Als Partner der Technik wahrnehmen
VDI nachrichten, Hannover, 22. 12. 06, ws – Technik- wie Naturwissenschaften wären schlecht beraten, würden sie die Geisteswissenschaften nicht in Forschungen und Lehrinhalte miteinbeziehen, meint Peter Strohschneider, Vorsitzender des Wissenschaftsrates.
Strohschneider: Dass die deutschen Geisteswissenschaften wieder angemessen wahrgenommen werden. International steht sowohl ihre Forschungsintensität als auch Forschungsqualität an der Spitze – und das trotz Unterfinanzierung und Überlastung durch die Lehre. Und die Geisteswissenschaftler sollten als Experten wahrgenommen werden.
VDI nachrichten: Wie würden Sie dieses Expertenwissen in Kurzform fassen?
Strohschneider: Komplexe Gesellschaften würden sofort implodieren, wenn sie nicht ein einigermaßen komplexes Bild von sich selbst hätten. Und die Möglichkeit, dass sich die Gesellschaft selbst betrachten und reflektieren kann, bieten die Geisteswissenschaften. Sie stiften kulturelle, politische, gesellschaftliche Selbstvergewisserung, Selbst-Bewusstsein und wissenschaftliches Wissen, das die Gesellschaft braucht, um die Freiheit zu sichern. Dazu gehört auch Wissen über gesellschaftliche Alternativen, Wissen, dass es anders sein könnte, als es ist.
VDI nachrichten: Dieser geistige Wert scheint im Vergleich zum Nutzen von Technik und Naturwissenschaft nur schwer fassbar.
Strohschneider: Vielleicht. Aber Wissenschaften begründen sich nicht über ihren unmittelbaren Nutzen, sondern über ihre Erkenntnis-Leidenschaft, die langfristig Wirkung hat. Das trifft auf alle Wissenschaften zu. Niemand kann heute den Nutzen der Kybernetik, der Künstlichen Intelligenz oder der Hirnforschung beziffern. Trotzdem bekommen diese Fächer viel Geld, was ihnen wiederum den Anschein von Relevanz verschafft. Von diesem Denken ausschließlich in Kosten-Nutzen-Relationen müssen wir uns in der Wissenschaft verabschieden.
VDI nachrichten: Sollten sich die Geisteswissenschaften denn noch stärker an gemeinsamen Projekten mit Technik- und Naturwissenschaften beteiligen?
Strohschneider: Wo sich das anbietet, auf jeden Fall. Auch andere Disziplinen benötigen – und suchen übrigens – geisteswissenschaftliches Wissen, etwa an der Mensch-Maschine-Schnittstelle oder in den Neurowissenschaften. Denn die Messung der Hirnaktivitäten allein sagt wenig über den Sinn aus, den das Subjekt mit der Welt und seinem Leben verbindet. An solchen Schnittstellen ist geisteswissenschaftliches Wissen nötig. Gerade in „ihrem“ Jahr sollten die Geisteswissenschaften deshalb auch kräftig mit ihrer Forschung werben. rkb
Der Wissenschaftsrat berät die Bundesregierung und die Ländervertretungen in Fragen zu Hochschule, Forschung und Wissenschaft.
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