Der Medizinmann vom Main
Bittere Pillen verordnete Jürgen Dormann den traditionsreichen Farbwerken Hoechst – in mehreren Etappen praktisch das Schrumpfen nur auf den Pharmabereich und den Zusammenschluss mit dem französischen Rhone-Poulenc-Konzern. Die Firma Aventis entstand.
Am Mittwoch nun machte Dormann sich selbst im Aventis-Vorstand überflüssig: Er schlug dem Aufsichtsrat vor, dass er gemeinsam mit seinem Vize Jean-Rene Fourtou mit der Hauptversammlung am 14. Mai den Aventis-Vorstand aufgibt und in den Aufsichtsrat wechselt.
Dormann, erst im Januar 62 Jahre alt geworden, ist konsequent auch gegenüber seiner eigenen Person und signalisiert zugleich, dass sein operatives Lebenswerk geschafft ist. Er hat das 136 Jahre alte Firmenkonglomerat Hoechst in eine neue Zukunft geführt.
„Die Integration ist abgeschlossen“, bezeichneten er und Fourtou – einem Duo, bei dem sprichwörtlich die Chemie stimmt – dies am Montag. Dass dabei kein Stein auf dem anderen geblieben ist, gehört zu den „Grausamkeiten“, die Dormann nicht scheute. Die urdeutsche Traditionsfirma Hoechst wurde getilgt, residiert heute als Aventis in Frankreich und ist damit nicht mehr an der deutschen Börse notiert.
Auch als Aufsichtsrat wird er sich nicht auf die klassische Rolle eines Senior-Managers beschränken, der in guten Tagen überflüssig, in schlechten hilflos ist. Sein Gesellenstück für eine aktive Aufsicht hat er bereits beim Schweizer ABB-Konzern abgeliefert, wo er dem Verwaltungsrat vorsteht. Von den beiden hochgelobten Ex-ABB-Chefs Percy Barnevik und Göran Lindahl forderte er im vergangenen Monat Millionenbeträge zurück, die diese als Pensionszahlungen zu Unrecht erhalten haben sollen.
Zum „Manager des Jahres“ wurde Dormann 1995 geadelt. Der studierte Volkswirt blieb seit seinem Einstieg als Trainee 1963 Hoechst treu. Neben ABB und Aventis sitzt er noch im Aufsichtsrat von IBM und der Allianz.
Bei der Zerschlagung von Hoechst verliehen ihm Betroffene ein „Rambo-Image“. Dabei ist die vierfache Familienvater ein feinsinniger Mensch mit einer Neigung zu philosophischer Literatur und einer Liebe zur Natur. Dass er deswegen Aventis im landschaftlich schönen Elsass in Schiltigheim ansiedelte, hat Dormann immer heftig dementiert.
MARTIN ROTHENBERG