Hilfe für den Menschen und das Unternehmen
Psychische Störungen sind hierzulande auf dem Vormarsch. Durch eigene Sozialberater oder Krisentelefone bieten manche Firmen ihren belasteten Mitarbeitern Erste Hilfe – auf dass sie schnell wieder einsatzbereit werden. VDI nachrichten, Düsseldorf, 5. 6. 09, ws
Klopft ein Mitarbeiter an der Tür von Silvana Schwedas, hat er den ersten Schritt aus der Misere bereits getan: Er frisst seine persönlichen Probleme nicht länger in sich hinein. Schwedas arbeitet als Sozialberaterin bei der Lufthansa Technik AG in Hamburg und ist mit ihren beiden Kollegen gewissermaßen der Kummerkasten für über 14 000 Lufthansa-Beschäftigte im norddeutschen Raum.
Zuhören, stabilisieren, Vertrauen aufbauen, lautet ihr Credo beim ersten Besuch eines Mitarbeiters. Anlass sind meist Beziehungskonflikte, sei es mit Vorgesetzten, Kollegen oder im privaten Bereich. „Oft tut sich hinter einem kleinen Thema ein größeres auf“, erläutert Silvana Schwedas. Etwa wenn sich nach der Scheidung das gemeinsame Haus nicht mehr finanzieren lässt, die Sorge darüber in Alkohol ertränkt wird.
Manchen Mitarbeitern genügt ein klärendes Gespräch, andere begleitet die Sozialberaterin über Jahre. Einen Termin bei einer Schuldnerberatung kann sie dank einer Kooperation innerhalb von sechs Wochen organisieren. Scheint eine Therapie angezeigt – bei Alkoholabhängigkeit oder Depression – vermittelt sie einen Platz in einer öffentlichen Einrichtung.
Betriebliche Sozialarbeit hat in Deutschland Tradition. Die Schwerpunkte haben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verlagert: Bei der Siemens AG, die bundesweit nicht weniger als 40 Sozialberater beschäftigt, von der Fürsorge bei Wohnungssuche oder beim Ausfüllen von Rentenanträgen hin zu lösungsorientierten Ansätzen zur Konflikt- und Problembewältigung.
„Der Veränderungsdruck im Unternehmen erfordert von den Mitarbeitern heute eine unglaubliche Anpassungsfähigkeit. Manche stoßen dabei an ihre Grenzen“, sagt Britta Roderer. Die Folge seien häufig psychische Beeinträchtigungen. Nicht selten hat die Siemens-Sozialberaterin vier depressive Mitarbeiter in einer Woche beraten.
Hoher Leistungsdruck, befristete Arbeitsverträge, Entgrenzung von Beruf und Privatleben und daraus resultierende familiäre Probleme lassen psychische Störungen seit einigen Jahren stark ansteigen, zeigt auch ein Bericht der Techniker Krankenkasse.
Meist schlagen sie sich auch auf den Körper nieder: Im Durchschnitt sind Mitarbeiter mit einer entsprechenden Diagnose dreimal so oft krankgeschrieben wie ihre seelisch stabilen Kollegen.
Die aktuelle Herausforderung an die Unternehmen lautet daher: „Die Gesundheit der Mitarbeiter erhalten und ihre Leistungs- und Erholungsfähigkeit sichern“, verlangt Susanne Klein, Vorstandssprecherin des Bundesfachverbandes Betriebliche Sozialarbeit (BBS). Und sie stellt die Sachlage klar: „Betriebliche Sozialarbeit ist kein Liebesdienst, sondern eine Investition in die Mitarbeiter und das Unternehmen.“
In ihrer Arbeit sind die internen Krisenhelfer meist ziemlich frei. Neben fachkundiger Beratung bieten sie meist auch Informationsveranstaltungen, Entspannungskurse und Seminare für Führungskräfte an.
Letztere seien häufig unsensibel für Signale ihrer belasteten Mitarbeiter oder aber unsicher, wie sie damit umgehen sollen, sagt Schwedas. Auf Bitte eines Vorgesetzten geht sie nur in Ausnahmefällen auf Mitarbeiter zu: „Das ist und bleibt ansonsten Führungsaufgabe.“
Organisatorisch sind die Sozialberater oft in der Personalabteilung angesiedelt, stehen aber unter Schweigepflicht. „Hier geht keine Information ohne Zustimmung des Mitarbeiters weiter“, versichert Roderer. In ihrem abseits gelegenen Büro, das dank zahlreicher Pflanzen und Bilder schon optisch eine Insel am Nürnberger Siemens-Standort bildet, darf auch mal geweint werden. „Dann sperr ich die Tür ab.“
Auf Wunsch des Mitarbeiters nimmt die Sozialberaterin Kontakt zu seinem Vorgesetzten auf, um gemeinsam auszuloten, wie sich die Leistungserwartungen trotz angegriffener Psyche erfüllen lassen. „Das wird gut angenommen, denn letztlich stehen auch Führungskräfte oft im Spagat und unter einem Wahnsinnsdruck“, sagt Roderer.
Als Alternative zum eigenen Sozialberater kaufen insbesondere internationale Firmen psychosoziale Beratung oftmals als externe Dienstleistung ein. So genannte „Employee Assistance Programme“ (EAP) bieten den Mitarbeitern telefonischen Kontakt zu Sozialarbeitern oder Psychologen. Diese helfen meist auch in ganz praktischen Fragen, etwa bei der Suche nach einer passenden Schule für den Filius.
Bei allem gilt: „Wir haben stets auch die Interessen des Unternehmens im Blick“, sagt Juliane Barth. Die Beratungsleiterin beim Kieler EAP-Dienstleister Corrente AG vermittelt ausschließlich Experten, „die auch Erfahrungen in der Arbeitswelt haben und lösungsorientiert handeln“ und nicht etwa den Mitarbeiter darin bestätigen, dass ihn sein Arbeitgeber ausnutzt.
Bleibt die Frage: Wie sozial ist es von Unternehmen, psychisch belastete Mitarbeiter zu unterstützen, gleichzeitig aber enorme Leistungsanforderungen an sie zu stellen? „Unsere Kunden stehen als Tochtergesellschaften selbst oft unter einem ungeheuren Druck“, sagt Barth. „Da fühlt es sich gut an, wenn man von den Mitarbeitern an anderer Stelle Druck wegnehmen kann.“
BBS-Vorstandssprecherin Klein bestätigt: „Die technologische Entwicklung lässt sich nun mal nicht zurückdrehen.“ Betriebliche Sozialarbeit sei „mehr als nur ein Pflaster“ und werde in Zukunft immer wichtiger. BIRGIT OBERMEIER
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