Die Macht ist mit Ihnen – Tipps für die frischgebackene Führungskraft
Heiko Mell, ein erfahrener Karriereberater, teilt praxisnahe Ratschläge, die besonders für frischgebackene Führungskräfte von großer Bedeutung sind.
Frage/1:
Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass ich kürzlich eine (meine erste!) Leitungsfunktion übernehmen konnte, auf die ich schon seit einigen Jahren hingearbeitet hatte. Zweimal habe ich Ihre bezahlten Dienste in Anspruch genommen, zudem verfolge ich regemäßig Ihre Beiträge in den VDI nachrichten und bin stolzer Besitzer Ihres (Taschen-)Buches „Karriere-Basics“. Ich denke, dass Ihre zweifelsfrei hervorragende Arbeit bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen ist und einige „Groschen zum Fallen gebracht“ hat.
Eine wichtige Erkenntnis war beispielsweise, dass man ein System, in dem man erfolgreich sein möchte, ganz wertfrei in seinen Facetten, Ausprägungen und Regeln akzeptieren muss, unabhängig davon, ob man es persönlich gut findet oder nicht.
Vergleich mit Sport
Antwort/1:
Es ist ganz sicher hilfreich für andere Leser, dass Sie dieses so selbstverständlich klingende Prinzip hier noch einmal so klar betonen: Wer – ob heimlich oder offen – gegen ein System opponiert, darf kaum auf Erfolge darin hoffen.
Das ist überall so, auch in dem gern als Beispiel herangezogenen Bereich des Sports: Ein Golfer der während des ganzen Turniers über die „viel zu kleinen Löcher“ schimpft, kann nicht mit der erforderlichen Konzentration spielen und besonders tolle Resultate erwarten. Und einem Marathonläufer, der während der langen Strecke vor sich hin schimpft, weil er meint, 20 km hätten es auch getan, winkt sicher kein Platz auf dem Siegerpodest.
Während erfahrungsgemäß diese Beispiele nahezu jeder noch so kritische Mensch akzeptiert, sieht das aus mir unbekannten Gründen bei vielen anders auf, wenn es um das berufliche System geht. Aber gerade hier gilt, dass ich Regeln, in deren Rahmen ich erfolgreich sein will, zumindest kennen und akzeptieren (!) muss.
Dabei wird von Ihnen völlig richtig gesehen, dass man das System nicht auch noch als „totale Offenbarung“ empfinden muss. Denn es hat Schwächen; gemacht von unvollkommenen Menschen für unvollkommene Artgenossen, kann es nie wirklich perfekt sein.
Sie müssen ja auch die Abseitsregel beim Fußball nicht unbedingt schön finden – es reicht, wenn Sie sie schlicht (vielleicht schulterzuckend) akzeptieren.
Und noch etwas: Ein Mensch, der Geschäftsführer oder CEO geworden ist und anschließend dieses System kritisiert, darf auf Gehör hoffen.
Ein Angestellter hingegen, der trotz intensiver Bemühungen keine entsprechenden Erfolge erzielt hat und dafür lautstark das „absolut unmögliche Regelwerk“ verantwortlich macht, wird außer Mitleidsbekundungen wenig erreichen.
Ratschläge für „frisch gebackene“ Führungskräfte
Frage/2:
In einer der letzten Ausgaben der VDI nachrichten gaben Sie den Hinweis, dass man Ihnen auch vermutlich früher schon einmal behandelte Fragen ruhig erneut stellen kann:
Welche Ratschläge können Sie einer „frisch gebackenen“ Führungskraft mit auf den Weg geben? Was gilt es zu erreichen, was zu vermeiden, wenn man auf der Karriereleiter vorankommen möchte?
Antwort/2:
Das ist schon eine „spannende“ Situation, in der Sie sich jetzt befinden. Der Sprung in die erste Führungsverantwortung ist ungleich größer als der von Ebene III auf die höhere II, der Ihnen vielleicht eines Tages bevorsteht. Gehen Sie so gelassen und selbstbewusst wie irgend möglich in Ihre ersten entsprechenden Arbeitstage und -wochen hinein, denn Sie haben mächtige Verbündete:
- Zu Ihrer Beruhigung: Nicht Sie haben sich ernannt und sich Potenzial für diese neue Aufgabe zugesprochen, sondern das waren der Chef und der Chef-Chef über Ihnen, die ungleich mehr an entsprechender Erfahrung in diesen Fragen mitbringen als Sie. Denen können und sollen Sie vertrauen – auch in dieser Angelegenheit.
