: Die Grandes Ecoles sind sehr gut ausgestattet, die staatlichen Hochschulen wesentlich schlechter, z. T. sogar miserabel. Da sind dann die Fenster kaputt, den Bibliotheken fehlen viele wichtige Bücher und Forschung gibt es einfach nicht.
VDI nachrichten: Haben Außenseiter oder originelle Köpfe künftig noch eine Chance in der elitären deutschen Uni-Welt?
Hartmann: Der Exzellenz-Wettbewerb widerspricht dem wissenschaftlichen Wettbewerb, der auf der Konkurrenz unter Wissenschaftlern, nicht aber ganzen Universitäten und auf innovativen Ideen beruht. Ob und wie Wissenschaftler auf solche Ideen kommen, das lässt sich nicht planen. Der Physik-Nobelpreisträger Peter Grünberg hat z. B. in den 80er Jahren etwas gemacht, was viele seiner Kollegen damals belächelt haben.
H. STEIGER
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