Der Traum von 100 PS ist zum Greifen nah
Wenn die Formula Student Germany (FSG) am 5. August 09 am Hockenheimring starten wird, ist das Rennteam der Technischen Universität Darmstadt (TU) bereits zum vierten Mal dabei. Die Teammitglieder, 50 Studierende an der Zahl, wissen schon heute, dass sie mit ihrem Boliden mindestens ein Ass im Ärmel haben. Nämlich ein einteiliges Karbon-Monocoque. Und vieles mehr. VDI nachrichten, Düsseldorf, 17. 7. 09, jul
Da steht er, der „delta2009“, der neue Bolide des „Dart Racing Teams“ der TU Darmstadt. Noch ist sein Chassis verklebt, noch lässt sich das Design nur erahnen – irgendwo in einem Hinterhof auf dem Gelände des Fachbereichs Maschinenbau der TU Darmstadt. Wer den Ort nicht kennt, wird sich kaum dorthin verirren, wo rund 50 Studierende ihren neuen Boliden die vergangenen Tage unter Hochdruck zusammengebaut haben. Wuchtig kommt der Rennwagen in diesem Jahr daher. Größer als seine Vorgänger. Und das hat einen guten Grund: „Um den geforderten Schablonen des Reglements zu entsprechen, mussten wir das Monocoque größer bauen“, erläutert Matthias Herling, der beim Dart Racing Team fürs Marketing und die Finanzen verantwortlich ist.
Obwohl das Darmstädter Team am Hockenheimring längst zu den alten Hasen gehört – inzwischen startet das Rennteam zum vierten Mal auf deutschem Boden – ist der Stress nicht geringer als beim ersten Mal. „Wir können zwar heute auf eine Struktur zurückgreifen, die wir uns im Laufe der Jahre erarbeitet haben, aber wir haben in diesem Jahr zum ersten Mal einen Vollkarbon-Monocoque entwickelt und gebaut“, erklärt Thorsten Röse, der in der Abteilung Marketing das Team unterstützt. Hier blitzt der Stolz in seinen Augen. Schließlich sei das ein absolutes Novum. „Bisher haben wir Chassis gebaut, die zweiteilig waren. Vorne aus Kohlefasern und hinten saß der Motor in einem Stahlkäfig. Aufgrund des Fehlens eines Heckrahmens können wir in diesem Jahr zum einen Gewicht einsparen und zum anderen eine höhere Steifigkeit im Gesamtchassis gewährleisten“, fährt Röse fort.
Dabei haben die Darmstädter nicht etwa ein Karbon-Monocoque herstellen lassen, sondern sie haben selbst Hand angelegt. „Arbeiten mit Kohlefasern werden hauptsächlich in Eigenleistung vom Team gestemmt. Hier kommen uns das Wissen und die Erfahrung der Alumni vom Dart Racing Team zugute“, weiß Herling.
Dass sich der enorme Zeitaufwand dafür gelohnt hat, daran zweifelt keines der Teammitglieder. „Die Motivation des Teams und des Einzelnen liegt in der Eigenentwicklung von Bauteilen bis hin zu ganzen Baugruppen, deswegen wurden alle Komponenten des “gamma2008“ auf die Möglichkeit einer Eigenkonstruktion hin analysiert. Diese Arbeit hat uns alle enorm angespornt. Neben dem Teambenefit kommt also noch der persönliche Benefit hinzu“, so Röse.
Was jedoch ist mit den Teilen und den Veränderungen, die kaum jemand sieht? Beispielsweise mit den Veränderungen, die im tiefsten Inneren des Motors vorgenommen wurden? „Den Motor wertet die Jury im Cost Report als Gesamtpaket. Das heißt, für die Jury ist der Motor in dem Moment ein Suzuki GXL 600 Motorrad-Motor. Nicht mehr und nicht weniger“, weiß Johannes Uhlich, der im Team u. a. für den Motor verantwortlich ist. Dennoch ist sich Uhlich sicher, dass die vorgenommenen Optimierungen am Motor von der Jury honoriert werden. „Im Business-Plan kann der Motor als Baugruppe ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den anderen Teams einnehmen und auf der Strecke stellt er die benötigte Antriebsleistung zur Verfügung und kann durch optimale Abstimmung mit Fahrwerk und Reifen siegentscheidend sein“, erklärt Uhlich.