- Chef und Chef-Chef sind ein bisschen empfindlich, was eventuelle eigene Fehlentscheidungen angeht. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, ist ein Irrtum bei Ihrer Ernennung grundsätzlich ausgeschlossen. Diese beiden Personen werden Sie also zunächst einmal stützen und helfen, auch wenn Ihnen anfangs kleinere Ungeschicklichkeiten oder erste Fehler unterlaufen.
Bevor die beiden zugeben „Wir haben uns geirrt, der Mann muss weg von dieser Position“, müssten Sie schon sehr viel „verbockt“ haben! - Das hierarchische System, in dem Sie sich bewegen, stützt Sie. Nun stehen Sie an der Spitze einer organisatorischen Einheit – und das System weist Ihnen „automatisch“ bestimmte Rechte (auch Pflichten, aber darum geht es jetzt hier nicht) zu.
Und auch Ihre neuen (unterstellten) Mitarbeiter sind Teil des Systems. Die wissen, dass sie immer einen Chef haben werden – der stets diese oder jene „Besonderheiten“ („Macken“) haben wird: Teils langweilt er sein Team, teils redet er in ihren Augen (auch) Unsinn, teils ist er eigentlich ganz vernünftig. „Und wenn wir den nicht hätten, säße dort ein anderer, der vielleicht viel schlimmer wäre“.
Ihre Mitarbeiter hoffen auf vernünftige Führung, erwarten aber keine Wunder und leben erst einmal mit dem, was (oder der) ihnen da vorgesetzt wurde.
Man bringt Ihnen also zunächst den Ihrer Position geschuldeten Respekt entgegen – auch wenn Sie am Anfang Fehler machen sollten. Auf Dauer kann Ihre Person zwar diesen dem „Amt“ geschuldeten Respekt verspielen – jedoch zunächst einmal haben Sie ihn. Er schützt Sie vor offener Missachtung oder gar Sabotage von unten.
„Die Macht ist mit Ihnen“
Ich nenne diesen Punkt: „Die Macht ist mit Ihnen“, das prägt sich hier ebenso gut ein wie im Krieg der Sterne.
- Und Sie sind zwar Anfänger auf diesem Gebiet, aber kein „blutiger“. Man befördert ja grundsätzlich keine frischgebackenen Hochschulabsolventen, sondern Mitarbeiter, die sich meist in fünf oder doch mindestens drei Jahren ausführender Tätigkeit in eben diesem Umfeld bewährt und profiliert hatten. Die Rolle des unterstellten Mitarbeiters und dessen Erwartungen an einen Chef und dessen Reaktion auf bestimmtes Verhalten kennen Sie also im Detail.
Und wie Chefs agieren und reagieren, womit sie überzeugen und wie sie ggf. „nerven“, wissen Sie aus jenen nicht-führenden ersten Dienstjahren auch. Sie verfügen also über genügend Beispiele zur Orientierung. - Sie sind also gerüstet – das muss reichen, und es reicht. Es hat ja bei allen anderen Führungskräften in diesem Lande auch gereicht.
Und, falls Sie immer noch Bedenken hätten: Jeder Bundeskanzler war vor der Amtsübernahme noch nie Bundeskanzler, jeder Fußballnationalspieler war das vorher nie und sogar jeder Serienautor hat irgendwann einfach damit angefangen. Die meisten haben diesen Sprung ins kalte Wasser recht gut überlebt, warum also sollte das bei Ihnen anders laufen?
Nun zu Ihrer nächsten Frage von „Frage/2“: Ja, es gibt Fehler, die Sie machen könnten. Typische Anfängerfehler, die aber manche Vorgesetzte auch später noch praktizieren: - Sie sind jetzt Vertreter des Arbeitgebers bei den Ihnen unterstellten Mitarbeitern. Sie sind „von oben“ ernannt worden, Sie können auch – nur von oben „entnannt“ werden: Sie sind hingegen nicht „Oberkumpel“ Ihrer Leute, nicht vorrangig Vertreter von deren Interessen bei Ihren Chefs, kein „Mini-Betriebsrat“.
Ihre Chefs vertrauen Ihnen betriebliche Ressourcen (eine Mitarbeitergruppe) an, die Sie im Interesse des Unternehmens (vertreten durch Ihre Chefs) pauschal zu hohen Leistungen und individuell zur Erreichung Ihnen vorgegebener Ziele zu führen haben.
Unter Beobachtung der Chefs stehen
Es ist nicht Ihre Aufgabe, bei Ihren Mitarbeitern beliebt zu sein. Sehr begabten Führungskräften gelingt es, nicht nur die eigenen Chefs von sich und ihren Leistungen zu überzeugen (Priorität 1), sondern auch noch die eigenen Leute zu begeistern und dazu zu bringen, ihren Chef zu „lieben“. Aber das kann nur eine nachgeordnete Priorität haben. Und am Anfang sollten Sie das auch keineswegs etwa gezielt anstreben.
