Funkenerosive Mikrobohrungen mit der Plug & Play Sonodrive300
Die steigende Komplexität von Produkten und Fertigungsprozessen fordert von den Fertigungsverfahren gesteigerte Präzision und Geometrievielfalt, eine hohe Reproduktionsfähigkeit sowie kürzere Prozesszeiten. Gleichzeitig steigen der Anteil der Automatisierung und der Trend zur Miniaturisierung. Auch für die Mikrostrukturierung gilt es wirtschaftliche Fertigungsverfahren einzusetzen. Ebenso spielen Kosten- und Ressourceneffizienz in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Funkenerosion, ein seit vielen Jahren etabliertes Strukturierungsverfahren, eignet sich aufgrund von einigen Technologievorteilen hervorragend zur Mikrostrukturierung von Bauteilen, gehört jedoch wegen der niedrigen Abtragsrate im Vergleich zu anderen Fertigungstechnologien zu den eher langsamen Verfahren.

Bild 1. „Sonodrive300“ mit Ansteuerung. Bild: Fraunhofer IMM
Ausgabe 11/12-2020 / S. 784
Um einen reibungslosen Ablauf des Erosionsprozesses und eine hohe Wirtschaftlichkeit des Erosionsvorganges zu gewährleisten, ist der Abtransport der abgetragenen Materialpartikel von entscheidender Bedeutung. Beim Senken von Kavitäten wird die Elektrode entgegen der Zustellrichtung mit möglichst hoher Geschwindigkeit abgehoben, um damit in der Erosionszone einen Sog zum Entfernen der Abtragspartikel zu realisieren. Zusätzlich können Spüldüsen das Reinigen der Erosionszone unterstützen. Beim funkenerosiven Bohren haben sich innengespülte Multikanal- beziehungsweise Rohrelektroden in Verbindung mit einer Rotation als optimales Setup bewährt.
Beim funkenerosiven Mikrobohren sind die Rahmenbedingungen hingegen deutlich verändert: Durch das Arbeiten mit Vollelektroden (Massivelektroden) steht eine Innenspülung nicht zur Verfügung. Das Abheben der Elektrode zur Erzeugung eines Sogs hat nahezu keine Wirkung, da nur eine sehr kleine frontale Elektrodenfläche vorhanden ist. Zusätzliche und von außen wirkende Spüldüsen könnten die extrem dünnen Elektroden abbrechen. Lediglich eine kleine Orbitbewegung von wenigen µm bleibt als „klassische“ Hilfe übrig. Ohne weitere Hilfsmittel ist eine wirtschaftliche Mikro-Bohrerosion nur bedingt und bis zu einer geringen Bohrtiefe möglich.
Und hier setzt die „Sonodrive300“ an
Zahlreiche Versuche und wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass sich eine hochfrequente Schwingung der Elektrode vorteilhaft auf den Erosionsprozess auswirkt. Die am Fraunhofer IMM im Rahmen interner Projekte entwickelte und patentierte Erodierspindel vom Typ „Sonodrive300“ setzt genau an dieser Stelle an. Sie vereint sowohl Rotation als auch hochfrequente Vibration der Elektrode in einem Gerät und reduziert die Bearbeitungszeit von Mikrobohroperationen um bis zu 50 %. Die Vorteile des vibrationsunterstützen Erodierens kommen vorranging beim Einsatz von Vollelektroden von 0,2 mm und deutlich kleiner zum Tragen. Konzipiert als Plug & Play Einheit, kann die Sonodrive300 mit wenigen Handgriffen in nahezu jeder handelsüblichen Senkerodiermaschine installiert werden. Aufgrund des integrierten Steuergerätes sind keine maschinenseitigen Änderungen oder Umbauten erforderlich. In zahlreichen internen Tests wurden Mikrobohrungen mit unterschiedlichen Bohrstrategien erzeugt und bewertet. Dabei konnten immer kürzere Bohrzeiten und teilweise geringerer Elektrodenverschleiß realisiert werden. Neben den Fraunhofer IMM internen Versuchen auf Mitsubishi Senkerodiersystemen wurden zusätzlich Tests auf Maschinen anderer namhafter Hersteller durchgeführt und die positiven Einflüsse von Sonodrive300 auf den Erosionsvorgang nachgewiesen.
