„Manchem Betrieb wird noch die Puste ausgehen“
Die Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter möglichst lange an Bord halten und durch die Krise bringen, sagt Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Kurzarbeit sei nur begrenzt anwendbar, weil sie für Betriebe teuer sei. Er weist den Vorwurf zurück, dass die Industrie vor der Bundestagswahl Entlassungen in größerem Umfang vermeide, um den bürgerlichen Parteien nicht zu schaden. VDI nachrichten, Düsseldorf, 28. 8. 09, has
Kannegiesser: Die Metall- und Elektroindustrie ist durch die Finanzkrise regelrecht nach unten gerissen worden. Im ersten Halbjahr 2009 sind gegenüber dem Vorjahreszeitraum Auftragseingänge und Produktion im Schnitt um 30 % gesunken. Die Auslastung hat aktuell mit weniger als 70 % den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten erreicht. Normalerweise liegt sie bei 88 %. Seit zwei Monaten steigt der Auftragseingang wieder. Selbst wenn es in diesem Tempo weiterginge, brauchten wir rein rechnerisch noch mehr als zwei Jahre, um die Auslastung des 1. Halbjahres 2008 wieder zu erreichen. Da wird manchem noch die Puste ausgehen – die Kapazitäten und die damit verbundenen Kosten werden für viele Betriebe über noch lange Strecken zu hoch sein.
Dank Kurzarbeit wurden in der Branche im Vergleich zum Vorjahr erst 2,5 % der Arbeitsplätze abgebaut. Wie lange kann Kurzarbeit noch durchgehalten werden?
.. die müssen bei Kurzarbeit nur noch sechs Monate Sozialversicherungsbeiträge zahlen.
Es ist dennoch für Unternehmen eine Belastung, weil die Kosten nicht im gleichen Maße sinken wie die Beschäftigung. Ansprüche auf den vollen Urlaub, auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, auf die betriebliche Altersvorsorge und andere tarifliche Leistungen bleiben ja erhalten. Das alles summiert sich allein für die Metall- und Elektroindustrie auf gut 5 Mrd. €.
Ist bald mit größeren Entlassungen zu rechnen?
Die Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter möglichst lange an Bord halten und durch die Krise bringen. Ein Unternehmen kann seine Arbeitskräfte nicht horten. Wenn es merkt, dass der Absatz über längere Zeit sinkt, dann hilft auch Kurzarbeit nicht mehr. Diese Entscheidung steht in vielen Unternehmen noch aus. Viele Unternehmen haben in den vergangenen fast zwölf Monaten der Krise bewiesen, dass sie ihre Belegschaften halten wollen, weil ein eingespieltes Team nur schwer zu ersetzen ist. Wer aber trotzdem Personal abbaut, darf nicht an den Pranger gestellt werden.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, die Unternehmen würden vor der Bundestagswahl Entlassungen in größerem Umfang vermeiden, um den bürgerlichen Parteien nicht zu schaden?
Das entspringt meist irgendwelchen Funktionärshirnen. Es ist abwegig, dass ein normales konkursfähiges Unternehmen Entlassungen von einem Wahltermin abhängig machen würde. Es ist praxisfern zu glauben, dass Tausende von Unternehmen alle auf Knopfdruck meinen, das eine oder andere tun zu müssen. Und es ist im Übrigen gar nicht klar, welcher Partei das letztlich nutzen würde. Beim Stellenabbau spielen betriebswirtschaftliche und unternehmensspezifische Gründe eine Rolle. Das ist für Unternehmen eine fürchterliche Rosskur, das macht niemand gern. Da geht man durch die Hölle. Die Kurzarbeit ist nicht mehr und nicht weniger als ein Instrument, dessen Anwendung von der Motivation der Betriebe abhängt. Die müssen von ihrer Zukunft überzeugt sein. Unsere Industrie ist grundsätzlich gut aufgestellt, hat mit ihren Produkten und ihren Fähigkeiten beste Zukunftsperspektiven. Jetzt kommt es darauf an, Vorsprünge zu halten und möglichst noch auszubauen.
Eine Art Stillhalteabkommen gibt es also nicht?
Nochmal: In einer Welt zigtausend unabhängiger und im Wettbewerb untereinander stehender Unternehmen ist so etwas nicht organisierbar. Manche Leute scheinen zu glauben, wir seien eine Gewerkschaft.
Auch viele Ingenieure haben jetzt Angst um ihren Arbeitsplatz. Gleichzeitig sagen die Arbeitgeber, dass es einen Mangel an Ingenieuren gebe. Wie passt das zusammen?
Das eine ist die aktuelle wirtschaftliche Situation, das andere der mittelfristige Bedarf, der sehr groß ist. Es wird in einigen Jahren schwer sein, ausscheidende Ingenieure zu ersetzen, geschweige denn, zusätzliche Stellen zu besetzen. Unternehmen werden alles tun, um qualifizierte Fachkräfte, vor allem Ingenieure, Informatiker, Naturwissenschaftler und Techniker lange zu halten. Wenn ein Unternehmen aber gezwungen ist zu entlassen, dann dürften diese hoch Qualifizierten relativ schnell wieder eine Stelle finden.
Gibt es Instrumente, um Ingenieure zu binden?
