Im Grunde funktioniert fast gar nichts
Antwort:
Mitunter mag man als kritischer Betrachter von und Beteiligter an diversen Prozessen schier verzweifeln: Es läuft eigentlich nichts auch nur halbwegs so wie man sich das von außen vorstellen würde. Im Gegenteil: Das Chaos, das in den Unternehmen herrscht, ist nahezu unvorstellbar.
Je älter und damit erfahrener der Leser dieser Zeilen ist, desto engagierter wird er zustimmen, da bin ich mir sicher. Weil er das alles selbst kennt: Es gibt entweder gar keine Entscheidungen oder falsche oder zögerliche; zuständige Leute sind nicht informiert oder informierte nicht zuständig, Vorlagen verschwinden in Versenkungen, was heute gilt, ist morgen dummes Geschwätz von gestern. Richtungswechsel werden in einer Hektik vollzogen, die Schnellbooten anstünde – wo doch Unternehmen eher wie Großtanker sind. Wenn Sie dann noch einen Konzern mit diversen Entscheidungsebenen in verschiedenen Ländern als Beispiel heranziehen, wird alles noch schlimmer.
Allerdings kommt dabei Erstaunliches heraus. Erstaunlich im durchaus positiven Sinne: Aufträge werden halbwegs termingerecht erfüllt, die Produktqualität ist überwiegend überraschend hoch. Und Deutschland, in dem ich das alles beobachte, schlägt sich im Weltvergleich sogar immer noch recht tapfer (ob die anderen noch schlimmer sind?).
Daraus muss irgendetwas folgern:
1. Wer sich stets nur auf sachliche Aspekte konzentriert und den Rahmen ignoriert, in dem sich die Tagesarbeit abspielt, ist ein armer Teufel, dem man seine Frustrationen vorhersagen kann.
2. Man lebt von dem System, darf es aber dennoch nicht zu ernst nehmen. Gestern, so schrieb mir jemand, habe sein Unternehmen noch Kopfprämien für neue Mitarbeiter gezahlt, heute werde gesagt, man wolle einige 1000 Leute entlassen. Der Volkswirt mag darüber weinen, der Aktionär zittern, der betroffene Angestellte zwischen Trauer und Wut schwanken. Aber der nicht betroffene Außenstehende reagiert mit „Ts, Ts“ durchaus angemessen darauf. Weil so etwas systemimmanent ist und morgen wieder geschehen wird. Und weil man schon froh sein kann, dass sie mit den Kopfprämien aufgehört haben, bevor sie mit den Entlassungen begannen.
Jobsuche für Ingenieure
3. Weil das so ist, hat der die Trümpfe in der Hand, der wohl auch tüchtig, vor allem aber auch clever ist. Der das Gerede über Sachprobleme pflichtschuldigst erträgt, aber sein Gehirnschmalz den taktischen Fragen widmet, Merkwürdigkeiten interessiert registriert, das Wissen darüber für die Zukunft speichert – und sorgfältig darauf achtet, dass auch seine Interessen nicht zu kurz kommen.
4. Aber es gibt einen Trost: Für eine wirkliche Krise haben wir schier unermessliche Produktivitätsreserven im gesamten Managementbereich. Wenn es uns gelingt, die auszuschöpfen, schlagen wir sie weltweit alle, vermutlich aber brauchen wir dazu einen besseren Menschen. Als Typ, meine ich.
Kurzantwort:
Frage-Nr.: 88
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 39
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2001-09-28