Mitarbeiter brauchen Ziele
Wer an die großen Wirtschaftskapitäne und Firmenbosse denkt, verbindet mit ihnen meist ganz automatisch Eigenschaften wie „unbegrenzte Machtfülle“ oder „absolutes Durchsetzungsvermögen“.
Wer an die großen Wirtschaftskapitäne und Firmenbosse denkt, verbindet mit ihnen meist ganz automatisch Eigenschaften wie „unbegrenzte Machtfülle“ oder „absolutes Durchsetzungsvermögen“. Wer genauer hinschaut – etwa weil er als Unternehmensberater dafür bezahlt wird – stellt jedoch schnell fest, dass die meisten Topmanager alles andere als allmächtig sind. In vielen Unternehmen sind sie geradezu hilflos nämlich hilflos einem Phänomen ausgeliefert, das Experten auch als Bunker-Syndrom bezeichnen: Die Feldherren im Führungsbunker entwerfen die weit reichenden Strategien, während der Feldwebel vor Ort genau genommen macht, was er will.
Nehmen wir das Beispiel eines Unternehmens in einem deutschsprachigen Nachbarland, das bei dreistelligem Millionenumsatz in den letzten fünf Jahren seiner Konzernmutter nicht eine Mark Rendite brachte. Die Firma baut in aller Welt für Flughäfen und Logistik-Zentren Spezialgebäude. Die Topmanager projektieren jeweils eine Umsatzrendite zwischen 12 % und 18 %. Heraus kommen meist zwischen 5 % und 8 % Verlust. Warum? Weil die Projektleiter vor Ort auf die Pläne aus dem Führungsbunker wenig geben. Sie entmachten die Mächtigen quasi auf kaltem Wege. Betrachten wir das Phänomen am Beispiel eines Logistik-Projektes in Kuala Lumpur. Drei Monate läuft das Projekt „on budget“, kostentreu. In Monat vier beginnen die Kosten aus dem Ruder zu laufen. Das bemerkt die Firmenleitung in Europa in Monat sieben, denn so lange braucht das Reporting- und Controllingsystem im Schnitt, um die Zahlen von den Projektleitern („Wir haben anderes zu tun!“) einzuholen, aufzubereiten und weiterzugeben. In der Firmenleitung wartet man noch zusätzlich ein, zwei Monate, ob die Kostenabweichung möglicherweise vorübergehend ist, dann reagiert man – insgesamt mit einem Time Lag von sechs Monaten. In diesen sechs Monaten sind die Kosten so weit aus dem Ruder gelaufen, dass sie nur noch mit massiven Eingriffen in die Projektausführung zu korrigieren seien. Genau dies aber weigert sich der Projektleiter zu tun: „Ihr sitzt weitab vom Schuss. Es ist mein Kopf, den die Landesbehörden abreißen, wenn ich nicht termingetreu abliefere. Also habt euch nicht so wegen der paar Mark Kostenüberschreitung!“
Controlling-Systeme arbeiten oft zu langsam
Das ist das ganze Dilemma. Der große Konzernchef ist scheinbar hilflos der Entscheidungsgewalt seines Ingenieurs vor Ort ausgeliefert. Und dafür kann der Projektleiter vor Ort noch nicht einmal etwas, was die Firmenleitung jedoch nicht akzeptiert: Ständig fordert sie von den Projektleitern „Einhaltung der Budgets“. Was sie nicht versteht, sind die eigentlichen Ursachen des Problems: die saurierhaft langsame Berichtsgeschwindigkeit im Unternehmen und der offensichtliche Zielkonflikt zwischen strategischer und operativer Führungsebene. Was die Reporting-Geschwindigkeit zwischen operativer (Kuala Lumpur) und strategischer (Firmenleitung) Unternehmensebene betrifft, müsste das Unternehmen schleunigst ein schnelleres Projektcontrolling-System etablieren, das auch für den Projektleiter keine zusätzliche Belastung (“ … Zeit raubender Zahlenkram, der nichts bringt!