„Die Marktgläubigkeit ist gescheitert“
„Wer sich zur sozialen Marktwirtschaft bekennt, muss der Gewinnmaximierung abschwören“, fordert der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann. Nur eine „multilateral koordinierte Weltordnungspolitik“ könne Exzessen, wie dem „global vagabundierenden Kapital“, Einhalt gebieten. VDI nachrichten, Düsseldorf, 8. 5. 09, ws
Thielemann: Diese 25 % müssten angesichts der Wirtschaftslage entweder aus „Blasengeschäften“ resultieren oder sie repräsentieren eine weitere Umschichtung von der Realwirtschaft zum Kapital. In jedem Fall handelt es sich um eine Kennzahl, die nur bei solchen Aktionären, denen keine Rendite zu hoch ist, Freude auslösen dürfte.
Gewinnmaximierung ist kein Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft. Wer sich zur sozialen Marktwirtschaft bekennt, muss der Gewinnmaximierung abschwören. Legitime Gewinnerzielung kann nicht unbegrenzt sein. Entweder man handelt als Unternehmen verantwortungsvoll, geht anständig mit Mitarbeitern, Kunden und weiteren Stakeholdern um oder man setzt alles daran, dass die Gewinne so hoch wie möglich sind. Beides geht nicht. Diese Botschaft ist allerdings in vielen Führungsetagen immer noch nicht angekommen.
Manager erhalten auch bei schlechter Geschäftslage Boni. Unter solchen Bedingungen gehe man als Spitzenmanager doch gerne Risiken ein, es sind ja nicht die eigenen, werfen Kritiker ein. Risiken sind aber doch wesentlicher Bestandteil des Wettbewerbs.
Man bezeichnet gerne als „Risiko“, was eigentlich eine Bedrohung für andere ist. Im Falle der geplatzten Blase mussten nicht die Manager die Kosten der Blasenerzeugung tragen, sondern die Steuerzahler mit gigantischen Sicherheiten – wobei man sich immer noch fragen muss, ob dies wirklich notwendig ist.
Unternehmerische Aktivitäten sind also keine Privatangelegenheit, sondern schaffen diverse Abhängigkeiten für andere, mit denen verantwortungsvoll umzugehen ist. Deshalb ist es ein Holzweg, die Manager über Boni „anzureizen“, selbst wenn man die Boni langfristig ausrichtet. Wer möchte da nicht das tun, was ihn zum mehrfachen Millionär machen könnte – um anderen im Falle des Scheiterns die Lasten aufzuhalsen.
Brauchen wir eine neue Managementkultur?
Es gilt, einen neuen Geist im Management zu etablieren. Weg von den Pawlowschen Hunden, die blind der Karotte der Boni hinterherlaufen, hin zu integren Managern, die wissen, welche ungeheure Verantwortung ihnen obliegt. Bei der Ausübung sollten sie nicht durch „Anreize“ behindert werden.
Dem Vater des Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, war daran gelegen, dass sich innerhalb der sozialen Marktwirtschaft „nicht einzelne Bevölkerungsteile zu Lasten anderer bereichern“. Wäre Erhard mit der Entwicklung zufrieden?
Wohl kaum. Er hat den Blasenkapitalismus ebenso wenig vorausgesehen wie die Systembewegung vom Leitbild des fairen Wohlstands für alle hin zum Wohlstand für wenige. Der Wettbewerb ist ein Prozess „schöpferischer Zerstörung“, wie es der Ökonom Joseph Schumpeter bezeichnete, die Frage lautet nur: Geht es dabei fair zu? Ist das rechte Maß gewahrt? Für die letzten zehn bis 20 Jahre müsste man wohl mit Nein antworten. Diese Fehlentwicklungen zu korrigieren geht nur über eine multilateral koordinierte Weltordnungspolitik.
Wäre diese Weltordnungspolitik denn steuerbar?
Es handelt sich ja nicht um Naturereignisse, sondern um Ergebnisse menschlichen Handelns. Fehlentwicklungen sind korrigierbar. Die Notwendigkeit einer „Weltinnenpolitik“ ist von Spitzenpolitikern erkannt. Das ist ein Paradigmenwechsel, den die Öffentlichkeit noch nicht recht wahrgenommen hat: Weg von der entmündigenden „Standortpolitik“ im Schönheitswettbewerb des global vagabundierenden Kapitals, hin zu einer „menschlichen Marktwirtschaft“, von der etwa Angela Merkel spricht, und hin zum fairen Wohlstand für alle.
Es gilt, sich von der Marktgläubigkeit zu verabschieden und sich neu zu orientieren. Dazu zählen die Beschränkung des Anteils variabler Vergütungen für Manager, Besteuerung des Kapitals bzw. Abkehr von der steuerlichen Privilegierung von Kapitaleinkommen sowie soziale Mindeststandards.
Sollten an der Krisenaufarbeitung neue, unverbrauchte Kräfte beteiligt werden?
Die tiefere Ursache der Krise ist in der Marktgläubigkeit zu suchen, also in der Annahme, dass man den Akteuren, vor allem dem Kapital, nur freie Hand geben müsse, dann komme der Wohlstand für alle von alleine. Diese Marktgläubigkeit ist gescheitert. Sie ist aber noch tief in den Köpfen all derer verankert, denen „wirtschaftlicher Sachverstand“ zugeschrieben wird. Man sollte auf unkonventionelle Stimmen hören. Die Pluralität an den Wirtschaftsfakultäten ist wieder zu stärken. Wirtschaftsethik sollte auf den Lehrplänen stehen.
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Der in Remscheid geborene Dr. Ulrich Thielemann ist Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen.
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