Maschinenunabhängige „Plug & Play“-Lösung für alle marktüblichen Senkerodiermaschinen

Bild 3. Bearbeitungsbeispiel: Durchgangsbohrung Ø 0.1 mm; Toleranz ± 5 µm Materialstärke 1 mm; (Elektrodendurchmesser 65 µm; nutzbare Elektrodenlänge 5 mm;)Werkstoff 1.4404Versuch 1: Bohren mit Rotation, Abheben (Jump) und 5 µm OrbitVersuch 2: Bohren mit Rotation, Abheben (Jump), 5 µm Orbit und VibrationVersuch 3: Bohren mit Rotation, 5 µm Orbit und VibrationBild: Fraunhofer IMM
Um die Vorteile der Sonodrive300 nicht nur für funkenerosive Mikrobearbeitung nutzbar zu machen, gibt es am Fraunhofer IMM aktuell Pläne für eine Erweiterung der Bohrspindel um einen integrierten Hochdruckspülanschluss. Die so optimierte Technologie soll sukzessive validiert werden, um eine erweiterte Produkttauglichkeit zu erreichen. Dies soll an der Erzeugung von Kühlbohrungen für Turbinenschaufeln sowie Hartmetallfräsern realisiert werden. Mit der gleichzeitigen Erweiterung des Systems durch eine Innenspülung wird zusätzlich eine weitere Reduktion der Prozesszeiten ermöglicht. Am Ende der Entwicklung soll mit der VibRot die erste vibrierende Rotationsspindel mit integrierter Spülung als vielseitige, hochinnovative Technologie zur beschleunigten und verbesserten Herstellung von Mikro-und Präzisionsbohrungen zur Verfügung stehen, die die Basis für eine Vielzahl von Anwendungsgebieten ermöglichen wird. Zudem kann das System als maschinenunabhängige „Plug & Play“-Lösung für alle marktüblichen Senkerodiermaschinen eingesetzt werden, da die entwickelte Technologie als Zusatzkomponente eine einfache Aufrüstung von handelsüblichen Senkerodiermaschinen aller Erodiermaschinenhersteller ohne langwierige Umrüstzeiten erlauben wird.
Weitere Informationen finden sich unter
www.imm.fraunhofer.de/content/dam/imm/de/documents/PDFs-neu2018/Expert-und-Techn/IMM-SonoDrive300-Formula_1_In_µ-EDM_Drilling.pdf
Literatur
- Zeidler, H.; Hahn, M.; Schneider, J.; Hackert-Oschätzchen, M.; Schubert, A.: Erhöhte Bearbeitungsgeschwindigkeit in der Präzisionsfertigung durch Ultraschallunterstützte Funkenerosion. Internet: http://publica.fraunhofer.de/documents/N-229264.html
- Bharat C Khatri; Pravin Rathod; Janak B Valaki: Ultrasonic vibration–assisted electric discharge machining: A research review. Internet: https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0954405415573061
- Arnold, S.; Neumann, F.; Reiff, E.-C.: Piezoaktoren beschleunigen die Fertigung von Präzisionsbauteilen. Internet: http://publica.fraunhofer.de/dokumente/N-296408.html
- Tong Hao, Wang Yang and Li Yong: Vibration-assisted servo scanning 3D micro EDM. Internet: https://iopscience.iop.org/article/10.1088/0960–1317/18/2/025011
- Uhlmann, E.; Domingos, C.D.; Yabroudi, S.; Bolz, R.: Vibrationsunterstützte Senkerosion. Senkerosive Fertigung von Dichtschlitzen in einer Nickelbasislegierung mit Vibrationsunterstützung. Internet: http://publica.fraunhofer.de/dokumente/N-464654.html
Stefan Kunz; Antonia Winkler – Fraunhofer-Institut für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM, Carl-Zeiss-Str. 18–20, 55129 Mainz, Tel. +49 6131 / 990-0, info@imm.fraunhofer.de, www.imm.fraunhofer.de