Interview 27.11.2025, 14:00 Uhr

Re-skilling ist Chefsache

Jörg Friedrich, Abteilungsleiter Bildung beim VDMA, erklärt, wie Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, wenn sich Arbeitsplätze rasant verändern. Er beschreibt, was Re-skilling wirklich bedeutet, welche Kompetenzen künftig entscheidend sind und wie Führungskräfte Mitarbeiter motivieren und strategisch weiterqualifizieren können. Ein Blick auf Skill-Gaps, digitale Personalplanung und die ureigene Verantwortung der Unternehmen in Zeiten von KI und technologischem Wandel.

Dr. Jörg Friedrich

Dr. Jörg Friedrich bei der Expertenrunde des VDI zur Initiative ‚Zukunft Deutschland 2050‘ in Darmstadt.

Foto: Witefield GmbH

Dr. Jörg Friedrich war auch bei der Expertenrunde dabei, zu der der VDI im Rahmen der VDI-Initiative „Zukunft Deutschland 2050“  nach Darmstadt eingeladen hat.

Herr Dr. Friedrich, wie definieren Sie eigentlich den Begriff „Re-skilling“? Was verstehen Sie darunter?

Dr. Jörg Friedrich: Beim Re-skilling erwerben Menschen neue Fähigkeiten und Kompetenzen, um eine andere berufliche Rolle oder Tätigkeit ausüben zu können. Man unterscheidet hierzu das Upskilling, bei dem die Mitarbeitenden sich für die gleiche Tätigkeit im Unternehmen weiterqualifizieren. In der digitalen Transformation, die wir aktuell erleben, sind neue Kompetenzen gefordert, die gleichermaßen für Re- und Upskilling wichtig sind.

Technologischer Wandel und Zukunftskompetenzen

Welche Änderungen sind aus Sicht des VDMA zu erwarten?

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Wir erleben aktuell einen großen Wandel in der technologischen Entwicklung, der sich immer weiter beschleunigt. Darauf müssen die Menschen in den Unternehmen vorbereitet werden. Und Bildungseinrichtungen müssen dies bei der Entwicklung ihrer Curricula berücksichtigen. Inhalte ändern sich immer schneller und neue kommen hinzu, andere müssen vielleicht wegfallen. Technologische Entwicklungen wie künstliche Intelligenz (KI) erfordern neue technische Kompetenzen, haben aber auch enorme Auswirkungen auf Bildungsprozesse im Unternehmen und in den Bildungseinrichtungen.

Wenn ich mir heute mithilfe von KI schnell Informationen beschaffen und weiterverarbeiten kann, muss ich mir überlegen, welche Kompetenzen die Menschen zukünftig brauchen und wie ich deren Leistungen bewerten will.

Wie sieht das konkret im Unternehmen aus?

Vielleicht hierzu ein Beispiel aus dem Bereich Maschinenkonstruktion: Früher nutzte man dafür Zeichnungen, heute werden 3D-Daten direkt aus der Konstruktion in die Produktion übermittelt und dort verarbeitet. Die Digitalisierung ermöglicht es mittlerweile, dass man einzelne Maschinen bis hin zur gesamten Fabrik über sogenannte digitale Zwillinge virtuell abbilden kann. Ganze Bereiche und deren Mitarbeitenden werden so im Unternehmen digital miteinander vernetzt.

Und was bedeutet das für die Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen über ihren eigenen Tellerrand hinausschauen und sich so ein grundlegendes Verständnis der Systeme und Prozesse im Unternehmen aneignen. Systemisches Denken und interdisziplinäre Zusammenarbeit werden daher im wichtiger. Das gilt besonders für Ingenieurinnen und Ingenieure der unterschiedlichen Fachrichtungen. Maschinenbauer, Elektrotechniker und Informatiker müssen immer enger miteinander bereichsübergreifend zusammenarbeiten. Diese Fähigkeiten nennen wir crossfunktionale Kompetenzen.

Crossfunktionale Kompetenzen – den Begriff habe ich in diesem Zusammenhang noch nicht gehört.

Crossfunktionale Kompetenzen beschreiben – vereinfacht gesagt – fachliche und methodische Fähigkeiten, die man braucht, um mit anderen im Unternehmen zusammenzuarbeiten. System Engineering, Process Engineering oder Projektmanagement sind hierfür Beispiele. In unserer Studie „Future Skills …“, die der VDMA zusammen mit der Kienbaum Unternehmensberatung erarbeitet hat, unterscheiden wir vier Kategorien von Kompetenzen: funktionale, crossfunktionale Kompetenzen, Verhaltenskompetenzen und Mindset.

Mithilfe dieser Kompetenzen lässt sich für jede Aufgabe im Unternehmen über eine sogenannte „Kompetenzmatrix“ ein Soll-Profil erstellen. Dieses beschreibt, was ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin idealerweise können müsste, um seinen oder ihren Job zukünftig optimal zu erfüllen. Ein Mitarbeiter aus der Konstruktion hat ein anderes Soll-Profil als eine Kollegin aus dem Service.

