Methodische Strukturentwicklung eines Großroboters
Die mechanische Nachbearbeitung von Propellergussrohlingen im Schiffbau ist ein manuell geprägter, zeitintensiver Bearbeitungsschritt. Eine Automatisierungslösung ist mithilfe eines Großroboters aufgrund seiner Tragfähigkeit und seines Arbeitsraumes möglich [1]. Um Positionsfehler und Schwingungsanfälligkeiten des Roboters durch auftretende Prozesskräfte zu vermeiden, sind hochsteife Strukturbauteile notwendig, für deren Entwicklung das Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik (IGP) die Topologieoptimierung einsetzt.
![Bild 1. Vergleich von ausgewählten Schwerlastrobotern mit einem Großroboter.
Grafik: [6–8]](https://www.ingenieur.de/wp-content/uploads/2021/10/WBF_Flexgind_Fraunhofer_Bild-1.jpg)
Bild 1. Vergleich von ausgewählten Schwerlastrobotern mit einem Großroboter. Grafik: [6–8]
Ausgabe 9-2021, S. 628
1 Einleitung
Die Produktionszeit eines Schiffspropellers in einem Gussverfahren kann bis zu drei Monate betragen und ist durch häufige Maschinenwechsel gekennzeichnet. Zudem ist der Fertigungsprozess zeitlich unflexibel, produktbezogen und manuell geprägt. In einem aktuellen Verbundforschungsvorhaben des Fraunhofer-Instituts für Großstrukturen in der Produktionstechnik (IGP) und der Mecklenburger Metallguss GmbH gilt es ein geeignetes flexibles Fertigungsmittel für die Bearbeitung von Schiffspropellern mit einem Durchmesser bis zu 12 m zu erarbeiten. Dies soll durch den Einsatz eines Großroboters im Forschungsprojekt „Entwicklung eines flexiblen robotergestützten Systems zur Bearbeitung großer Gussbauteile“ erreicht werden. Im Folgenden werden Großroboter gegenüber herkömmlichen Schwerlastrobotern abgegrenzt und auf die strukturmechanische Optimierung eines exemplarischen Bauteils eingegangen.
2 Schwerlast- und Großroboter
Industrieroboter haben bis heute einen unaufhaltsamen Siegeszug in der industriellen Fertigung und Montage angetreten. Sie zeichnen sich durch eine hohe Beweglichkeit und Steifigkeit bei vergleichsweise geringen Investitionskosten aus.
Die größte Verbreitung besitzen diese Systeme in der Automobil- und der Elektronikindustrie [2]. Dies ist auch ein Grund, warum sich die Tragfähigkeiten und Reichweiten an diesen Anwendungen orientieren. So weist der überwiegende Teil der verkauften Industrierobotersysteme eine Nennlast von weniger als 1000 kg auf. Darüber liegen lediglich Robotersysteme der Anbieter Kawasaki und Fanuc: Der Kawasaki „MG15HL“ mit einer Nennlast von 1500 kg und ein Großteil der Fanuc „M-2000iA“-Baureihe mit einer Nennlast bis zu 2300 kg.
Eine alternative Lösungsvariante im Schwerlastbereich, bei gleichzeitig großen Arbeitsräumen, stellen Roboter in Portalbauweise (TTT-Bauweise) dar. Für die zweiseitige Bearbeitung von Schiffspropellern eignen sich TTT-Kinematiken aufgrund der eingeschränkten Orientierbarkeit des Endeffektors jedoch nicht. Eine Kombination aus Portal und Industrieroboter ist nur dann geeignet, wenn während der Bearbeitung keine großflächigen Hinterschnitte zu berücksichtigen sind beziehungsweise eine gute Zugänglichkeit gewährleistet werden kann. Die nimmt mit steigender Flügelzahl der Propeller jedoch stark ab, sodass sich am Markt verfügbare Roboter-Portal-Kombinationen nicht für die zweiseitige Propellerbearbeitung eignen. Hieraus leitet sich die Notwendigkeit einer performanten Neuentwicklung mit einer seriellen Kinematik ab.
Für die Performance eines Roboters sind die Nennlast oder der Arbeitsraum allein allerdings nicht aussagekräftig. Erst in Kombination lässt sich diese besser bewerten. Über das statische Lastmoment des Roboters ist ein Vergleich sehr anschaulich möglich (s. Bild 1).
