Keineswegs eine Alte-Leute-Krankheit
Vor allem die Schmerzen sind es, die Rheuma-Patienten mitunter das Leben unerträglich machen. Mit verschiedenen Therapien aber lassen sich die Schübe chronischer Gelenkentzündung besser in den Griff bekommen.
An chronischem Rheuma leiden in Deutschland allein rund 4 Mio. Erwachsene. „Zählt man die leichteren Fälle von Arthrose hinzu, so sind es sogar 20 Mio. Menschen“, schätzt die Deutsche Rheuma-Liga. Doch der Volksmund lügt: Rheuma ist keine Alte-Leute-Krankheit. Denn sogar Kinder und Säuglinge können daran erkranken.
Rheuma hat viele Gesichter. Die Beschwerden reichen von leichtem Schmerz bis hin zur völligen Verkrüppelung der Gelenke. Trotz positiver Therapieansätze haben die Ärzte dem Krieg in den Gelenken bisher kaum geeignete Waffen zu bieten. Um so wichtiger sind deshalb individuell zugeschnittene Behandlungen sowie geeignete Gerätschaften, mit denen sich die Hilflosigkeit der Kranken im Alltag verringern läßt.
Das deutlichste Anzeichen für Rheuma ist der Schmerz. Ursache dafür kann eine Entzündung (chronische Polyarthritis) und der Verschleiß (Arthrose) des Gelenks oder ein Gichtanfall sein. Am häufigsten sind Arthrose und Weichteilrheumatismus. Der Krankheitsverlauf ist sehr wechselhaft. Auf sogenannte Schübe mit starken Schmerzen, Schwellungen und Versteifungen der Gelenke folgen mitunter Zeiten fast völliger Beschwerdefreiheit. Die schweren Krankheitsformen aber können die Lebenserwartung der Patienten um Jahre verkürzen.
Chronische Polyarthritis befällt selten nur einzelne Gelenke, sondern breitet sich im ganzen Körper aus. Meist beginnt die Krankheit mit einer entzündeten Gelenkinnenhaut, die daraufhin entzündliches Gewebe bildet. Dieses frißt sich regelrecht durch den Knorpel bis in den Knochen. Die Folge ist die Versteifung des dann völlig zerstörten Gelenks. Typisch dafür sind zum Beispiel Rheumaknoten und Deformationen an Händen und Füßen. Was viele Patienten nicht wissen: Die chronische Polyarthritis kann sogar auf die Nieren und den Herzmuskel übergreifen.
Auch Kinder erkranken an Rheuma – in Deutschland jedes Jahr etwa 1000 neu. Oft werden ihre Beschwerden mit den sogenannten Wachstumsschmerzen verwechselt. Wenn diese nicht nach wenigen Wochen oder Monaten von allein wieder verschwinden, könnte tatsächlich Rheuma vorliegen. Damit die Kinder richtig versorgt werden, bieten neben der Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen auch die kinderrheumatologischen Abteilungen vieler anderer Kliniken spezielle Schulungskurse für die betreuenden Eltern an.
Verschiedene Beschwerden erfordern alternative Therapien
Von verschiedenen Arzneien über physikalische Therapien bis hin zum operativen Eingriff können Rheuma-Patienten aus einer Vielzahl von Therapien diejenige wählen, die ihre speziellen Beschwerden am besten zu lindern vermag. Dr. Gabriele Brieden stellt Alternativen in ihrem Buch „Rheuma – Lernen, mit der Krankheit gut zu leben“ vor.
Medikamente, ob mit oder ohne Cortison, sind oft unentbehrlich. Zudem sollen Physiotherapie und Krankengymnastik dem Einsteifen der Gelenke gegensteuern und die Beweglichkeit wiederherstellen. Gut bewährt hat sich Wassergymnastik bei 28 0C bis 32 0C. Zur physikalischen Therapie gehören Kälteanwendungen zur Entzündungshemmung, heiße Bäder und Fango-Packungen, Massagen, Elektrobehandlungen und Lichttherapie.