“) darstellt und ihn entlastet statt belastet. Das allein schon fällt der Firma schwer, weil sie, wie die meisten Unternehmen im deutschsprachigen Raum, der Illusion nachhängt, dass die bestehenden, hauptsächlich steuerrechtlich motivierten Zahlensysteme ausreichen. Sie tun es nicht, wie Kuala Lumpur und andere Vorfälle täglich und tragisch beweisen. Das herkömmliche Controlling ist zur operativen Steuerung von Entwicklungs-, Bau- und anderen Projekten und zum strategischen Risiko-Management vollkommen ungeeignet – die ersten, die das zugeben, sind meist die Controller selbst. Oder, wie ein Bauingenieur das einmal formulierte: „So ein Zahlenwerk ist eine Beleidigung für jeden anständigen Ingenieur!“
Doch selbst wenn die Topmanager des Unternehmens demnächst ein neues Management-System auf ihre Risk-Management-Computer laden und die Ingenieure endlich von einem neuen Projektcontrolling-System nicht länger behindert, sondern unterstützt werden, ist die zweite Problemursache, der Zielkonflikt, noch nicht behoben. Die Feldwebel an der Front werden weiterhin die strategischen zu Gunsten der operativen Ziele vernachlässigen. Dieses Verhalten ist in vielen Unternehmen zu beobachten: Einem Verkäufer ist sein Umsatz wichtiger als der Gewinn des Unternehmens – deshalb verkauft er verlustbringende Umsatzrenner. Einem Entwicklungsingenieur ist der Innovationsgrad wichtiger als die Marktakzeptanz – deshalb entwickelt er hochinnovative Ladenhüter. Ist das die Schuld des Ingenieurs? Nein, das ist die Schuld der Topmanager, die ständig von ihm „Innovation“ fordern, andererseits aber jammern, wenn die Innovation nicht zu verkaufen ist. Hier herrscht offensichtlich ein Zielkonflikt, der nicht von den Ingenieuren verursacht wurde, den diese aber ungerechterweise ständig ausbaden müssen. Sagt ein Hardware-Entwickler eines süddeutschen Elektronik-Unternehmens: „Ich bin es langsam leid, dauernd die Management-Fehler der Krawattenträger aus dem Führungsbunker ausbaden zu müssen!“
Zur Kostentreue gehört ein vernünftiges Briefing
Man kann nicht mit der einen Hand dem Entwickler auf die Schulter klopfen, wenn er innovativ ist, und mit der anderen ihm eine Ohrfeige verpassen, wenn man die Innovation nicht verkaufen kann. Man kann nicht gleichzeitig Termintreue vom Projektleiter in Kuala Lumpur verlangen und ihm dann jede Mark vorrechnen, die er zur Projektbeschleunigung ausgibt. Manchmal könnte man meinen, Manager wissen nicht, was sie wollen. Oder wie Tom Peters das ausdrückte: „Manager – make up your mind!“ Topmanager wissen zwar oft, was sie wollen, aber sie vergessen, die Unternehmensziele auf die Ziele ihrer operativen Manager und Mitarbeiter herunter zu brechen. Wenn ein Projektleiter kostentreu Projekte leiten soll, darf und muss er nicht nur nach Termin, sondern auch nach Kosten gebrieft, geführt, bezahlt, befördert und anerkannt werden. Wenn das Management sich nicht länger selbst entmachten lassen will, muss es klare Zielsysteme vorgeben, die in sich konsistent sind und mit einem vernünftigen, „ingenieurfreundlichen“ Informationssystem gesteuert werden können. In Unternehmen, in denen dies praktiziert wird, verschwindet das Bunker-Syndrom meist innerhalb weniger Monate. JUTTA JOPPE
Bei strategischen Planungen in der Zentrale werden leicht die Rahmenbedingungen vergessen, unter denen Projektleiter im Ausland arbeiten müssen.
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