Ökonomen wollen Lebenserwartung bei der Rente berücksichtigen
Mehr Gerechtigkeit und weniger Altersarmut – diese Zielsetzung verfolgt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit einem neuen Rentenkonzept. Es sieht vor, die Altersrente für Geringverdiener zu erhöhen und die für Besserverdiener weniger steigen zu lassen. VDI nachrichten, Düsseldorf, 6. 2. 09, has
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) will die Lebenserwartung in die Rentenformel einbeziehen. Damit, so Friedrich Breyer, Ökonom an der Universität Konstanz und Autor der Studie, lasse sich die Gerechtigkeitslücke in der gesetzlichen Rente schließen. Diese Lücke bestehe darin, dass Besserverdiener aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung länger in den Genuss ihrer Rente kämen als Geringverdiener, deren Lebenserwartung deutlich niedriger sei.
Breyer ist nicht der erste, der die Einbeziehung der Lebenserwartung in die Sozialversicherung verlangt. Schon vor Jahren hat der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach Berechnungen zu Einkommen und Rentendauer vorgelegt. Danach leben Männer mit einem Bruttoeinkommen von bis zu 1500 € im Monat nach dem Rentenbeginn noch 10,8 Jahre, Männer mit einem Bruttoeinkommen von mehr als 4500 € monatlich aber 18,2 Jahre.
An Brisanz gewonnen hat Breyers Forderung nach einer Anhebung der Rente für Geringverdiener durch die Absenkung des Rentenniveaus. So werden künftig Rentner, die 35 Jahre ein durchschnittliches Einkommen bezogen haben, nur noch eine Rente in Höhe der Sozialhilfe bekommen. Altersarmut wird dann wieder zunehmen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hatte deshalb vor einiger Zeit vorgeschlagen, geringe Renten aus Steuermitteln aufzustocken.
Dagegen wendet sich das DIW. Der soziale Ausgleich sollte innerhalb des Rentensystems geschaffen werden. Konkret: Die Anhebung der Rente für Geringverdiener sollte bezahlt werden mit dem geringeren Anstieg der Renten für Besserverdienende. Das würde Beitragserhöhungen vermeiden. Dieses Modell könnte auch auf Beamte übertragen werden.
Kritiker wie der Rentenexperte Winfried Schmähl, Ökonom an der Universität Bremen, bemängeln, dass mit der Einbeziehung der Lebenserwartung die gesetzliche Rente nicht gestärkt, sondern geschwächt würde. „Wenn nach Lebenserwartung unterschieden wird, warum nicht auch nach Geschlecht oder Beruf?“ Solche Differenzierungen würden die Akzeptanz der gesetzlichen Rente weiter gefährden.
Nach Ansicht von Johannes Steffen, bei der Arbeitnehmerkammer Bremen für Rentenfragen zuständig, werden Geringverdiener im Rentensystem nicht so stark benachteiligt, wie das Breyer in seiner Untersuchung unterstellt. Denn die Sozialrente deckt auch Reha-Maßnahmen und Leistungen bei Erwerbsminderung ab, die von Geringverdienern häufiger in Anspruch genommen würden als von Besserverdienern.
Steffen sieht auch keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Rentenansprüchen und Lebenserwartung. Überspitzt formuliert: Weniger Entgeltpunkte (sie dokumentieren Rentenansprüche) führen nicht automatisch zu einem früheren Tod. Steffen: „Hinter den erworbenen Entgeltpunkten stehen ganz unterschiedliche Erwerbsverläufe.“ So könnten Geringverdiener mit wenigen Entgeltpunkten sogar ungerechtfertigt begünstigt werden, weil z. B. durch die Kombination von Teilzeit mit versicherungsfreier Arbeit das Einkommen des gesamten Haushaltes hoch sein kann.
Wenn Geringverdiener eine kürzere Lebenserwartung haben, sollte nach Auffassung von Schmähl an den Ursachen angesetzt werden, also im Gesundheitssystem oder in der Arbeitswelt und nicht bei der Rente. Auch zur Bekämpfung von Altersarmut tauge die gesetzliche Rente nicht. Wenn künftig Altersarmut zunehme, dann sei das primär eine Folge politischer Entscheidungen. Mit der Senkung des Rentenniveaus und der politisch gewollten Ausweitung des Niedriglohnsektors seien die Weichen für wachsende Altersarmut gestellt, prophezeit der Rentenexperte. Sie lasse sich nur durch politische Entscheidungen vermeiden.
HARTMUT STEIGER
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