Anhand des enorm höheren statischen Lastmomentes wird deutlich, wie stark sich Großroboter von aktuell am Markt verfügbaren Schwerlastindustrierobotern unterscheiden. Für die Bearbeitung von Schiffspropellern eignen sich diese Systeme daher in besonderem Maße.
3 Anforderungen in der Roboterentwicklung
Der Designprozess für Industrieroboter ist dadurch gekennzeichnet, dass der zu entwickelnde Roboter sowohl eine hohe Leistungsfähigkeit als auch zugleich eine maximale Flexibilität aufweisen muss. Der Erwartung, dass dies mit einem Design für jeden denkbaren Einsatzzweck realisierbar ist, kann jedoch in der Regel nicht entsprochen werden. Hier gilt es einen Kompromiss zu finden. Dies wirft die zentrale Frage auf, welches die bestgeeignete mechanische Struktur eines Roboters ist, um die Anforderungen des jeweiligen Anwenders zu erfüllen. Leistungsfähige Steuerungs- und Kalibrieralgorithmen oder externe Messsysteme können ungünstige konstruktive Entscheidungen teilweise kompensieren – im Sinne der Gesamtlösung ist eine optimale mechanische Struktur dennoch eine wesentliche Grundvoraussetzung für ein leistungsfähiges und kosteneffizientes Robotersystem. [3, 4]
Die Maßsynthese befasst sich als wesentlicher Schritt der Roboterentwicklung mit der Bestimmung aller Systemparameter, die das Betriebsverhalten eines Roboters beeinflussen. Hierzu zählen beispielsweise die erforderliche Nennlast, die Denavit-Hartenberg-Parameter als geometrische Beschreibungsform der kinematischen Kette, die maximalen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen oder aber Gelenkwinkelbeschränkungen der einzelnen Roboterachsen.
Im Schwerlast-/Sonderlastbereich für Industrieroboter hat sich eine Kombination aus paralleler und serieller kinematischer Kette durchgesetzt, sodass lediglich die Koppelgetriebe der Hauptachsen 2 und 3 Entwicklungspotenzial für eine Struktursynthese, einem der Maßsynthese vorgelagerten Arbeitsschritt, bieten. Die wesentliche Aufgabe im Rahmen des vorgestellten Projekts besteht daher in der Maßsynthese des Roboters, der aus einer vertikalen Knickarmkinematik mit den durch Koppelgetriebe aktuierten Hauptachsen 2 und 3 besteht. Dabei ist ein iteratives Vorgehen unter enger Einbindung des Kunden besonders in der frühen Designphase des entstehenden Roboters für eine optimale Performance entscheidend.
Jede Änderung der Roboterparameter ist mit dem Anwender während des Designprozesses zu definieren und zu diskutieren, da sie die Leistungskennwerte des Roboters verändert. Der Ausgangspunkt einer jeden Entwicklung besteht deshalb darin, zusammen mit dem Kunden die konkrete Anwendung zu untersuchen, die in der Roboterapplikation realisiert werden soll. Für eine erste Maßsynthese sind dafür folgende Randbedingungen in einem Anforderungskatalog festzuhalten:
- Die erforderlichen Freiheitsgrade des Endeffektors zur Lösung der Roboteraufgabe,
- die aus der Anwendung resultierende Lastfälle des Roboters,
- der erforderliche Arbeitsraum,
- die erforderliche Beweglichkeit,
- die Prozess- / Taktzeiten der Anwendung,
- die Anforderungen an die Steifigkeit,
- die Anforderungen an die Robotergenauigkeit.
- Anhand dieser Informationen ist ein erster Entwurf des Robotersystems möglich und die zu erwartenden Leistungskennwerte des Systems können abgeschätzt und mit dem Kunden diskutiert werden. Dieser Prozess wird wiederholt, bis die Leistungskennwerte für den Kunden optimal sind und das Designkonzept detailliert werden kann.
4 Entwicklung einer hoch steifen Topologie
Ist die Maßsynthese abgeschlossen, müssen hochsteife Achsverbindungselemente mit geringer Eigenmasse entworfen werden, um eine hohe Absolut- und Wiederholgenauigkeit sowie ein gutes dynamisches Verhalten des Roboters im späteren Bearbeitungsprozess zu erzielen. Sie bilden zudem die Grundlage für die finale Auslegung der Antriebsstränge.