Expertenrunde zum Thema Re-skilling

Dr. Jörg Friedrich bei der Expertenrunde des VDI zur Initiative ‚Zukunft Deutschland 2050‘ in Darmstadt – im Gespräch über Re-skilling, neue Zukunftskompetenzen und strategische Personalentwicklung in Zeiten der digitalen Transformation.

Foto: Witefield GmbH

Strategische Personalplanung und Skill-Gap

Welche Rolle haben Kompetenzprofile für das Re-skilling?

Das Soll-Profil bildet die Grundlage für Maßnahmen des Re-skilling. Wenn Sie wissen, über welche Kompetenzen ein Mitarbeiter verfügt, also sein „Ist-Profil“ kennen, kennen Sie auch seinen Skill-Gap, der ihn im neuen Job erwartet. Daraus lassen sich dann entsprechende Maßnahmen für das Re-skilling des Mitarbeiters ableiten.

Die Summe der Skill-Gaps aller Mitarbeitenden bildet die Basis für eine strategische Personalentwicklung des Unternehmens und die zukünftigen Maßnahmen zum Re- und Upskilling.

Und was heißt das für die Personalplanung und -entwicklung?

Soll- und ist Kompetenzprofile bilden auch das Fundament für die Personalentwicklung und -planung. Größere Unternehmen setzen heute bereits entsprechende Software-Tools ein.

Für den Mittelstand ist dies häufig schwieriger umzusetzen. Mit unserem bereits erwähnten Handlungsleitfaden wollen wir unsere Mitglieder hier unterstützen. Mit dessen Hilfe können sie recht einfach für verschiedene Jobprofile eine entsprechende Kompetenzmatrix ableiten.

Haben Sie schon Rückmeldungen der Unternehmen erhalten, ob das funktioniert?

Wir haben hierzu zahlreiche positive Rückmeldungen aus unseren Mitgliedsunternehmen erhalten. Und Hochschulen haben dieses Modell auch schon genutzt, um – in Kooperation mit Unternehmen – ihre Hochschulcurricula weiterzuentwickeln.

Rolle der Führungskräfte und Motivation

Welche Rolle spielen die Führungskräfte dabei?

Die Führungskräfte haben eine entscheidende Rolle. Neben den Mitarbeitenden selbst können sie am besten die aktuellen und zukünftigen Anforderungen am Arbeitsplatz und die Kompetenzen der Kolleginnen und Kollegen beurteilen. Gemeinsam lassen sich sehr gut das Soll-Kompetenzprofil für den Job und das Ist-Profil des Mitarbeitenden definieren und der daraus resultierende Skill-Gap ermitteln. In enger Zusammenarbeit mit der Personalabteilung entstehen daraus die zukünftigen Maßnahmen zum Re- und Upskilling für das gesamte Unternehmen.

Für viele Unternehmen bedeutet Re-skilling zuerst Kosten. Wie sehen Sie das?

Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen lebt vor allem von Innovationen und der hohen Qualität unserer Produkte. Daher ist Re-skilling in die Belegschaft eine Investition, die sich langfristig lohnt. Eine reine Kostenbetrachtung ist daher zu kurz gedacht. In Deutschland geben die Unternehmen rund 45 Mrd. € jährlich für Up- und Re-skilling aus, also rund doppelt so viel wie der Etat der Bundesregierung für Bildung und Forschung. Die Unternehmen sind sich ihrer Verantwortung also sehr bewusst. Die Herausforderungen bestehen häufig eher bei der Umsetzung der Maßnahmen im Unternehmen.

Was meinen Sie damit?

Es gibt Menschen, die lernen sehr gern, die sind wissbegierig und wollen sich weiterentwickeln. Und andere, die sind weniger motiviert, etwas Neues zu lernen und ihre Zeit in Fortbildung zu investieren. Aber häufig sind es genau diese Menschen, die sich eigentlich weiterqualifizieren müssten, um im alten oder neuen Job klarzukommen.

Hier sind vor allem Führungskräfte gefordert. Sie haben die Verantwortung, diesen Menschen deutlich zu machen, dass Fortbildung für sie persönlich und für das Unternehmen wichtig ist.

Welche Bedeutung wird das Thema Re-skilling zukünftig haben?

Re-skilling wird immer wichtiger, weil sich die Anforderungen am Arbeitsplatz in immer kürzeren Abständen verändern. Man muss permanent dranbleiben und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – häufiger auch für andere Jobs – weiterentwickeln. Eine kontinuierliche Qualifizierung der Belegschaft entscheidet mit über die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.

Up- und Re-skilling sind ureigenste Aufgabe der Unternehmen, weil nur sie beurteilen können, welche Kompetenzen sie zukünftig im Unternehmen brauchen. Diese Verantwortung sollte bei ihnen bleiben. Unsere Aufgabe als VDMA ist es, unsere Mitglieder dabei zu unterstützen. Der Staat sollte sich hier mit Regulierungen weitgehend zurückhalten.

Auch interessant: Re-skilling als Firewall gegen Jobverlust

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Alexandra Ilina ist Diplom-Journalistin (TU-Dortmund) und Diplom-Übersetzerin (SHU Smolensk) mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung im Journalismus, in der Kommunikation und im digitalen Content-Management. Sie schreibt über Karriere und Technik.

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