Sie stehen zunächst unter Beobachtung der Chefs, die Sie ernannt haben – und die erwarten, dass Sie sich durchsetzen und Ihre Leute zielorientiert führen.
Natürlich brauchen Sie Ihre Mitarbeiter und deren guten Willen, um Ihre Ziele zu erreichen. Natürlich wollen Sie auch von denen anerkannt und ein bisschen geliebt werden. Und natürlich möchten Sie auch beim Führen (fast) alles besser machen, als die Chefs vor Ihnen. Behalten Sie das ruhig im Auge – und vertagen Sie die Realisierung dieser hohen Ziele auf das zweite Führungsjahr oder noch weiter (dann hat sich vieles davon erledigt).
Ihre Chefs sagen nach den ersten Monaten hoffentlich hinter Ihrem Rücken: „Der Müller hat den Apparat schon ganz gut im Griff. Wir bekommen Ergebnisse und im Team herrscht Ruhe. Und auch bei unbequemen Angelegenheiten setzt er sich schon recht gut durch.“ Das ist nahezu perfekt und völlig ausreichend.
Sie könnten aber auch über Sie sagen: „Die Mitarbeiter scheinen ihn regelrecht zu lieben und sind von ihm begeistert. Aber dauernd steht er bei uns auf der Matte und will etwas für seine Leute oder erklärt, warum dieses und jenes, das wir fordern müssen, nicht machbar ist. Der ist wahrscheinlich (noch?) zu weich, wir müssen ihn wohl mal ins Gebet nehmen.“
Sachlich, korrekt, halbwegs fair
Seien Sie zunächst zu Ihren Mitarbeitern sachlich, korrekt, halbwegs fair und unbedingt konsequent. Lassen Sie Verstöße gegen Ihre Erwartungen – die Sie konkret äußern sollten – nicht durchgehen.
Kommt Ihnen ein Mitarbeiter im Meeting respektlos (nach Ihren Maßstäben) entgegen, bestellen Sie ihn sofort öffentlich für später in Ihr Büro. Und dort sagen Sie ruhig und sachlich, was Sie gestört hat. Hören Sie ihm zu, aber bleiben Sie bei Ihrer Auffassung und sagen Sie ihm ruhig, man hätte nun einmal Sie dorthin gesetzt und er müsse akzeptieren, dass Ihre Maßstäbe gelten würden. Machen Sie auch deutlich, dass in Ihren Augen die Angelegenheit damit erledigt ist.
In schwierigen Fällen, die aber absolute Ausnahme bleiben sollten, können Sie sich Rat bei Ihrem Chef holen. Was der aber vor allem will, ist das möglichst reibungslose Laufen Ihrer organisatorischen Einheit – ohne dass er allzu oft (!) selbst mit Details behelligt wird.
Geben Sie gemachte Fehler ruhig vor Ihren Mitarbeitern zu, die glauben ohnehin nicht, dass Sie unfehlbar sind. Und gelegentliche Eingeständnisse machen Sie eher sympathisch.
Im seltenen Einzelfall ist es möglich, dass einzelne Mitarbeiter oder ganze Gruppen gezielt von Anfang an gegen Sie arbeiten. Das wäre ein Spezialproblem, dessen Lösung nicht aufgrund pauschaler Ratschläge möglich ist. Hier wäre sehr gut überlegtes Vorgehen angesagt, wobei man sorgfältig auf die Hintergründe und Ursachen eingehen muss. Aber rechnen Sie damit erst einmal nicht.
Ein Sonderfall ist die Übernahme einer Chefposition bei Mitarbeitern, die bisher Ihre Kollegen waren. Im Grunde gelten die obigen Empfehlungen auch dafür: Sie waren „Kumpel unter Kumpeln“ – und können das nicht bleiben.
Zum Führen gehört stets auch eine gewisse Distanz gegenüber den Geführten, die Sie dann Schritt für Schritt aufbauen müssten. Und dass Sie dabei vielleicht die frühere Zuneigung von einigen Mitarbeitern verlieren, ist ein Teil des für den Aufstieg zu zahlenden Preises.
Wenn Sie unbedingt damit beschäftigen wollen, was bestimmte Menschen Ihrer Umgebung von Ihnen denken, dann wählen Sie dafür als Auskunftsbasis vor der Gruppe Ihrer Mitarbeiter unbedingt erst die Gruppe Ihrer Chefs. Dorthin gehören jetzt auch Sie jetzt mehr und mehr Es ist Teil eines persönlichen Wachstums- und Veränderungsprozesses.
Viel Glük und Erfolg!
Ein Beitrag von: