Der Herr Professor ist sein eigener Chef
VDI nachrichten, Berlin, 14. 1. 05 -Im brandenburgischen Wildau sind Hochschule und Wirtschaft eng verzahnt. Logistikprofessor Bernd Hentschel hat direkt neben der Technischen Fachhochschule eine eigene Firma aufgebaut. Für seine Studenten ist die praktische Erfahrung ein großer Gewinn.
Der Professor sorgt sich nicht um den akademischen Nachwuchs. „Es schadet Studenten nicht, wenn sie sich frühzeitig mit den Widrigkeiten der Produktion herumschlagen“, sagt Logistikprofessor Bernd Hentschel, und schickt seine Schützlinge regelmäßig „in die Produktion.“ Denn Bernd Hentschel ist nicht nur Professor an der Technischen Fachhochschule Wildau, sondern auch sein eigener Chef. Und als dieser wirbt der 63-Jährige ständig Aufträge aus der Industrie ein. Zum Beispiel von Rolls-Royce.
Rolls-Royce baut in Dahlwitz bei Berlin schubstarke Antriebe für Reiseflugzeuge von Bombardier und Gulfstream. Aus Kostengründen wollte das Management die Fertigungszeiten der Triebwerke um die Hälfte verkürzen und fahndete nach einem kongenialen Logistiker.
Die Manager mussten nicht lange suchen, denn sie wurden in der Nachbarschaft, in Wildau, fündig. Bernd Hentschel, Professor für Logistik an der TFH Wildau, war der richtige Mann. Denn Hentschel bietet, was andere Hochschulen nicht immer präsentieren können: eine effektive Verzahnung von Hochschule und Wirtschaft. „Normalerweise vergibt Rolls-Royce solche Aufträge nicht an Hochschulen, weil das Unternehmen später keine Ansprüche zur Gewährleistung anmelden kann“, sagt Hentschel. „Da der Auftrag aber an meine eigene Firma ging, konnten wir diesen heiklen Punkt absichern und zugleich die Studenten beteiligen.“ Und den angehenden Logistikern gelang es unter Anleitung ihres Chefs, die Fertigungsdauer von Flugzeugtriebwerken bei Rolls-Royce zu halbieren.
Seit 14 Jahren betreibt Hentschel die Projektlogistik GmbH, deren alleiniger Gesellschafter er ist. 1998 zog die Firma von Berlin in neue Räume unmittelbar neben der Hochschule am S-Bahnhof in Wildau um. Die Liste der Projekte ist eindrucksvoll, der Jahresumsatz erreichte 2003 rund 530 000 €. „Die Firma ist zwar in unmittelbarer Nachbarschaft zur TFH angesiedelt, hat aber keine Verbindung zu ihr“, erklärt Bernd Hentschel. „Damit umgehe ich den internen Verwaltungsapparat.“
Das macht flexibel. Als Rolls-Royce rief, stellte Hentschel sofort vier Ingenieure seiner Firma für das Projekt ab und berief zwölf Studenten aus seinen Vorlesungen. Das Team ackerte vier Monate lang rund um die Uhr. Die Ergebnisse gehören Rolls-Royce, „doch jedes aktuelle Projekt fließt in die Vorlesungen mit ein“, betont Hentschel. Die beteiligten Studenten erhielten vom Unternehmen ein Zertifikat, das ihnen den Weg ebnete: „Alle zwölf haben mittlerweile einen Arbeitsplatz.“
Über seine Firma setzt Hentschel die jungen Leute auf die verschiedensten Probleme an: Sie optimierten den Lagerbestand für Ersatzteile bei der MTU Maintenance GmbH im brandenburgischen Ludwigsfelde. Das Unternehmen wartet und repariert kleinere Flugzeugtriebwerke der unteren Leistungsklasse. Die Studenten konzipierten neue Ideen für das Handling von Passagiergepäck auf Flughäfen und berieten BMW-Autohäuser dabei, Qualitäts-managementsysteme einzuführen.
Auf der Themenliste stehen auch intelligente Unterflurentsorgungslogistik für Siedlungen oder Sicherheitslogistik für Flughäfen. Gemeinsam mit einem Unternehmen in Eisenhüttenstadt und einem Institut in Poznan entwickelten die Studenten einen Container, der Bruchglas in verschiedenen Farben sammelt und automatisch sortiert. Dadurch werden Fehleinwürfe korrigiert, Nichtglas wird ausgesondert. Dieser Container existiert bereits als Prototyp, das Gesamtkonzept erhielt den Technologie-Transfer-Preis Brandenburg.
Der doppelte Einsatz als Professor und Firmenchef setzt besonderes Engagement voraus. Seit zehn Jahren lehrt Bernd Hentschel in Wildau. Zuvor arbeitete der erfahrene Ingenieur 23 Jahre lang in einem DDR-Betrieb für Werkzeugbau. Aus dieser Zeit blieb ein kleines Ingenieurbüro übrig. Daraus erwuchs die Projektlogistik GmbH, für die er auch seine Wochenenden opfert.
Mittlerweile hat er elf Mitarbeiter, darunter Absolventen des Wildauer Studienganges Logistik. Die Aufträge werden direkt bei der Industrie eingeworben, die Fachhochschule bekommt höchstens Unteraufträge. Bernd Hentschel ist überzeugt, dass sich dieses Modell „auf jede andere Hochschule übertragen lässt“.
Die eigene Firma als Unabhängigkeitserklärung: TFH-Präsident László Ungvári unterstützt den unkonventionellen Weg seines Professors: „Wir wollen die Lokomotive der Region sein“, sagt er und spinnt selbst ein Netzwerk weit über regionale Grenzen hinaus, bis nach Polen, in die Slowakei, Ungarn, Kroatien und Österreich. „Wenn die Verwaltung mit der Bearbeitung der Forschungsanträge nicht hinterherkommt, bremst sie die Forschung aus. Das ist kein Modell für uns.“
Die TFH Wildau sieht sich als regionaler Wirtschaftsmotor, und beeindruckte sogar die Queen. Während ihres Staatsbesuchs im November machte Elizabeth II. auch Station bei Rolls-Royce in Dahlwitz und bestaunte das Wildauer Forschungsprojekt. Und sogar die britische Boulevardpresse stimmte in die Lobeshymnen ein: „Deutsche Studenten helfen Rolls-Royce“, schrieb die „Sun“.
Und die nächsten Schlagzeilen sind in Arbeit. Denn Bernd Hentschel ist in Wildau kein Einzelfall. Mehrere seiner Kolleginnen und Kollegen betreiben ebenfalls eigene Firmen oder stehen mit ihren Instituten mit einem Bein in der Hochschule und mit einem Bein in der freien Wirtschaft. Diese Strategie trägt Früchte, und das trotz des wirtschaftlich schwächelnden Hinterlandes und eines völlig ramponierten Hochschuletats im Land Brandenburg.
Doch den chronischen Geldmangel wollen die Wildauer Forscher nicht als Hinderungsgrund akzeptieren. Sie gehen eben neue Wege und haben dabei, so Hentschel, vor allem ein Ziel: „Wir wollen junge, fähige Leute in der Region halten, um die Abwanderung der Akademiker aus Brandenburg in die westlichen Bundesländer zu stoppen.“CHRISTOPH SCHLEGEL
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