Zur Fertigung dieser Strukturbauteile kommt in dem vorgestellten Projekt ein Gussverfahren zum Einsatz, welches die Fertigung komplexer Bauteilgeometrien ermöglicht. Aus diesem Grund wurde für den Designprozess das Verfahren der Topologieoptimierung mit finiten Elementen eingesetzt. Dieses Optimierungsverfahren lässt eine vollumfängliche Anpassung der Geometrie unter Vorgabe von Randbedingungen (Lasten, Verbindungen zwischen Bauteilen, zulässige Verschiebungen, Designvariablen) und einem Optimierungsziel zu und ist potenziell dazu geeignet, den Designprozess in einem gewissen Maß zu automatisieren. Das Verfahren wird hier anhand eines Bauteils (Bild 2, rot) exemplarisch dargestellt.
Die Maße sind für eine Stahlschweißkonstruktion aus einem vorangegangenen Projekt bekannt und wurden im Rahmen dieses Projekts in der Maßsynthese angepasst. Die Struktur erfährt durch die Kopplung mit anderen Strukturbauteilen hohe Biegemomente und muss hochsteif ausgeführt werden. Die geometrischen Anpassungen an den umliegenden Strukturbauteilen ermöglichen eine breitere Anordnung der Lagersitze, wodurch die Konstruktion massiver ausgeführt werden kann.
Die Lasten für die Optimierung werden anhand eines Gesamtmodells des Roboters in 24 Lastfällen ermittelt. Diese resultieren aus vier exemplarischen Posen für den gesamten Arbeitsraum des Roboters (Bild 2) und je zwei Handachsorientierungen mit jeweils drei Belastungen. Aus den Lastfällen des Gesamtmodells werden die Schnittgrößen für jedes einzelne Strukturbauteil als Randbedingungen für die Topologieoptimierung exportiert.
Für diesen skizzierten Ansatz muss in einem ersten Schritt der Designraum definiert werden. Er entspricht dem maximalen Bauraum eines Bauteils, in dem die Optimierung durchgeführt wird und wird durch eine Kollisionsanalyse mit umliegenden Strukturbauteilen ermittelt (s. Bild 3). Für die Kollisionsanalyse werden mit einem kinematisierten Robotermodell alle Strukturbauteile und Antriebskomponenten über den vollständigen Bewegungsbereich bewegt, sodass aus den entstehenden Hüllkurven (Bild 3, beige) anschließend die Grenzen des Designraums für ein beispielhaftes Bauteil (Bild 3, blau) abgeleitet werden können.

Bild 3. Designraum des beispielhaften Strukturbauteils (blau) und Hüllkörper (beige) umliegender Bauteile. Grafik: Fraunhofer IGP
Als Designvariablen werden die im Designraum festgelegten finiten Elemente definiert. Die Zielfunktion ermittelt unter Variation der Designvariablen ein Ergebnis für das vom Nutzer festgelegte Optimierungsziel, beispielsweise eine Minimierung der Spannung oder der Deformation. Durch die Zuordnung einer normierten Dichte je finitem Element und der Steuerung des E-Moduls über die Dichte verhalten sich Elemente mit einem niedrigen E-Modul wie ein Loch, also wie vom Designraum entfernbares Material. Im umgekehrten Fall sind die Elemente für die Struktursteifigkeit zwingend erforderlich. [5]
Die Ergebnisse der Topologieoptimierung aus drei exemplarischen Lastfällen werden in Bild 4 dargestellt. Die Superposition dieser Einzellösungen führt zu der Gesamtlösung der Optimierung.
Die bis dato durch den Algorithmus generierte Geometrie wird im Anschluss händisch durch den Konstrukteur interpretiert. Bei der Interpretation müssen die Fertigungsrestriktionen des Gussprozesses beachtet werden. Zur Vermeidung von Spannungsspitzen durch ungünstige Kraftleitung im Bauteil liegt das Augenmerk im Bereich von belasteten Strukturbauteilen auf möglichst gerade verlaufenden Lastpfaden. Kann dies nicht ermöglicht werden beziehungsweise resultieren aus der Kraftrichtung Momente im Bauteil, wirken tangentenstetige Rundungen gegen Spannungsspitzen. Unter Betrachtung der genannten Forderungen ist das finale Bauteil in Bild 5 oben rechts abgeleitet worden. Es wurde unter der Restriktion von nur einer Entformungsrichtung erstellt, um die Komplexität der für den Abguss benötigten Modelle zu reduzieren.

