Deutschland einst 20.06.2003, 18:25 Uhr

Bestandsschutz? Rentenkürzungen sind kein Tabu!

ein Wirtschaftswunderland. Deutschland heute: ein Sanierungsfall. Die letzte Hiobsbotschaft, dass die Renten nur noch bis Oktober sicher sind, verschreckt die Nation. Berufstätige und Rentner fragen sich, was kommt an Belastungen noch auf sie zu?

Die Bedingungen, die dem deutschen Rentensystem zu Grunde liegen, werden nicht mehr erfüllt. Eigentlich, so war der „Generationenvertrag“ gedacht, sollen viele junge Leute arbeiten, Beiträge bezahlen und damit relativ wenige Rentner finanzieren. Doch es werden immer weniger Kinder geboren, und Jugendliche steigen heute später als in frühereren Jahren ins Berufsleben ein. Alte Menschen wiederum leben dank des Fortschritts in der Medizintechnik länger und müssen eben auch länger finanziell unterhalten werden.
Derzeit erhalten Frauen im Westen durchschnittlich 466 € (Osten: 654 €) an Altersrente und Männer im Westen 998 € (Osten: 1086 €). „An die 20 Mio. Rentner, die wir in Deutschland haben“, erklärt Renate Thiemann vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Berlin, „fließen 23 Mio. Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenen-Renten.“ Als Aktiv-Versicherte stehen ihnen aber nur knapp 34 Mio. Beitragszahler gegenüber.
Überlebt hat das altersschwache System bisher nur, weil Jahr für Jahr horrende Bundeszuschüsse fließen. Allein in den letzten zehn Jahren stiegen sie von 30 Mrd. € auf rund 73 Mrd. €. Und weil über die Jahre viele politische Schuster am Werk waren, die immer ein bisschen geflickt haben, aber nie zu viel, aus Sorge, potenzielle Wähler zu vergraulen. So wurden Rentenanpassungen ausgesetzt, die Anpassungsformel verändert, dann wurde die Inflationsrate der Maßstab für Rentenerhöhungen und seit 1983 müssen Rentner – zunächst davon befreit – wieder Krankenversicherungsbeiträge zahlen. Zudem wurde die Anrechnung der Ausbildungszeiten auf drei Jahre gedrosselt.
Doch die Überalterung setzt sich dramatisch fort. Fachleute schütteln bei der Vorstellung den Kopf, dass der Durchschnittsbürger knapp 30 Jahre ausgebildet wird, etwa 30 Jahre arbeitet, mit 60 aufhört und dann etwa 30 Jahre als Rentner lebt. Ihrer Meinung nach hat die Krise des Rentensystems erst begonnen, das Desaster wird einsetzen, wenn im Jahr 2030 auf einen Berufstätigen 1,5 Rentner kommen.
Das kostet, auch heute schon. Berufstätige stöhnen: 19,5 % Rentenversicherungsbeitrag in diesem Jahr – nach 19,1 % in den letzten beiden Jahren. Während Experten auch im nächsten Jahr mit einer weiteren Anhebung rechnen, beschwichtigt eine Sprecherin im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung: „Die Ministerin will den Beitrag stabil halten.“
Klar ist, dass mit dem Rentensystem etwas passieren muss, und das nicht nur langfristig, sondern auch mit schnellem Erfolg. Aber was? Über Lösungen brüten Experten und Politiker jeglicher Couleur in ihren Kommissionen. Kein Tag, an dem nicht neue Vorschläge, Konzepte, Thesenpapiere, Statements und Ideen, die andere politische Maßnahmen teilweise konterkarieren, durch die Medien geistern.
Geht es nach Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, dann werden Berufstätige in Deutschland ab 2011 wohl bis 67 Jahre arbeiten müssen. Damit könnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erstens fließen durch die längere Arbeitszeit länger Beiträge in die Rentenkasse, zweitens treten die Längerbeschäftigen erst wesentlich später als Rentenempfänger auf und entlasten die Rentenkasse damit auf Jahre.
Bei all den hitzig geführten Debatten mahnt Bundespräsident Johannes Rau die Politiker, die Rentner nicht zu verängstigen und die jetzige Rentnergeneration von der derzeitigen Debatte auszunehmen, aber Prof. Bert Rürup, Berater der Bundesregierung, erklärt: „Rentenkürzungen sind kein Tabu.“ Zwar unterliegen Renten einem gewissen Bestandsschutz, aber der sei nicht unantastbar. Gudrun Schraft-Huber vom Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe, bestätigt: „Artikel 14 des Grundgesetzes regelt den Eigentumsschutz, und darunter fallen auch laufende Renten und Anwartschaften. Aber natürlich sind auch Eingriffe nach Maßgabe des Grundgesetzes möglich, das heißt, wenn eben hinreichend legale Gründe eine Änderung des Rechts erforderlich machen.“
Doch für 2003 steht jetzt die Rentenanpassung nach oben erst einmal fest. Im Westen gibt“s 1,04 % mehr, im Osten 1,19 %. Ans Geld der Rentner kommt die Regierung, wenn sie will, ohnehin. So denkt Ministerin Schmidt nach Informationen aus Versicherungskreisen darüber nach, den Pflegeversicherungs-Zuschuss der Rentner zu streichen. Und deren Krankenversicherungsbeiträge standen im Rahmen der Gesundheitsreform sowieso schon auf dem Prüfstand.
Dagegen will Horst Seehofer, CSUPolitiker und Sozialexperte der Unionsfraktion im Bundestag, das ganze Rentensystem revolutionieren. Er stellt sich für alle ab 65 Jahre eine Sockelrente von derzeit 410 € vor, die mit einem Beitrag von 4 % – 5 % aus den steuerpflichtigen Einkünften finanziert wird. Dazu gibt es „eine deutlich abgesenkte gesetzliche Rente“. So lassen sich seiner Meinung nach die Rentenversicherungsbeiträge auf 11 % bis 12 % drosseln.
Regierungsberater Rürup, Mitglied im Sachverständigenrat, hält davon gar nichts: „Das ist ein reines Umverteilungsprogramm und wäre der Einstieg in eine steuerfinanzierte Grundrente – ein Fehler, den Schweden schon vor fünf Jahren wieder ausgemerzt hat.“ Vorstellen könne er sich zwar ein ganz neues Rentensystem, „aber wie kommt man da hin?“ Eine Lösung dafür, wie in Deutschland mit 6 Billionen existierenden Anwartschaften der Übergang vom alten in ein neues Rentensystem geschafft werden kann, sieht er nicht.
RENATE ELBERS-LODGE

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Ein Beitrag von:

  • Renate Elbers-Lodge

    Reakteurin VDI nachrichten. Fachgebiete: Wirtschaft, Wirtschaftspolitik, Märkte, Branchen, Unternehmen.

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