Baukasten regelt Arbeitsrhythmus
Das schwedische Time Care-Modell gestattet Mitarbeitern größere Freiheiten bei der Freizeitplanung und sorgt in Unternehmen für effizientere Arbeitsabläufe.
Ulf Karlfeldt sieht gespannt auf den PC-Schirm an seinem Arbeitsplatz bei SAS am Arlanda Lufthafen in Stockholm. Er hat dem Computer seinen Arbeitswunsch eingegeben und wartet auf eine Reaktion.
Wenn alle Kollegen ihre Zeitwünsche registriert haben, zeigt ihnen das Programm an, ob alles den erhofften Weg geht oder ob einzelne neu disponieren müssen – und zwar aus eigener Initiative, nicht von oben verordnet. „Märchenhaft“, hat Karlfeldt gesagt, als er das Verfahren erstmals praktizierte. Als Techniker und Realist vertraut er dem Computer, erst recht, seit er und seine Kollegen erfahren haben, auf welch neuartige Art und Weise er ihnen das Arbeitsleben wesentlich erleichtern kann.
Karlfeldt hat den PC mit der Mitteilung gefüttert, dass er in den nächsten drei Monaten freitags nicht zur Arbeit kommen möchte. Karlfeldt hat Glück. Möglich macht diese individualisierte Aufteilung flexibler Arbeitszeiten das Time Care-Modell von Prof. Andris Kreicbergs vom Karolinska Institut in Stockholm.
Er hat ein System entwickelt, in dem die 1700 bis 1800 Arbeitsstunden, die in Schweden jährlich pro Kopf anfallen, beliebig einsetzbar werden. Ihre Anordnung richtet sich in der Regel nach Bemessungszeiträumen(intervals) von ein bis zwei Monaten. So genannte Normalarbeitszeiten müssen erst am Ende eines Arbeitsvertrags ausgeglichen werden. Überschreitungen von plus-minus 20 Stunden kann jeder auf seinem Arbeitszeitkonto haben, ohne dass er verpflichtet wäre, es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder auszugleichen. Kreicbergs: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Arbeitsgruppen ihre Bemessungszeiträume gemeinsam ändern, z.B. im Winter auf sechs, im Sommer auf zwölf Wochen, um die Urlaubszeit besser planen zu können.“
Geht es bei dem Time Care-Modell doch darum, dass nicht mehr in Schichten oder anderen festgelegten Zeiträumen gearbeitet wird, sondern alle Anwesenheitsstunden in der Firma wie in einem Baukasten austauschbar sind. Das Unternehmen erstellt dafür ein Anforderungsraster, in dem die Bedarfe festgehalten werden das Wunschprogramm der Mitarbeiter wird mit dieser Auftragssituation konfrontiert. Bei der Besetzung von Feiertagsstunden wie Weihnachten oder Ostern werden Punkte verteilt. Wer bereits zu diesen „unpopular hours“ gearbeitet hat, erhält eine höhere Bewertung. Der Computer verteilt Feiertagsarbeit zuerst an jene, die die geringste Punktezahl aufweisen. Bei der Bundeswehr nutzt man ein ähnliches Verfahren für die Wachdienste. Kreicbergs: „Das erspart den Personalabteilungen frustrierende Debatten über Feiertagsbesetzungen. Die computergestützte Ausbalancierung ist bisher noch nirgends auf Widerstand gestoßen.“
Und noch eins: Jeder an das Time Care-Modell angeschlossene Arbeitsplatz kann „Veto-Blockaden“ nutzen. Ulf Karlfeldt macht an seinem SAS-PC Gebrauch davon: Er rettet Stunden, die ihm besonders wichtig erscheinen. Zur großen Flexibilität tragen die „Bandbreiten“ bei. Für das gleiche Arbeits- oder Produktionsziel sind einmal drei und ein andermal fünf Personen einsetzbar. Das bringt zusätzlich Freistunden für die Mitarbeiter und variable Kosten für ein und dieselbe Produktion. Kreicbergs: „Bei uns in Schweden haben viele Unternehmen und Organisationen nicht nur SAS, auch H+M, die Post oder die Krankenhäuser Time Care als Motivationsmotor für ihre Mannschaften schätzen gelernt.“
Ulf Karlstedt meint: „Seit ich weiß, dass mich nicht mein Leben lang eine unverrückbare Arbeitsstundenzahl er-drückt, arbeite ich noch einmal so gern.“ R. FIEDLER-WINTER