Für die letzten fünfzehn Jahre fehlt ein System
Antwort:
Wir haben den Berufsstart junger Akademiker ziemlich perfekt geregelt: Traineeprogramme, Direkteinstieg, Einarbeitung, Dienstzeit beim ersten Arbeitgeber, Einstieg in erste Verantwortung für Sachen und Menschen – für die ersten Jahre wird weitgehend vorgedacht und geplant.
Dazu kommen Regeln der durchdachtesten Art: Jeder weiß, was man dem Einsteiger anvertrauen darf, der noch „nichts“ kann. Also gibt ihm auch niemand eine Abteilung zu leiten. In Funktionen dieser Art muss er hineinwachsen. Alles absolut in Ordnung, alles logisch aufgebaut, nachvollziehbar.
Aber irgendein auch nur halbwegs vergleichbares System für die letzten fünfzehn Jahre des Berufslebens haben wir nicht. Das ist schon bei den unteren Hierarchieebenen schlimm genug, im Management jedoch fatal.So etwa ab 50 stellen wir keine Bewerber mehr ein. Auch unsere eigenen Leute dieses Alters fänden draußen keinen Job mehr. Wäre der Grund darin zu sehen, dass sie „es nicht mehr bringen“, müssten wir eigentlich die Mitarbeiter dieser Altersgruppe vorsichtshalber entlassen. Das tun wir aber nicht. Vielleicht können sie ja doch noch etwas, sind nur nicht mehr so flexibel, können sich nicht mehr so auf Neues einstellen. Dann hätten sie nicht mehr 100 Prozent ihrer Qualifikation, und wir müssten ihr Gehalt laufend kürzen. Das tun wir aber auch nicht.
Spätestens mit 65 entlassen wir die Mitarbeiter. Ersparen wir uns eine Begründung im Detail – irgendwann kann der Mensch halt nicht mehr. Aber er entwickelt sich langsam, vor ebenso wie zurück. Wer mit 65 nicht mehr kann, kann mit 64 oder 63 oder 60 auch schon fast nicht mehr. Oder mit 58. Dann müssten wir in diesem Alter die Verantwortung inklusive Hierarchieebene (sowie wiederum die Bezahlung) langsam herunterfahren. Wenn wir logisch handelten.
Aber das alles tun wir nicht. Wir murksen vor uns hin, mehr nicht. Unser System hat Regeln für den beruflichen Start und die berufliche Wegesmitte, dann nur noch eine für Bewerber ab 50 und dann zuckt es symbolisch die Schultern.Wir kennen in der beruflichen Entwicklung nur das Prinzip der Einbahnstraße: vorwärts Fahren ist Standard, Parken wird erlaubt, ein Zurück gibt es nicht. Der Besitzstand ist unantastbar; was daraus folgt, ist unlogisch und ganz gewiss eine große Schwachstelle des Systems.
Dies ist kein Plädoyer für irgendeine zentrale Lösung, die auch ich nicht habe. Aber es ist eines für das Nachdenken aller Verantwortlichen über das Problem.Vielleicht habe ich aber doch wenigstens einen ersten Ansatz: Sehen wir als ersten Schritt in Bewerbern über 50 keine „Angebote“ auf dem Arbeitsmarkt mehr, die ihrem Arbeitgeber gestern und heute noch „alles“ wert waren oder sind, uns aber nur noch „nichts“. Sondern bewerten wir großes Können und umfassende Erfahrung, möglicherweise geringere Flexibilität und sonstige denkbaren Risiken – und bieten wir ihnen beim Wechsel z. B. 80 % ihres Ist-Gehaltes. So wie wir Jüngeren problemlos 120 % offerieren, weil sie uns irgendwie „mehr“ wert sind als dem derzeitigen oder letzten Arbeitgeber und weil wir ihnen Entwicklungspotenzial zuerkennen.
Diese Regelung hätte übrigens einen äußerst positiven Nebeneffekt für die Unternehmen: Heute wissen unsere Manager über 50, dass sie „draußen“ kaum noch eine Chance hätten. Also müssen sie bleiben um jeden Preis. Wer bleiben muss, darf nichts mehr riskieren. Wer das nicht darf, kann nichts mehr entscheiden, weil jede Entscheidung mit Risiken verbunden ist – sie kann ja auch falsch sein.
Manager jedoch, die nichts mehr entscheiden dürfen, blockieren die Unternehmensentwicklung. Wüssten sie, dass sie draußen wenigstens eine reduzierte Chance hätten, wären sie intern freier. Das müsste in unser aller Interesse sein.
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Kurzantwort:
Frage-Nr.: 66
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 13
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2001-03-30