Bild 5. Iterationsstufen der Strukturbauteiloptimierung, v. l. n. r.: Schweißstruktur aus den Vorarbeiten, manuell optimierte Gussstruktur durch einen Konstrukteur, topologieoptimierte und durch einen Konstrukteur abgeleitete Gussstruktur. Darstellung der Spannungsauswertung (oben) und der Deformationsauswertung (unten). Grafik: Fraunhofer IGP
Für die Kontrolle der Optimierungsergebnisse wird als Referenz ein Bauteil, welches in einem bereits realisierten Robotersystem aus einer Schweißkonstruktion bestand und insbesondere in Bezug auf die Bauteilsteifigkeit Schwachstellen aufwies, mit einer neuen, rein durch einen Konstrukteur sowie mit einer topologieoptimierten Gusskonstruktion verglichen (Tabelle).

Für die signifikante Verbesserung der Bauteilsteifigkeit des Referenzbauteils wurde bewusst eine Erhöhung der Masse in Kauf genommen. Für den Vergleich wurden die Spannungen und Deformationen ermittelt, die bei Anliegen der gleichen Randbedingungen auftreten.
Die Ergebnisse zeigen, dass eine durch einen erfahrenen Konstrukteur durchgeführte Bauteiloptimierung bereits deutlich bessere Ergebnisse hinsichtlich der Bauteilsteifigkeit erzielen kann (siehe Tabelle). Der Einsatz einer Topologieoptimierung führt allerdings durch die Verwendung einer Dichtefunktion neben einer zusätzlichen Erhöhung der Steifigkeit zu deutlich leichteren Bauteilen. In dem vorliegenden Fall konnte eine Masseneinsparung von 10 % und ein Steifigkeitsgewinn von 15 % gegenüber der händisch optimierten Konstruktion erzielt werden. Weiterhin zeigt die Betrachtung der Deformationen bei dem finalen Bauteil eine homogene Bauteilauslastung (s. Bild 5 unten). Die Topologieoptimierung hat somit unter Berücksichtigung der durch Fertigungsverfahren und Bauraum gegebenen Restriktionen zu dem angestrebten Ergebnis der maximalen Bauteilsteifigkeit bei minimalen Materialeinsatz geführt.
Literatur
- Dryba, S.; Meißner, J.; Wanner, M.-C. et al.: Hochpräzises Bearbeiten von Schiffspropellern: Roboterapplikation zum Bohren von tiefengenauen Markierungssacklöchern auf großen Schiffspropellern. wt Werkstattstechnik online 107 (2017) 3, S. 182–188
- Müller, C.: IFR Press Conference. Stand: 24.09.2020. Internet: https://ifr.org/downloads/press2018/Presentation_WR_2020.pdf. Zugriff am 10.06.2021
- Merlet, J.-P.: Optimal design of robots. Conference: Robotics: Science and Systems I, June 8–11, 2005, Massachusetts Institute of Technology Cambridge
- Briot, S.; Goldsztejn, A.: Topology optimization of industrial robots: Application to a five-bar mechanism. Mechanism and Machine Theory 120 (2018), S. 30–56
- Harzheim, L.: Strukturoptimierung. Grundlagen und Anwendungen. Frankfurt, M.: Verlag Harri Deutsch 2008
- Dryba, S.; Kny, R.; Wanner, M.-C. et al.: Vorrichtung nach Art eines Knickarmroboters, B25J 9/04. 07.10. Internet: https://depatisnet.dpma.de/DepatisNet/depatisnet?action=bibdat&docid=WO002015067334A1. Zugriff am 10.06.2021
- Fanuc Deutschland GmbH: M-2000iA/2300. Der größte Lastenheber im Programm. Internet: https://www.fanuc.eu/de/de/roboter/roboterfilter-seite/m-2000-serie/m-2000ia-2000. Zugriff am 10.06.2021
- Kawasaki Robotics GmbH: MG15HL Roboter. Roboter mit hohem Handgelenk-Drehmoment. Internet: https://robotics.kawasaki.com/de1/products/robots/extra-large-payloads/MG15HL/. Zugriff am 10.06.2021
Dipl.-Ing. Alexander Jentsch
Dipl.-Ing. Steffen Dryba
Christian Klötzer, M. Sc.
Andre Siegrist, M. Sc.
Dipl.-Ing. Armin Vinçon
Universität Rostock
Lehrstuhl Fertigungstechnik
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Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik IGP
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