Pandemie-Notfallplan ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil
VDI nachrichten, Düsseldorf, 8. 6. 07, Fr – Erneut hat die Weltgesundheitsorganisation WHO vor Kurzem von Regierungen und Firmen ein „proaktives Risikomanagement“ zur Abwehr weltweiter Epidemien gefordert und dabei ausdrücklich auf die Influenza sowie den Vogelgrippe-Virus H5N1 hingewiesen. Ein Blick in die Praxis jedoch zeigt, dass der Vorbereitungsstand in der Wirtschaft immer noch zu wünschen übrig lässt.
Viele Manager sind der irrigen Annahme, bei einer Vogelgrippe-Pandemie breche der Markt zusammen, dann müsse man auch nichts mehr produzieren“, klagte Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, kürzlich in Halle auf der Jahreskonferenz der WHO. Übertriebene Panikmache trage dazu bei, dass sich nur wenige Unternehmen mit Krisenplänen auf den Ernstfall konstruktiv vorbereiteten.
Kekulé zeichnet ein differenzierteres Bild: Als Basisszenario sei von einer Erkrankung von 30 % der Mitarbeiter auszugehen. Dabei bleibe die unternehmerische Funktionsfähigkeit erhalten. Erst ab 50 % müssten die Produktionen in je nach Branche unterschiedlichen Umfängen heruntergesetzt werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden auch bei einer Vogelgrippe die globalen ökonomischen Strukturen weiterfunktionieren. Die Geschäfte könnten – wenn auch mit deutlich reduzierten Ressourcen – weitergeführt werden. Kekulé: „Wer für diese Situation gut gerüstet ist, hat einen echten Wettbewerbsvorteil.“
Zu den wichtigsten Herausforderungen gehören Cash-Flow-Probleme, der Krankenstand der Mitarbeiter, Quarantänevorschriften, Reiserestriktionen, Behinderung im Im- und Export und Treibstoffknappheit. Die Beratungsfirma für Risikomanagement Marsh hat einen elektronischen Fragebogen entwickelt, mit dem Unternehmen ihren Vorbereitungsstand analysieren können.
Danach muss beispielsweise kontrolliert werden, ob die IT-Infrastruktur ausreicht oder ob es Strategien gibt, Mitarbeiter, Kunden und Aktionäre gleichzeitig zu informieren. Dabei handelt es sich keineswegs um „freiwillige“ Maßnahmen. „Auch Gesundheitsrisiken, etwa durch eine drohende Grippe-Pandemie, zählen zu den laut KonTraG (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich) zu beobachtenden Risiken eines Unternehmens bzw. den zu treffenden Vorsorgemaßnahmen“, so die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. US-Analysten beurteilen Unternehmen inzwischen auch nach der Qualität ihrer Pandemiepläne.
Auf den Ernstfall wirklich vorbereitet sind allerdings nur rund 12 % der Firmen. Und das, obwohl immerhin 70 % davon überzeugt sind, eine Pandemie könne ihnen schweren wirtschaftlichen Schaden zufügen, ermittelte die Consultingfirma Mercer. Selbst von den 30 Dax-Unternehmen haben laut einer Studie der Allianz-Gruppe nur 18 einen Notfallplan. Zu den positiven Beispielen zählt Degussa. Im Krisenfall können sofort die Kontakte unter den Mitarbeitern verringert werden. Für jedes Werk gibt es einen detaillierten Plan, wer im Ernstfall zu Hause bleibt beziehungsweise nicht zwingend zur Aufrechterhaltung der Produktion gebraucht wird.
Die BASF hält neben organisatorischen und hygienischen Maßnahmen auch das antivirale Medikament „Tamiflu“ für die Belegschaft bereit, das die Krankheitsdauer um bis zu drei Tage verkürzen kann. Auch Daimler, Henkel und Unilever wollen so den Krankenstand auf einem niedrigen Level halten. Am besten gerüstet sind die Banken, die dazu allerdings von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht verpflichtet wurden. Sie können im Notfall wichtige Aufgaben auf Heimarbeitsplätze verlagern. Als Vorbild gilt die weltweit drittgrößte Bank HSBC, die via Home-PC zeitweise mit der halben Belegschaft auskommen will.
Grundsätzlich ließe sich das Pandemierisiko versichern. Doch nur wenige deutsche Firmen verfügen über entsprechende Policen. Die Assekuranz scheut das wirtschaftliche Risiko und bietet einen entsprechenden Schutz erst gar nicht aktiv an. „Das Ganze stößt aufgrund des Schadenpotenzials an die Grenzen des Möglichen“, so Jürgen Rolke, Manager im Geschäftsfeld Industrie bei HDI in Hannover. Man müsse schon guter Kunde und bereit sein, Prämienaufschläge von 25 % und mehr in Kauf zu nehmen, ist von Vermittlern zu hören.
MANFRED GODEK
Ein Beitrag von: