Gestaffelte Schutzzonen
Hamburg hat mehr Brücken und Kanäle als Venedig und häufig ein ähnliches Problem wie die Lagunenstadt: Hochwasser, italienisch „aqua alta“. Auf einer Fachtagung mit diesem Titel diskutierten Experten Schutzmaßnahmen gegen die Auswirkungen eines steigenden Meeresspiegels und extremer Unwetter als Folgen des Klimawandels – nicht nur in Hamburg. VDI nachrichten, Hamburg, 27. 11. 09, swe
Wenn die Herbststürme an der deutschen Küste auf nordwestliche Richtung drehen, bekommen die Bewohner in Hamburgs niedrigstem Stadtteil nasse Füße. Regelmäßig werden die Straßen rund um den Fischmarkt in St. Pauli überspült. Tendenz zunehmend, warnen Wissenschaftler und verweisen auf den Klimawandel.
Während die vom Mensch verursachte Erderwärmung den Meeresspiegel weltweit um durchschnittlich 18 cm ansteigen ließ, registrierten Hochwasserexperten in Hamburg einen Anstieg des mittleren Elbehochwassers – also des Wasserstandes ohne zusätzlichen Einfluss von Sturmfluten – sogar um 56 cm. Anderenorts, so letzte Woche im nordenglischen Workington, setzen Starkregenereignisse Ortschaften unter Wasser, die darauf bisher in dieser Form nicht vorbereitet sind.
In den kommenden 30 Jahren seien die Deiche entlang der Elbe auch bei weiterhin steigenden Werten noch sicher, meinte die Leiterin des Norddeutschen Klimabüros an der Küstenforschungsstelle GKSS in Geesthacht, Insa Meinke. Für die Zeit danach müssten zusätzliche Schutzmaßnahmen entwickelt werden, unterstrich die Expertin Mitte November auf der Hamburger Hochwasser-Fachtagung „aqua alta“: „Bis zum Ende des Jahrhunderts erwarten wir, dass Sturmfluten bis zu 1,10 m höher auflaufen können als heute.“
Mobile Hochwasser-Schutzwände, die auf der Fachmesse zur „aqua alta“ präsentiert wurden, gelten an der Küste als wenig taugliches Mittel zur Abwehr von Sturmfluten. Während sie an den Flüssen im Binnenland vorhandene Dämme im Katastrophenfall gut verstärken können, halten die schnell montierten Wände den Gewalten einer Nordsee-Sturmflut nur bedingt stand.
Klassische Sturmflutdeiche, die an der Nordseeküste mittlerweile fast 10 m hoch aufragen, lassen sich jedoch nicht beliebig weiter verstärken. In dicht besiedelten Räumen wie dem Hamburger Hafengebiet mangelt es einfach am Platz für entsprechend dimensionierte Küstenschutz-Bollwerke.
Damit die vorhandenen Anlagen zumindest einer zunehmenden Wellenenergie besser widerstehen können, experimentiert die Ingenieurin Nicole von Liebermann, Professorin an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, mit neuen Oberflächenversiegelungen. Am Ellenbogen, dem besonders dem Sturm ausgesetzten Nordwest-Eck der Insel Sylt, ließ sie die Deichoberfläche mit Composit-Baustoff aus Eisensilikatgestein und Polyurethan überziehen.
Das 20 cm starke Deckwerk soll einerseits ein Abspülen der obersten Deichschicht verhindern und andererseits durch die enthaltenen Hohlräume die Wellenenergie brechen. Fünf Jahre lang will von Liebermann das neue Deckwerk testen lassen. Trotz derartiger Projekte warnt Insa Meinke: „Grundsätzlich sollten wir uns auf die Möglichkeit einstellen, dass die Deiche nicht halten.“
Für Jürgen Oßenbrügge, Professor am Institut für Geografie der Universität Hamburg, ist es naheliegend, schon heute Freiräume hinter den Deichen zu schaffen. „Landwirtschaft ja, Logistikzentrum nein“, so lautete seine Empfehlung für die künftige Hinterlandnutzung während einer Expertendiskussion auf der „aqua alta“.
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Oßenbrügge bezieht die Flächen hinter den heutigen Deichen bereits in neue Schutzkonzepte ein: Seine Idee umfasst eine zweite und dritte Deichlinie, bis zu der das Hochwasser vordringen kann. Die Flächen dazwischen, die die meiste Zeit ja trocken sind, will er mit „schwimmenden Stadtteilen“ bebauen, „die im Katastrophenfall nicht untergehen“.
Der Hamburger Stararchitekt Hadi Teherani hat für die Elbestadt eine andere Idee entworfen, die er auf der „aqua alta“ präsentierte. Im Hochwasser gefährdeten Bereich der neuen Hafencity will er eine mehrere 100 m lange „Lebende Brücke“ bauen, die 11,50 m über der Norderelbe „schwebt“ und Platz für 1000 Wohnungen bieten soll. Das Vorbild dafür hat Teherani in der eigentlichen Stadt des „aqua alta“ entdeckt: die Rialto-Brücke in Venedig. WOLFGANG HEUMER