Eine unblutige Behandlungsmöglichkeit ist die Gelenkinnenhautverödung, die sogenannte Radiosynoviorthese. Dabei wird ein radioaktives Isotop, zum Beispiel Yttrium-90, Rhenium-186 oder Erbium-169, in das Gelenk gespritzt, wo es für kurze Zeit Strahlung aussendet und so den Entzündungsherd vernarbt. Die maximale Reichweite dieser Methode liegt bei wenigen mm und bleibt damit auf das zu behandelnde Gelenk beschränkt.
Manchmal aber empfiehlt sich auch eine Operation. Wenn die entzündete Gelenkinnenhaut im Frühstadium der Erkrankung entfernt wird, läßt sich damit die Funktion des Gelenks oft auch langfristig erhalten. Allerdings kann die Entzündung jederzeit neu aufflammen. Sind die Gelenke erst einmal verformt, nutzt diese Operation nichts mehr. Dann muß der Knochen direkt bearbeitet werden. Endstation aller Operationen ist schließlich der künstliche Gelenkersatz.
Wenn sonst nichts hilft, springen vielleicht alternative Konzepte zur begleitenden Behandlung in die Bresche. Die Akupunktur etwa vermag Rheumakranken einen Teil der chronischen Schmerzen zu nehmen. Sie löst Verspannungen und wirkt positiv auf Muskeln, Nerven und Lymphe. Besonders bewährt haben sich die Nadeln bisher bei Weichteilrheuma. Thymusextrakte, Rheumatee oder sogar Weihrauch nimmt so mancher Patient zur Stärkung der Abwehrkräfte. Forscher der Universität Tübingen entdeckten jetzt, daß die im Weihrauch enthaltenen Boswellinsäuren ein bestimmtes Enzym hemmen, daß an der Entstehung der Entzündungen beteiligt ist. Seine Tauglichkeit als Rheumamittel muß Weihrauch aber erst noch unter Beweis stellen. Deshalb sind diese Präparate in Deutschland auch noch nicht zugelassen.
Erfreulicherweise bietet der Markt mittlerweile viele Haushalts- und Gebrauchsgegenstände, die den besonderen Erfordernissen der Rheumatiker entgegenkommen. So kann man Spezialbesteck und Stifte benutzen, die dicker als normal und damit besser greifbar sind. Tassen und Teller für Rheumatiker sind mit besonderen Mulden und Küchenmesser mit Faustgriffen versehen. Praktisch sind auch Schlüsseldrehhilfen oder Schlüsselverlängerungen, mit denen das die Feinmotorik erfordernde Fassen der kleinen Schlüssel erleichtert wird. Als besonders wertvoll erweist sich der Kamm mit Winkelstück, mit dem sich auch der Hinterkopf mühelos frisieren läßt, oder die Greifhilfen und Strumpfanzieher.
„Wer rastet, der rostet.“ Bei kaum einer anderen Krankheit trifft dieses Sprichwort so gut zu wie bei Rheuma. Die aktive Teilnahme am Straßenverkehr ist für viele Rheumatiker bisher mit enormen Handicaps verbunden. Doch mit medizinischen Drahteseln und stabilen Dreirädern, die das Bochumer Unternehmen tri-mobil anbietet, kann der Kranke dem mitunter fehlenden Gleichgewichtssinn jetzt ein Schnippchen schlagen. „Es gibt Patienten, die wünschen sich ein Dreirad mit zwei Rädern vorne, weil ihnen der Blick auf die gesamte Breite des Rades mehr Sicherheit verleiht“, erklärt André Siebering, der das Bochumer Unternehmen zusammen mit Wolfgang Schiffer leitet. „Erst dann vertrauen sie auch wirklich darauf, daß sie etwa bei schmalen Fahrradwegen ohne Anzuecken zwischen den Pfosten hindurchpassen.“
BETTINA RECKTER
BUCHTIP: Gabriele Brieden: Rheuma – Lernen, mit der Krankheit gut zu leben. Springer-Verlag, Heidelberg, 1999 INTERNET-TIP: Gutverständlicher Rheuma-Wegweiser durchs Internet unter www.rheuma-zentrum.com . SPEZIALFAHRRÄDER: tri-mobil, Bochum, Tel. 0234/511419
Radfahren trotz Handicap – Rheumatiker können aus einem breiten Angebot moderner Liege- oder Dreiräder das für sie geeignete Modell aussuchen.
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