Die Scheu des Ingenieurstudenten vor dem Ausland
VDI nachrichten, Berlin, 18. 5. 07, ws – Die Wirtschaft bewegt sich auf internationaler Bühne, die Globalisierung verlangt nach sprachgewandten Fachleuten mit kulturellem Feingefühl. Angehende Ingenieure aber bleiben häufig lieber zu Hause als ihren Erfahrungshorizont im Ausland zu erweitern. In Berlin bildete eine Studie zur Auslandsmobilität die empirische Grundlage für eine rege Diskussion über Bildungsreformen.
Europas Bildungsminister haben einen Traum. Er handelt von einem Kontinent ohne Hochschulgrenzen, in dem Studierende zwei Semester in Berlin verbringen, um das Studium übergangslos in Madrid oder Helsinki fortzuführen.
Der Traum hat seine Wurzeln in einer Konferenz des Jahres 1999, als Vertreter aus 29 Ländern die Erklärung von Bologna unterzeichneten. Verbindlich ist das Abkommen nicht, sodass jedes Land bei der Gestaltung über große Freiräume verfügt. Kocht aber jeder sein eigenes Bildungssüppchen, wo bleibt dann der Traum vom einheitlichen Bildungs-Europa? Ein Balanceakt, den alle beteiligten Staaten noch bis 2010 üben. Dann soll der Prozess in groben Zügen abgeschlossen sein.
Neben der Förderung internationaler Wettbewerbs- und Beschäftigungsfähigkeit geht es Politik, Wissenschaft, und Wirtschaft um die Mobilität. Hier aber fragen Zweifler: Wie kann es innerhalb eines verschulten und mit sechs oder sieben Semestern gerafften Bachelor-Studiums, das schließlich das Regelstudium sein soll, gelingen, Auslandsaufenthalte zu integrieren?
Der Leitsatz deutscher Finanzminister, nur ein (zeitlich) „kurzer“ Student sei ein guter Student, dürfe nicht als entscheidendes Argument für ein Qualitätsstudium herhalten, mahnte ein Podiumsteilnehmer auf einer Tagung zur Auslandsmobilität Studierender, veranstaltet von Bildungsministerium und Deutschem Akademischen Auslandsdienst (DAAD) in Berlin. Ohne eine zeitliche Abweichung von der Regelstudienzeit seien Auslandsaufenthalte kaum möglich, so die überwiegende Meinung unter den Teilnehmern.
„Besonders die Ingenieure machen uns Sorgen“, kommentierte Ulrich Heublein vom Hochschul-Informations-System (HIS) eine Studie, für die die Hochschulforscher bundesweit über 5000 Studierende befragten. Die Wirtschaft bewege sich immer stärker im internationalen Raum, aber wichtige Leistungsträger verharrten im Stillstand, besonders die Ingenieure.
Während Mediziner (30 %) und Kulturwissenschaftler (29 %) besonders häufig ins Ausland gehen, entscheiden sich nur 16 % der Ingenieurstudenten dazu. „Würden wir allein die FH-Studierenden in den Ingenieurwissenschaften nehmen, wäre das Ergebnis noch deprimierender“, so Heublein.
An Fachhochschulen beträgt der Anteil Reisewilliger unter allen Bachelorstudierenden nur 9 % (zum Vergleich: 30 % der Masterstudenten an FH und Uni begaben sich bereits ins Ausland). An Fachhochschulen und Unis halten 38 % der Ingenieurstudenten einen Bildungs-Trip für überflüssig. Die angehenden Ingenieure, die ihre Koffer packen, wählen bevorzugt ein Praktikum (50 %) im Ausland, seltener (40 %) einen Studienaufenthalt.
Heublein stellt nicht in Abrede, „dass sich das straffer organisierte Bachelorstudium als hemmend auf die Auslandsmobilität auswirken mag“. Der Forscher weist aber darauf hin, dass Studierende nicht gleich in den ersten beiden Semestern ins Ausland gehen, sondern erst frühestens zu Beginn des dritten Studienjahres, was eine zeitliche Verschiebung ins Masterstudium nahelegt. Die Alternative: Die Studierenden nehmen eine zeitliche Streckung ihrer Bachelorstudien in Kauf.
Diesen Schritt aber scheuten viele Bachelorstudierende. Sie hätten Angst, bei der Studienplanung könnten sich Probleme einstellen und der durch den Auslandsaufenthalt entstandene Zeitaufwand nicht ausgeglichen werden.
Die Hochschulen seien gefordert, für flexiblere Curricula zu sorgen, meint Matthias Huening von der Freien Universität Berlin. Die Auslandseinsätze sollten nicht nach dem Motto verlaufen „Hauptsache Ausland“. „Wir müssen schauen, mit welchen Unis wir kooperieren: Was ist übertragbar? Stimmt das Niveau überein?“
Die Hochschulen sollten transparente Angebote schaffen, die den Wechsel an eine ausländische Partner-Uni unterstützten und erleichterten. Huening: „Wenn wir das nicht schaffen, wird die Reform scheitern.“
Viele Studierende, die mit einem Auslandsaufenthalt liebäugeln, fühlen sich jedoch von ihrer Hochschule alleingelassen. Laut Studie klagt knapp die Hälfte der Befragten über geringe Unterstützung bei ihren Planungen.
Christine Schneider studiert an der Humboldt Universität Berlin und weiß durch die Betreuung von Bachelorstudenten, wo die Planungsfreiheiten an Grenzen stoßen: „Die Studierenden müssen sich schon im ersten Semester über ihren späteren Auslandsaufenthalt Gedanken machen, dabei sind die Lernmodule eng gefasst.“ Das schüre die Angst, es in der vorgegebenen Studienzeit nicht zu schaffen, und trübe die Vorfreude aufs Ausland.
Große Probleme, weiß Schneider, bereitete die Finanzierung – was die HIS-Studie bestätigt: Rund die Hälfte der Befragten machen finanzielle Schwierigkeiten für das Scheitern ihrer Auslandsplanungen verantwortlich – womöglich auch, weil Studiengebühren ein weiterer finanzieller Klotz am Bein sind.
Ihre Auslandsaufenthalte, die die meisten Studierenden in Westeuropa und Nordamerika (insgesamt 78 %) und nur wenige in Osteuropa (10 %) verbringen, sehen angehende Akademiker vor allem unter dem Aspekt, Erfahrungen zu sammeln und andere Kulturen kennenzulernen. Die Erweiterung des Fachwissens rangiert auf der Wunschliste im hinteren Mittelfeld.
Im internationalen Vergleich braucht sich Deutschland vor anderen Ländern nicht zu verstecken, insbesondere nicht vor den großen Industrienationen. China stellte 2004 mit 381 330 Auslandsstudierenden die größte Gruppe, das sind 2,5 % aller Studenten im Land. Deutschland entsandte nur 62 000 Studierende, lag aber mit 2,7 % der Studentengemeinschaft vor China und weit vor allen anderen Europäern.
Durch Doppelabschlüsse in zwei europäischen Ländern, durch den Abbau von Visabeschränkungen und die Annäherung curricularer Inhalte wird der Bologna-Prozess Grenzen aufbrechen, aber die für Deutschland typische frei organisierte Langzeit-Mobilität wird in der studentischen Karriere wohl der Vergangenheit angehören.
WOLFGANG SCHMITZ
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