Verachtet mir die Mittelständler nicht!
Antwort:
Ich lebe sowohl mit dem Vorwurf, zu oft über Fälle aus Großbetrieben zu schreiben – als auch mit der Aussage aus Leserkreisen, die Belange von Einsendern aus mittelständischen Firmen stünden zu sehr im Vordergrund. Vermutlich ist in der Realität die Berücksichtigung von Fällen aus beiden „Lagern“ ziemlich ausgewogen.Allem, geehrter Einsender, was Sie ausführen, kann ich voll zustimmen. Und wer von unseren Lesern eine Antwort auf die Frage nach den spezifischen Vorteilen kleinerer Firmen sucht, muss sich nur Ihre Darstellung noch einmal genau durchlesen. Ich kenne eine ganze Reihe solcher Gesellschaften, auf die das alles uneingeschränkt zutrifft. Aber …Bevor ich auf dieses „Aber“ konkret eingehe, eine allgemeine Bemerkung: In unserer offenen Gesellschaft setzt sich etwas, das nur Vorteile hätte, gnadenlos zu 100% durch; was nur Nachteile hätte, würde ebenso gnadenlos vom Markt verschwinden. Was also auf Dauer existiert, muss demnach sowohl Vor- wie auch Nachteile haben. Sonst würden beispielsweise alle Angestellten in eine Firmenkategorie drängen und die andere konsequent meiden. Da das nicht geschieht, muss es eine Art ausgewogenes Plus und Minus für beide Firmentypen geben. Fazit: Es muss also auch Einschränkungen hinsichtlich der Beschäftigung in KMU’s geben. Sie haben über wesentliche Vorteile gesprochen. Ich liste ein paar nennenswerte Nachteile auf (die Reihenfolge ist keine Rangfolge):a) Gerade vielen Berufsanfängern (und deren Kommilitonen und Schwiegereltern) bedeutet es etwas, wenn über sie gesagt wird: „Der soll ja eine tolle Position bei BMW (willkürliches Beispiel) ergattert haben.“ Name, Ruf und Ruhm des Arbeitgebers werden Teil der Qualifikation seiner Mitarbeiter in den Augen der Umwelt (z. B. auch späterer Bewerbungsempfänger).b) Wer einigermaßen „gut“ ist, bewegt bald recht viel in einem mittelständischen Unternehmen. Aber er stößt auch schnell an seine Beförderungsgrenzen. Meist gibt es nur eine überhaupt denkbare Aufstiegsposition für ihn. Ist diese gerade gut besetzt mit jemandem, der erst in zwanzig Jahren in Rente geht, hat man keine reelle Chance. Untersteht man direkt dem Inhaber, hat man überhaupt keine echte Entwicklungschance. Aufstieg ist also überproportional häufig mit Arbeitgeberwechseln verbunden.c) Viele, sehr viele Inhaber verfolgen engagiert das Ziel, das Unternehmen langfristig zu erhalten. Das ist ihnen wichtiger als die Gewinnoptimierung im nächsten Quartal oder auch Geschäftsjahr. Und fast immer sind die Unternehmensgründer-Inhaber eindrucksvolle, positiv wirkende Persönlichkeiten.Schwachpunkt ist oft die Altersnachfolge der Inhaber. Jeder kennt Beispiele, in denen unfähige Kinder oder bösartige Schwiegerkinder an die Macht kommen und alles kaputt machten („Blut ist dicker als Wasser“). Überhaupt prägt die Person des Inhabers sehr viel stärker die gesamten Strukturen, Abläufe, Gepflogenheiten und Arbeitsweisen im mittelständischen Unternehmen als es der (angestellte) Vorstandsvorsitzende im Konzern könnte.d) Wer in sehr kleinen mittelständischen Unternehmen anfängt, legt sich weitgehend auf diesen Firmentyp fest –spätere Wechsel (die immer[!] erforderlich werden können) sind eher zu gleichgroßen oder kleineren Gesellschaften möglich als zu deutlich größeren.e) Über Bezahlung, Sozialleistungen wie z. B. Altersversorgung, fachliche Weiterbildung habe ich bewusst noch gar nicht gesprochen. Die obige Darstellung sollte nur eine einseitige Betrachtung verhindern, nicht aber vollständig sein.PS: Die Überschrift geht auf ein Zitat aus „Die Meistersinger von Nürnberg“, einer Oper von Wagner, zurück („Verachtet mir die Meister nicht“).
Kurzantwort:
Frage-Nr.: 2873
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 13
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2017-03-30