Europäischem Patentamt droht Entmachtung
VDI nachrichten, München, 5. 5. 06, sta – Dänemark, Finnland, Österreich, Schweden, Spanien und Ungarn wollen ihre nationalen Patentämter stärker auslasten und an europäischen Patenten mitverdienen. Das jedenfalls vermuten einige Experten als Hintergrund dafür, dass die Länder Zuständigkeiten vom Europäischen Patentamt an nationale Behörden überweisen wollen. Deutsche Unternehmen befürchten Qualitätseinbußen.
Alain Pompidou, Präsident des EPA, wies bereits im November 2005 auf die Vorteile der bisherigen, zentralen Aufgabenverteilung hin. Zudem schlägt er vor, die nationalen Ämter könnten ihre Auslastung durch Standard- und Sonderrecherchen erhöhen. Das sind Auftragsuntersuchungen ohne Bezug zu einer Patenteinreichung. Inhalt kann eine Analyse zum Stand der Technik oder zum Status quo einer Branche sein. Darum kümmere sich das EPA nicht mehr so stark. „Grund dafür ist nicht nur, dass Leistungen dieser Art das Amt von seinem Kerngeschäft ablenken, sondern auch, dass sie ebenso gut von nationalen Ämtern angeboten werden können.“ Der Markt für solche Dienstleistungen sei „größer als bisher angenommen“.
Auch die hiesige Wirtschaft lehnt den Vorschlag ab, dass nationale Patentämter europäische Patente bearbeiten dürfen. Sie befürchtet Qualitätseinbußen. „Beim EPA können sich aufgrund der Größe des Amtes spezialisierte Mitarbeiter um Recherche und Patentierbarkeit kümmern“, sagt Patentanwalt Jürgen Friedmann. Bei kleinen nationalen Ämtern hingegen müssten wenige Mitarbeiter die gesamte Bandbreite der Technik abdecken. Das gehe zulasten der Spezialisierung. „Wenn Patente über Nichtigkeitsklagen angreifbar werden, bricht für Unternehmen der Schutz weg, den sie eigentlich benötigen. Das kostet Zeit, Geld und vor allem Sicherheit.“ Aus diesem Grund wurden für den Fall der Rückübertragung von Zuständigkeiten diverse Qualitätskontrollszenarien erarbeitet. Deren Umsetzungsmöglichkeiten sind im Augenblick jedoch so unklar wie vielfältig.
Unternehmen wie Bosch, die pro Jahr rund 2800 Patentanmeldungen einreichen, wollen das bisherige System zudem beibehalten, weil sie ihren gesamten Ablauf auf das EPA in seiner jetzigen Form abgestimmt haben.
Auch rechtlich könnte die Rückübertragung zu Problemen führen. Die deutsche und französische Delegation des Verwaltungsrates erinnern in einer Anmerkung vom 3. Februar an den Inhalt des EPÜ. Danach dürfen nationale Ämter nicht über eine europäische Patentanmeldung entscheiden. Das europäische Patent sei „nur dann ein Produkt des EPA im Sinne des EPÜ, wenn die bestimmenden Faktoren vom EPA selbst stammen oder durch das EPA vollumfänglich kontrolliert werden“. Letzteres würde aber zu unnötiger Doppelarbeit führen und dem Sinn eines Outsourcing widersprechen.
Anders als in einigen EPO-Mitgliedsstaaten muss sich die Bundesregierung nicht um die Auslastung des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) sorgen. Rund 60 000 deutsche Patente werden pro Jahr beim DPMA angemeldet. Die Regierung betreibt eine patentfreundliche Förderpolitik.
Rainer Osterwalder, Pressereferent beim EPA, sieht eine friedliche Koexistenz zwischen nationalen Patentämtern und dem EPA, das mit seinen rund 60 000 europäischen Patentanmeldungen rund 1 Mrd. € pro Jahr einnimmt. Laut Osterwalder entscheidet schlussendlich das Unternehmen, ob es ein nationales Patent benötigt oder ein europäisches. Egal ob ein revolutionärer Korkenzieher oder eine Erfindung in der Biotechnologie: Hat ein Erfinder eine zündende Idee, kann er sie sowohl beim DPMA anmelden als auch beim EPA. Ausschlaggebend sei, auf welchen Märkten ein Unternehmen aktiv werden möchte. „Der Vorteil des europäischen Patents liegt darin, dass es für mehrere europäische Staaten auf einmal angemeldet werden kann.“ Wer mit seinem Patent in mehr als drei europäischen Staaten agieren will, für den lohnt sich diese Variante. Andere fahren mit den jeweiligen nationalen Patenten günstiger.
Vom europäischen Gemeinschaftspatent, das einmal in allen Mitgliedstaaten gültig sein soll, wird in diesen Tagen kaum gesprochen. „Vielleicht ändert sich dies in einigen Jahren – wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Wettbewerbsfähigkeit Europas davon abhängt“, so Huber. Laut Osterwalder müssten die Beteiligten zuvor eine ganz ähnliche Diskussion führen wie im Augenblick. Sie müssten klären, welche Patentämter das europäische Gemeinschaftspatent bearbeiten dürfen. KAI OPPEL/sta