Einzelne Mitgliedsverbände haben Gesellschaften eingerichtet, die Ingenieure anstellen, und vermitteln sie so auch an Unternehmen. Aber man sollte sich nicht in einzelnen Punkten verlieren. Die Metall- und Elektroindustrie ist, wenn sie überleben will, auf hoch Qualifizierte angewiesen. Panik ist für Ingenieure am allerwenigsten angesagt.
Nächstes Jahr stehen in der Metallindustrie Entgelt-Tarifverhandlungen an. Lohnerhöhungen orientieren sich am Produktivitätswachstum und an der Inflationsrate. Derzeit sinkt die Produktivität, die Preissteigerung ist gleich null. Gibt es 2010 eine Lohnsenkung?
Tarifliche Lohnsenkungen kann ich mir aus heutiger Sicht und auch für die nächste Tarifrunde nicht vorstellen. Tatsache ist aber natürlich: Wir brauchen Orientierungsgrößen für die Lohnfindung. Die Produktivität ist eine solche Größe, die auch nicht durch eine Wirtschaftskrise außer Kraft gesetzt wird. Wir orientieren uns nicht an der Produktivität in der Metall- und Elektroindustrie, sondern an der in der Gesamtwirtschaft. Allerdings war auch in den vergangenen Jahren die Produktivität nicht die einzige Orientierungsgröße. Weitere waren die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Gewinntendenz, Arbeitslosigkeit, die Wechselkursentwicklung und natürlich auch die Preisentwicklung. Die Produktivität ist aber immer das entscheidende Kriterium, weil sie die Leistungsentwicklung abbildet.
Die Lohnquote – der Anteil der Löhne am Volkseinkommen – sinkt seit Jahren. Anfang der 90er Jahre lag sie bei 71 %, 2007 bei unter 65 %. Wird diese Entwicklung weitergehen?
Die Lohnquote allein sagt nichts aus über Gerechtigkeit, weil sie nicht unmittelbar einer soziologischen Gruppe zuzuordnen ist. Sie ist auch deshalb gesunken, weil viele Arbeitsplätze für weniger Qualifizierte geschaffen wurden, das war gesellschaftlich gewollt. Dann sind die Kapitaleinkünfte in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, aber zu denen zählen auch die Kapitaleinkünfte der Arbeitnehmer. Zudem schwanken die Gewinne stärker als die Löhne. So sind die Kapitaleinkommen in den vergangenen zwölf Monaten deutlich gesunken. Bei Löhnen wäre das nicht vorstellbar.
Die IG Metall will eine neue Debatte um Arbeitszeitverkürzung eröffnen, weil nur mit kürzeren Arbeitszeiten die Beschäftigung gehalten werden könne. Wie stehen Sie dazu?
Arbeitszeit ist für Arbeitgeber wie für die Gewerkschaft ein hoch sensibles Thema. Eine Umfrage unter Mitgliedsfirmen der Metallarbeitgeberverbände zeigt, dass Flexibilität und Differenzierung erhalten und ausgebaut werden sollten. Auch die Arbeitnehmer sind daran interessiert. Flexible Arbeitszeitsysteme mit professionell gehandhabten Arbeitszeitkonten sind eine Stärke der deutschen Industrie. So wurden z. B. mit dem Pforzheimer Abkommen viele Tausend Arbeitsplätze erhalten und viele Investitionen ermöglicht. Unternehmer aus dem Ausland betrachten derzeit genau deutsche Arbeitszeitmodelle, weil sie sehen, dass damit eine Anpassung an zyklische Entwicklungen möglich ist und den Einkommen der Arbeitnehmer sowie den Firmen ein höheres Maß an Stabilität gegeben wird. Pauschale und flächendeckende Verkürzungen oder Verlängerungen der Arbeitszeiten sind für unsere Industrie nicht mehr tauglich.
Ist die starke Exportorientierung der deutschen Industrie zukunftsfähig?
Ich wüsste nicht, welches andere Modell tragen sollte. Wir liefern Technik mit hohen Entwicklungskosten und hoher Komplexität. Der deutsche Markt allein wird dies nicht tragen, damit auch nicht finanzieren. Wir brauchen außerdem den Input aus der ganzen Welt. Wer nicht weltweit tätig ist, an dem gehen die meisten Ideen heute vorbei. Unseren Lebensstandard könnten wir nicht halten, wenn wir nicht so stark auf den Weltmärkten vertreten wären. Außerdem: Ein Großteil des so genannten Exports geht in andere europäische Länder, doch Europa ist kein Exportmarkt mehr, sondern ein Binnenmarkt. Das müssen wir endlich verinnerlichen.
Kritiker der Exportorientierung fordern die Stärkung der Binnenkaufkraft. Teilen Sie diese Auffassung?
Was haben wir sonst gemacht? Gerade die Exportbranchen haben Jahr für Jahr die Kaufkraft gestärkt. Sie haben nicht nur neue und besser bezahlte Jobs geschaffen, auch die Tariferhöhungen waren deutlicher als in anderen Branchen. Wenn eine Wirtschaft wächst, entsteht Kaufkraft, wenn sie stagniert oder schrumpft, dann geht Kaufkraft verloren. Man kann Export und Binnenwirtschaft nicht gegeneinander ausspielen und sagen, lasst uns weniger Technik produzieren, dafür machen wir mehr Pflege. H. STEIGER
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