Schließlich soll der Motor in diesem Jahr die 100 PS knacken. Und dass er das packt, dafür stehen die Chancen gut. „Schon im letzten Jahr stellten wir mit 98,6 PS den stärksten Motor der Formula Student. In diesem Jahr erhoffen wir uns eine dreistellige Leistungszahl“, so Uhlich. Und schon verschwindet er wieder in Richtung Bolide. Die Zeit ist nämlich knapp.
Denn während in der Werkstatt noch auf Hochtouren am „delta2009“ geschraubt wird, wird im neuen Eingangsgebäude der TU Darmstadt schon alles für seinen ersten großen Auftritt vorbereitet. Auch wenn die Reise nach Silverstone – und damit der erste Praxiseinsatz – noch ein paar Tage auf sich warten lässt, läuft der erste große Countdown in wenigen Stunden ab. Dann nämlich, wenn honorige Gäste – die Sponsoren des Dart Racing Teams sowie Familie und Freunde der Teammitglieder – gespannt auf den Boliden schauen und in einer aufwendig gestalteten Abendshow einen Blick auf sein Können werfen.
Doch vorher sei noch eine kurze Reise in die Vergangenheit erlaubt zu den Wurzeln des Dart Racing Teams, das im Jahr 2006 zum ersten Mal bei der Formula Student Germany dabei war. Die Boliden „alpha2006“, „beta2007“ und „gamma2008“ präsentieren sich nämlich den Gästen direkt beim Eintritt in die Halle. Dabei wirkt der alpha schmächtig im Vergleich zu seinen Nachfolgern. Doch auch er konnte sich damals am Hockenheimring bereits in Szene setzen – als zweitbester Newcomer.
„Einen Quantensprung haben wir dann mit dem “beta2007“ erreicht“, berichtet Röse. „Damals haben wir zum ersten Mal in der Rekordzeit von nur neun Monaten ein Halbkarbon-Monocoque entwickelt und gefertigt, das jedoch noch zweiteilig war. Der Heckrahmen war noch aus Stahl, der hinter dem Fahrersitz angeschraubt wurde und den Motorraum aufnahm.“
Mit einem Vollkarbon-Monocoque soll der „delta2009“ bei der Formula Student überzeugen
Auf diesem Konzept bauten die Darmstädter im vergangenen Jahr auf. Herling: „In erster Linie wollten wir 2008 die vorhandene Konstruktion optimieren. Bemerkenswerte Neuerungen waren die einzigartigen Karbon-Querlenker sowie leichtgewichtige Carbon-Felgen.“ Dass jenes Konzept genau das richtige war, erwies sich am Hockenheimring. Dort landete der Bolide im vergangenen Jahr auf Platz sieben der Gesamtwertung. Darüber hinaus belegten die Darmstädter bei den „Baltic Open“ Platz eins.
Inzwischen ist der große Augenblick für die 50 Teammitglieder Wirklichkeit geworden: Der „delta2009“ steht auf der Bühne in der Empfangshalle der TU im ersten Blitzlichtgewitter der Formula Student-Saison 2009. Aufatmen. Noch knappe zwei Stunden, dann werden die Gäste eintreffen. Bis dahin wird der Bolide noch einmal auf Herz und Nieren geprüft. Hier wird poliert, dort nachgestellt. „Durch die weißen Streifen wirkt der Bolide schlanker als er eigentlich ist“, meint Röse mit einem Augenzwingern.
Dass die Mitglieder des TU Racing Teams nicht nur in der Werkstatt ihr Bestes geben, sondern auch auf der Bühne in der Eingangshalle, daran zweifelt später keiner der rund 300 Gäste.
Der „delta2009“ muss sich zwar erst noch in der Praxis bewähren, aber seinen ersten großen Auftritt besteht er mit Bravour. So fällt der Blick in eine Schar strahlender Studierender. Wie weg geblasen ist die Müdigkeit manch eines Tüftlers, der die letzten Nächte in der Werkstatt verbracht hat. jul
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