„Tiefer Eingriff in die Privatsphäre“
VDI nachrichten, Berlin, 7. 12. 07, has – Strenge Maßstäbe wie beim Lauschangriff fordert Bitkom-Präsidiumsmitglied Dieter Kempf auch für Online-Durchsuchungen. Ex-BND-Chef August Hanning sieht die Sicherheitsbehörden als Opfer ihrer eigenen Erfolge.
Der IT-Branchenverband Bitkom fordert für die vom Bundesinnenministerium geplante Online-Durchsuchung strenge rechtliche Voraussetzungen. „Online-Durchsuchungen greifen sehr viel tiefer in die Privatsphäre ein als eine Telefonüberwachung“, sagte Dieter Kempf, Mitglied des Präsidiums von Bitkom und Vorstandsvorsitzender von Datev, vergangene Woche beim „Forum innere Sicherheit und Hightech“ in Berlin.
Online-Durchsuchungen, z. B. mit dem so genannten Bundestrojaner, sollten nur unter ebenso strengen Voraussetzungen zulässig sein wie die akustische Wohnraumüberwachung, der so genannte große Lauschangriff, bei dem das Bundesverfassungsgericht Leitlinien vorgegeben hat. Eine Durchsuchung von Zentralrechnern der E-Mail-Anbieter lehnt Bitkom ab. Jeder Nutzer könne seinen Mailverkehr problemlos über ausländische Anbieter abwickeln.
Würden die Forderungen von Bitkom umgesetzt, wären Online-Durchsuchungen nur bei schweren Straftaten wie Mord oder schweren Fällen von Raub und Korruption erlaubt. Das könnte dazu führen, dass eine Überwachung von Terroristen abgebrochen werden und die Betroffenen nachträglich informiert werden müssten, wenn der Kernbereich der Privatsphäre berührt sei.
Vor der Regelung der Online-Durchsuchung wolle die Koalition aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Online-Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen abwarten, so der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer.
Bei der Vorratsdatenspeicherung, die der Bundesrat am Freitag vergangener Woche billigte, müssen die Telekommunikations-Anbieter die Verbindungsdaten für E-Mails, Internet und Internet-Telefonie erst ab Anfang 2009 für sechs Monate aufbewahren. Die Datenspeicherung bei der Sprachtelefonie, also Festnetz und Mobilfunk, beginnt schon ab 1. 1. 08.
Ursprünglich sollten alle Daten ab kommendem Jahr gespeichert werden. „Unsere Unternehmen müssen technisch und personell aufstocken, um die neuen Vorschriften erfüllen zu können“, sagte Kempf. Für die Speicherung der Sprachtelefonie-Daten sei der Zeitraum bis zur Umsetzung viel zu kurz. „Allein für die nötige Technik müssen die Netzbetreiber und Provider bis zu 75 Mio. € investieren“, erklärte er. Hinzu kämen jährliche Betriebskosten in zweistelliger Millionenhöhe. Die Überwachungsmaßnahmen erfordern neue Datenbanken und Programme, da erheblich mehr und andersartige Daten als bisher gespeichert werden müssen.
Ein Schritt in die richtige Richtung, so der Bitkom, sei die geplante Entschädigungsregelung für die Überwachung von Anschlüssen. Dafür liegt seit Mitte November ein Entwurf vor. Derzeit werden die Telekommunikationsanbieter bezahlt wie Zeugen in einem Strafprozess – mit 17 € pro Stunde. Die Entschädigungen lägen jedoch weit unter den tatsächlichen Kosten, bemängelte der Verband. Die Zahlungen in Österreich und der Schweiz seien im Schnitt viel höher.
Einigkeit herrschte auf der Tagung im Abstrakten, nämlich dass eine angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gefunden werden müsse. Im Konkreten klafften die Ansichten allerdings weit auseinander.
So beschwor Heribert Prantl, Leiter des Ressorts Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung, die Gefahr, „dass die Akzeptanz von Sicherheitsgesetzen schwindet“. Die „Generation Internet“ springe ab und verweigere den Gesetzesgehorsam, wie sich in der „Ablehnung des Gemeinwesens“ in der Blogosphäre zeige. Die Grundrechte, so Prantl, seien durch die Pläne zur Schaffung eines „Präventivstaats“ „unter Generalverdacht geraten“.
Dagegen sah August Hanning, Staatssekretär im Innenministerium und Ex-BND-Präsident, die Sicherheitsbehörden als „Opfer eigener Erfolge“. Die Bevölkerung unterschätze auch nach mehrfacher Vereitelung von Anschlägen die Terrorgefahr.
ULRICH HOTTELET
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