Geringer Kündigungsschutz – das ist ein Standortnachteil
Immer wieder wird bei der Diskussion um den Standort Deutschland von Wirtschaftsverbänden und Politikern das Kündigungsschutzgesetz als Hemmschuh für den konjunkturellen Aufschwung ins Feld geführt. Prof. Dr. Wolfgang Däubler von der Universität Bremen ist anderer Ansicht und begründet dies in seinem folgenden Beitrag für die VDI nachrichten.
Viele Chefs wollen keine neuen Arbeitnehmer einstellen – so heißt es. Wer einmal im Betrieb sei, den könne man nicht mehr loswerden, auch wenn er nicht die erwartete Leistung bringe. Ist es da nicht einfacher, auf Überstunden auszuweichen oder notfalls ein paar Leiharbeitnehmer anzufordern?
Wer so denkt, sieht nicht, welche Möglichkeiten ihm das geltende Recht gibt. Mit Neueingestellten kann man ein befristetes Arbeitsverhältnis für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren abschließen. Je nach den Umständen kann man sich zunächst aber auch mit einigen Monaten begnügen und dann bei guter Zusammenarbeit und erfreulicher Auftragslage eine Verlängerung um sechs, acht oder zwölf Monate vereinbaren. Dies kann man noch zwei Mal wiederholen lediglich die Gesamtdauer von zwei Jahren darf nicht überschritten werden. Für das alles benötigt man keinen „sachlichen Grund“ oder irgendeine andere Voraussetzung die fragliche Person darf lediglich nicht schon einmal im Betrieb gearbeitet haben.
Erst wenn das Befristungskontingent ausgelaufen ist, stellt sich die Frage eines Dauerarbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber kann also den Arbeitnehmer zwei Jahre lang auf Herz und Nieren prüfen – eine recht großzügig bemessene Probezeit.
Kommt es zum Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags, heißt dies nicht, dass man nunmehr einen Lebenszeitbeamten angeheuert hätte. Nach geltendem Recht kann ein Arbeitnehmer wieder gekündigt werden, wenn keine Arbeit mehr für ihn da ist, wenn er eine erhebliche Pflichtverletzung begangen hat oder wenn er von seiner Person her nicht mehr in der Lage ist, die übernommenen Aufgaben zu erfüllen. Nur dann, wenn der Arbeitgeber keinen solchen „sachlichen Grund“ besitzt, muss er am Arbeitsverhältnis festhalten. Warum sollte dies wirklich ein Einstellungshindernis sein? Die Gründe für die Beschäftigungsmisere sind offensichtlich an anderer Stelle zu suchen.
Würde man den Kündigungsschutz „lockern“, z. B. für zu Unrecht Gekündigte nur noch eine Abfindung vorsehen, hätte man nicht nur keinen „Beschäftigungsgewinn“. Vielmehr würde man sich ganz im Gegenteil erhebliche Nachteile einhandeln.
Der bisherige Kündigungsschutz bewirkt, dass ein Arbeitnehmer nicht wegen jedes kleinen Fehlers oder wegen jeder kleinen Unpünktlichkeit gekündigt werden kann. Auch ist bekannt, dass nicht schon eine Erkrankung von sechs Wochen den Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Wer in einem größeren Betrieb seit 15 oder 20 Jahren beschäftigt ist, besitzt auch einen weitgehenden Schutz gegen betriebsbedingte Kündigungen: Sofern es vergleichbare andere Tätigkeiten im Betrieb gibt, wird der Betroffene wegen der Grundsätze über die soziale Auswahl bei einem Personalabbau von 10 % oder 20 % mit hinreichender Sicherheit nicht „dran“ sein. Nur im Katastrophenfall, wenn die Belegschaft halbiert oder der Betrieb geschlossen wird, gilt Abweichendes.
Die relative Existenzsicherheit ist von großer Bedeutung für das Verhalten im Betrieb. Könnte der Arbeitnehmer wegen jeder Kleinigkeit seinen Arbeitsplatz verlieren, würde er sich hüten, Kritik zu üben oder gar die Sprechstunde des Betriebsrats aufzusuchen. Man würde sich möglichst geräuschlos anpassen.
Entgegen dem ersten Anschein schadet ein solcher Zustand auch der Arbeitgeberseite. Produktives Arbeiten setzt voraus, dass sich die Beschäftigten mit ihrer Aufgabe identifizieren, dass sie auch Kritik äußern und Verbesserungsvorschläge machen können. Im Nähsaal der Vergangenheit und bei der Fließbandproduktion mag dies eine untergeordnete Rolle gespielt haben – moderne Dienstleistungen leben nicht nur in der IT-Branche davon, dass die beteiligten Personen motiviert sind und ihre Spielräume im Interesse einer wirkungsvollen Leistungserbringung ausschöpfen. Wer weiß, dass er von heute auf morgen aus nichtigem Anlass auf die Straße gesetzt werden kann, wird schwerlich ein solches Bewusstsein entwickeln. Konstruktive Vorschläge setzen eine Identifizierung mit der Arbeit voraus.
Der Abbau von Kündigungsschutz hätte auch eine grenzüberschreitende Dimension. Nehmen wir an, ein amerikanischer Konzern wollte aus Kostengründen in Europa 10 % Personal abbauen. Welches Land würde er sich hierfür am ehesten aussuchen?
– Die Niederlande sind insoweit eine schlechte Adresse. Dort wird nicht nur wie in allen europäischen Ländern eine Art „sachlicher Grund“ für die Kündigung verlangt. Vielmehr muss in jedem Einzelfall die staatliche Arbeitsbehörde zustimmen. Gerade bei ausländischen Arbeitgebern und fehlenden wirtschaftlichen Zwängen kann dies Schwierigkeiten machen.
– In Frankreich gibt es Derartiges seit 1986 nicht mehr. Allerdings hat die Arbeitgeberseite das Problem, dass betriebsbedingte Kündigungen von den Gerichten nur bei gefährdeter Wettbewerbsfähigkeit anerkannt werden die bloße Steigerung der Rendite reicht als Begründung nicht aus. Auch mag es zu Demonstrationen kommen.
– Österreich ist in diesem Zusammenhang sehr viel „pflegeleichter“. Aber die Kündigungen sind teuer. Auch wenn ein „sachlicher Grund“ vorliegt, muss eine Abfindung bezahlt werden, es sei denn, der Arbeitnehmer hätte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses überwiegend verschuldet. Die Höhe hängt von der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab sie beginnt mit zwei Monatsgehältern nach drei Jahren und endet mit zwölf Monatsgehältern nach 25 Jahren.
– Noch besser stellen sich in dieser Hinsicht die Arbeitnehmer in Italien. Pro Jahr der Betriebszugehörigkeit ist dort ein Monatsgehalt als Abfindung fällig. Dazu kommt ein Kündigungsschutz der jedenfalls bislang stärker als der deutsche ist, weil nur der Arbeitnehmer bei unberechtigter Kündigung einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses stellen kann. In diesem Fall erhält er eine zusätzliche Abfindung.
Wäre es für den amerikanischen Konzern nicht sinnvoll, einen Großteil der Entlassungen in Deutschland durchzuführen? Im schlimmsten Fall müsste ein Sozialplan abgeschlossen werden, der in etwa die österreichischen Sätze erreicht – damit ist dann aber auch alles über die Bühne gebracht. Meist kommt man billiger davon. Und entscheidend fiele ins Gewicht: Die Kündigungen als solche wären „wasserdicht“. Was will man mehr? Im internationalen Vergleich erweist sich ein schwacher Kündigungsschutz als Standortnachteil.
WOLFGANG DÄUBLER
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