Arbeitsunfähig erkrankt – selbst schuld?
VDI nachrichten, Düsseldorf, 16. 3. 07, jul – Wer arbeitsunfähig erkrankt ist, bekommt sechs Wochen lang Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber. Das glauben jedenfalls die meisten Arbeitnehmer. Das Gesetz schließt diesen Anspruch des Arbeitnehmers jedoch für den Fall aus, dass den Arbeitnehmer an der Arbeitsunfähigkeit ein eigenes Verschulden trifft. Wann dies der Fall ist, beschäftigt die Arbeitsgerichte immer wieder.
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entfällt nicht bei jeder schuldhaften Mitverursachung der Krankheit, auch ist der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber nicht zu einer besonders gesunden Lebensweise verpflichtet. Erforderlich ist vielmehr, dass dem Arbeitnehmer ein grobes Verschulden gegen sich selbst vorzuwerfen ist. Das ist nach der Rechtsprechung der Fall bei „einem unverständlichen, leichtfertigen Verhalten des Arbeitnehmers, der in gröblicher Weise gegen das von einem verständigen Menschen in eigenem Interesse zu erwartende Verhalten verstößt.“
Wer einen Verkehrsunfall verursacht, weil er alkoholisiert fährt oder beim Fahren ohne Freisprecheinrichtung telefoniert, kann ebenso wenig auf eine Lohnfortzahlung hoffen wie derjenige, der sich bei einem Verkehrsunfall verletzt, weil er keinen Sicherheitsgurt getragen hat.
Eine Verletzung oder Erkrankung aufgrund von Alkoholmissbrauch schließt regelmäßig den Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus. Das Bundesarbeitsgericht hatte über den Fall zu entscheiden, dass eine Arbeitnehmerin nach erheblichem Alkoholgenuss in einer Gaststätte bei dem Versuch aufzustehen gestürzt war und sich verletzt hatte. Das Gericht verweigerte eine Entgeltfortzahlung mit dem Argument, dass die Arbeitnehmerin nicht rechtzeitig mit dem Trinken aufgehört habe, bis ein kontrolliertes und sicheres Verhalten nicht mehr gewährleistet war. Die Gefahren des Alkohols seien heute schließlich jedem Erwachsenen bekannt.
Diese Rechtsprechung gilt hingegen nicht bei Alkoholismus, denn dabei handelt es sich um eine Krankheit, dem Arbeitnehmer ist dann in der Regel kein Verschulden vorzuwerfen. Ob eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Drogenmissbrauch selbst verschuldet ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab, kann aber insbesondere bei Jugendlichen nicht angenommen werden. Ein Raucher, der gegen ein ausdrückliches ärztliches Rauchverbot handelt, ist für die Folgen seines Tuns dagegen selbst verantwortlich.
Ein weiteres viel diskutiertes Thema sind Sportunfälle. Grundsätzlich steht es dem Arbeitnehmer frei, jede ihm beliebige Sportart auszuüben, auch wenn dies eine Verletzungsgefahr mit sich bringt. Grenzen setzt das Bundesarbeitsgericht erst dann, wenn der Arbeitnehmer bei Ausübung des Sports seine individuellen Fähigkeiten erheblich überschätzt oder die Regeln der Sportart besonders grob und in leichtsinniger Weise missachtet.
Springreiten ohne Reithelm ist also ebenso wenig empfehlenswert wie die Kandahar-Abfahrt für einen Skianfänger. Weiterhin schließt eine Verletzung bei einer so genannten Risikosportart eine Entgeltfortzahlung aus. Bislang ist nur das Kickboxen von der Rechtsprechung als Risikosportart qualifiziert worden, beim Bungee-Springen wird eine entsprechende Entscheidung erwartet.
Verletzt sich ein Arbeitnehmer bei der Teilnahme an einer Schlägerei, muss der Arbeitgeber häufig nicht dafür bluten. Das gilt aber nicht generell, wie das Landesarbeitsgericht Köln jüngst entscheiden hat: Eine Arbeitnehmerin geriet in eine verbale Auseinandersetzung mit ihrem Exmann.
Als er ihr Schläge androhte, entgegnete sie, er solle sich jemanden anderen zum Schlagen suchen. Daraufhin kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung, in dessen Verlauf die Arbeitnehmerin ihren Exmann im Gesicht kratzte. Daraufhin schlug er sie gegen den Kopf, so dass sie an eine Wand stieß und sich verletzte.
Der Arbeitgeber verweigerte eine Entgeltfortzahlung mit dem Argument, sie habe ihren Exmann provoziert und so die Schlägerei selbst verschuldet. Sie hätte ihm stattdessen aus dem Weg gehen müssen. Das Bundesarbeitsgericht hingegen sah in dem Verhalten der Frau weder eine Provokation noch eine Beteiligung an einer Schlägerei und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung.
Aus der Sicht des Arbeitgebers mag es unverständlich sein, für die Folgen einer tätlichen Auseinandersetzung, die ausschließlich im Privatbereich seiner Mitarbeiterin lag, zahlen zu müssen. Er hat jedoch die Möglichkeit, sich von dem Verursacher der Arbeitsunfähigkeit – hier also dem Exmann – seine Aufwendungen ersetzen zu lassen.
JASMIN THEURINGER
Die Autorin arbeitet seit 1996 als Anwältin u. a. mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht in der Steuerberatungs- und Anwaltskanzlei Bellinger in Düsseldorf (Serie wird alle 14 Tage fortgesetzt).
Ein Beitrag von: