Verfassungsbruch beim Lauschangriff
Bei der Telefonüberwachung in Deutschland wird erheblich geschlampt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Bielefeld. Hier finden Sie die zentralen Ergebnisse der Studie.

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Foto: panthermedia.net/Vadymvdrobot
Dabei sind die Vorschriften eindeutig. Grundsätzlich dürfen weder Kriminalbeamte noch Staatsanwälte den Lauschangriff anordnen. Er muss durch eine richterliche Entscheidung geprüft werden, damit der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt – so will es das Grundgesetz. Aber dieses Ziel „hat sich die Rechtspraxis nicht zu eigen gemacht“, so formulieren es die Bielefelder Wissenschaftler vorsichtig.
Unter der Leitung der Professoren Otto Backes und Christoph Gusy haben zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen die Akten von 554 Telefonüberwachungen aus 173 Strafverfahren analysiert, sie führten 56 Interviews mit Kriminalbeamten, Staatsanwälten und Richtern: Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen wurden in Bielefeld, Bremen, Dortmund und Duisburg massenhaft verletzt. Ohne Reue.
Nur „knapp ein Viertel“ der kontrollierten Beschlüsse war regelgerecht zustande gekommen. Eine peinliche Bewertung, die Backes um ein Erlebnis anreichert: „Achtmal war es die Deutsche Telekom, die Beschlüsse zurückgereicht hat.“ Erst dort habe man gemerkt, dass noch nicht einmal genannt wurde, mit welcher schweren Straftat die Überwachung begründet wurde.
Das Bild von schludrigen Juristen verdunkelt sich noch: „Erstaunlich“ fanden die Forscher, wie sehr die eigenständige Bewertung „fast auf den Nullpunkt sinkt“. In weit über 90 % der Fälle übernahmen Richter wortwörtlich größtenteils noch unvollständige Entwürfe der Staatsanwälte. Die wiederum „vergaßen“ fast alle, die Betroffenen nach dem Lauschangriff zu informieren, wie es die Strafprozessordnung vorschreibt. „Eine ausdrückliche Benachrichtigung des Beschuldigten erfolgte lediglich in rund 3 % der Fälle“, so die Studie.
Statt Zerknirschung zeigten sich die ertappten Juristen selbstgerecht. „Ein Richter sei in der Ermittlung ohnehin nicht drin“, richterliche Kontrolle sei „nur ein rechtsstaatliches Alibi“, argumentieren verschiedene Staatsanwälte. Fazit der Studie: Dafür, dass „der Richtervorbehalt als eine besondere Form des Grundrechtsschutzes für die Betroffenen anzusehen ist, fehlt jegliche Sensibilität“. E. PH. LILIENSIEK