Freizeit und Erholung müssen sein
Wie wichtig es ist, den persönlichen Akku nach Feierabend wieder aufzuladen, weiß jeder. Aber es gelingt nicht allen, wie eine Studie der Universität Mainz belegt. Gerade die für Ingenieure typische Arbeit in Projektteams mit Zielvereinbarungen enthält ein hohes, oft nur schwer beherrschbares Stresspotenzial. VDI nachrichten, Hattingen, 17. 4. 09, Fr
Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft haben erneut leicht zugenommen, stellte das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIDO) kürzlich fest. Durchschnittlich 17 Kalendertage waren die AOK-Mitglieder im vergangenen Jahr krankgeschrieben – ein Anstieg um 3,2 %. Hoch ist der Anteil an psychischen Erkrankungen.
Dass Stress bei der Arbeit sowohl kurz- als auch langfristig schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Arbeitnehmern hat, sei natürlich gut bekannt, meint Carmen Binnewies. Die Psychologin war am Forschungsprojekt „Erholung“ der Universität Konstanz beteiligt, promovierte mit einer Dissertation zum Thema und führt ihre Arbeit nun auch am Institut für Psychologie der Universität Mainz fort. In der Erholungsforschung werde untersucht, welche Aktivitäten und Erfahrungen außerhalb der Arbeit den Erholungsprozess fördern oder behindern, welche Mechanismen daran beteiligt sind und welche Rahmenbedingungen bei der Arbeit oder im Privatleben die Erholung beeinflussen.
Was macht also gelungene Erholung aus? „Das ist natürlich individuell verschieden. In unserem Forschungsprojekt haben wir aber untersucht, ob es nicht doch bestimmte Gemeinsamkeiten in Aktivitäten gibt, die Menschen als erholsam empfinden“, berichtet Carmen Binnewies. Ob aktiver Sport, faul auf der Couch liegen oder der Kneipenbesuch mit Freunden: Wichtig sei, dass man während der Freizeit abschalten kann. Allerdings seien so genannte Mastery-Erlebnisse, bei denen besondere Herausforderungen bewältigt werden, herauszuheben – und die setzten eine aktive Freizeitgestaltung voraus. Wer also etwa Extremsport treibt, kann trotz der damit verbundenen körperlichen Anstrengungen gestärkt aus solchen Erlebnissen herausgehen, da sie sich positiv auf das Selbstbild auswirken.
Besonderes Augenmerk richteten die Forscher auf die tägliche Erholung, denn es zeigte sich, dass die wohltuenden Effekte des Jahresurlaubs schnell verpuffen. „Urlaub ist natürlich wichtig und vor allem dann, wenn die Belastungen so stark werden, dass die Wochenenden zur Regeneration nicht ausreichen“, erklärt Carmen Binnewies. Aber ein besonders langer Jahresurlaub bedeutet nicht automatisch optimale Erholung. Wichtig sei es eben, sich am Abend und an den Wochenenden von den negativen Folgen der Arbeitsbelastung zu distanzieren.
Die positiven Folgen gelungener Erholung sind nicht nur für die Mitarbeiter von Bedeutung, sie sind auch ein entscheidender Faktor für den Leistungserhalt von Organisationen. Denn gut erholt sind Mitarbeiter engagierter und motivierter, da die Arbeit insgesamt mehr Freude macht. Die gestellten Aufgaben werden besser erfüllt, aber vor allem engagieren sie sich auch über das geforderte Maß hinaus, ergreifen selbst die Initiative, helfen ihren Kollegen.
Aber stehen solche – eigentlich banalen – Einsichten nicht in Kontrast zu dem, was viele Arbeitnehmer tagtäglich erleben? Und gilt nicht angesichts von Globalisierung und Wirtschaftskrise das Motto: Wir können uns Freizeit und Erholung im bekannten Maße nicht mehr leisten? „Aus gesundheitlicher Sicht kann ich nur feststellen, dass es in Deutschland in dieser Hinsicht ganz gut läuft und viele Firmen auch den wirtschaftlichen Nutzen der betrieblichen Gesundheitsförderung erkannt haben“, betont Christine Spanke. Die Psychologin und Fachberaterin beim Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) der AOK Rheinland/Hamburg in Köln ist sicher, dass die Unternehmen in der Regel ein ehrliches Interesse an einer guten Gesundheitsvorsorge ihrer Beschäftigten haben und dementsprechend vorgehen. Nicht vergessen werden dürften auch gewisse Beharrungstendenzen bei den Mitarbeitern. „Wir versuchen bei der Beratung in den Firmen auch die Eigenverantwortung der Beschäftigten anzuregen. Denn es ist nicht nur Sache der Arbeitgeber, für die Gesundheit zu sorgen“, berichtet Christine Spanke. Jeder Einzelne müsse eben den inneren Schweinehund überwinden, wenn es darum geht, durch Sport Stress abzubauen. Bewegung gehöre unbedingt zur Erholungsphase dazu.
Wenn Matthias Holm in seinen Workshops, die vor allem von Ingenieuren besucht werden, aber fragt, was denn besonders belastend sei an der Arbeit, stellt er immer wieder fest, dass die meisten darüber noch gar nicht richtig nachgedacht haben und schon gar nicht dieses Thema im Kollegenkreis diskutieren. Der Maschinenbauingenieur und Arbeitswissenschaftler betreibt mit einem Partner das Institut für Gesundheitsförderung und Personalentwicklung in Hannover und Hamburg. „Wenn Mitarbeiter viel Verantwortung und viel Handlungsspielraum haben, sind zwei Grundvoraussetzungen für eine gute Arbeitsaufgabe gegeben. Doch es darf natürlich nicht zum Arbeiten ohne Ende ausufern“, erläutert Holm.
Viele Ingenieure arbeiten in Projektteams, manchmal in mehreren gleichzeitig, und hätten dabei insofern vermeintliche Freiräume, da die Zielerreichung im festgelegten Zeitraum entscheidend ist. Doch diese auf sie übertragene Verantwortung könne zerstörerisch wirken, wenn solche Projektteams bei Überlastung nicht mit ihren Auftraggebern über zusätzliche Manpower oder längere Bearbeitungszeiten verhandelten. Und bleibt außerhalb der Arbeit überhaupt noch Zeit, den Akku wieder aufzuladen? „Wir brauchen mündige Mitarbeiter, die erkennen, dass das Arbeitssystem keine Grenzen mehr setzt, jeder Einzelne sich selbst Grenzen setzen muss. Dazu gehört aber Mut, eventuell auch mal Nein zu sagen. Wir sind aber mit unserer Sozialisation nicht auf solche Situationen ausreichend vorbereitet und weichen Konflikten lieber aus“, weiß Matthias Holm.
MANFRED BURAZEROVIC
Ein Beitrag von: