ETAL – Logistikkonzept für Leichtmetall-Gießereien
Technologische Antworten dürften die überzeugendsten im Kampf gegen den anthropogenen Klimawandel sein. Insbesondere dann, wenn die Investitionsentscheidung der durch steigende Energiekosten im Standort bedrohten kleinen und mittleren Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie nicht nur durch die bloße Einsparung von Energie bestimmt ist, sondern auch durch die einhergehende Verbesserung der innerbetrieblichen Prozessabläufe versüßt wird.
![Bild 1. Kosten- und Emissions-Vergleich der Energieträger Strom/Gas [2 – 5]. Bild: Fraunhofer IFF](https://www.ingenieur.de/wp-content/uploads/2020/05/WBF_Fraunhofer_ETAL_Abb_1-980x277.jpg)
Bild 1. Kosten- und Emissions-Vergleich der Energieträger Strom/Gas [2 – 5]. Bild: Fraunhofer IFF
1 Paradigmenwechsel durch Technologiesubstitution
Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte Forschungsvorhaben ETAL (Entwicklung neuartiger Technologien, Anlagenkomponenten und Logistik zu einer energieeffizienten Fertigung in Leichtmetall-Gießereien) arbeitet hieran und erprobt den konzeptionellen Umbruch der Prozessgestaltung in Leichtmetall-Gießereien. Der geleistete Innovationsgrad ist maßgeblich, denn gleich zwei mittelständische Unternehmen profitieren vom gemeinsamen Forschungsansatz und sollen nur den Stein des Anstoßes zur Technologiesubstitution in einer ganzen Branche geben: Die promeos GmbH aus Nürnberg als Konsortialführer erprobt die Marktreife ihres neuartigen, hocheffizienten Porenbrenners zum Zweck der dezentralen Schmelzebereitstellung und möchte sich so mit der Entwicklung international am Markt differenzieren; während die LGL Leichtmetallgießerei Bad Langensalza GmbH als Anwendungspartner ihre Fertigungsprozesskette als Experimentierumfeld bereitstellt und direkt von den Forschungserkenntnissen profitiert. Die nun vorliegenden Zwischenergebnisse der versuchsbegleitenden Messwertanalysen machen große Hoffnung, dass die ambitionierte Zielstellung erreicht und ein nachhaltiger – auch volkswirtschaftlicher – Beitrag geleistet werden kann. Denn mit allein circa 1,01 Millionen t CO2-Emissionen pro Jahr in der NE-Gusserzeugung besteht erhebliches Potenzial zur Dekarbonisierung. Betriebswirtschaftlich ist die Substitution von Strom durch Gas ohnehin sinnhaft, wie Bild 1 zeigt. [1]
2 Neue Wege in der Logistik – Transportsysteme im Performance-Check
Im Projekt ETAL konnte das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF bereits vorhandene Werkzeuge zur energetischen Modellierung von Fabrikstrukturen weiterentwickeln und damit die Gestaltungsmöglichkeiten der Produktionsplanung und -steuerung im Gießereiumfeld neu denken.
Zum fertigungstechnologischen und logistischen Nachteil erfolgen im konventionellen Ablauf beim Gießen wiederholt Umschöpfvorgänge, um auslastungsorientiert zentral Schmelze herzustellen, an die Gießplätze zu verteilen und dort bis zum Abgießen temperaturerhaltend zu puffern. Die Integration des neuen Brenners in Kombination mit einem innovativen und modularen Bereitstellungskonzept führt zum Paradigmenwechsel – einer kompletten Reorganisation und signifikanten Verkürzung der Prozesskette. Wie Bild 2 zeigt, versorgt eine Dockingstation dabei eine variable Anzahl mobiler Tiegel mit Wärmeenergie; das Heißluftpolster dient effektiv als isolierender Wärmepuffer. Unterschiedlich dimensioniert ist die Anlagenkomponente Schmelz-, Transport- und Warmhaltesystem zugleich.
Die vollvernetzte Anlagentechnik erlaubt autonome Materialabrufe mit flexibleren Prozessabfolgen beziehungsweise Produktfolgen und optimierten Routen. Bild 3 zeigt die Kommunikation zwischen den Teilsystemen zum Zweck der Überwachung, Situationsbewertung und darauf beruhender Regel- und Steuerbarkeit. Die universelle, objektorientierte Datenerfassung/-verarbeitung erlaubt die Ableitung vielfältiger betriebstechnischer Zusammenhänge wie den Ereignis- und Zustandsbezug der Anlagen, die Identität, Ortung und Qualitätsermittlung von Teilprozessen, Produkten, Aufträgen und Betriebsmitteln sowie die Bewertung des damit verbundenen energetischen Zustands. Verfügbarkeits-, Last- und Temperaturverlaufsprognosen bilden neue Optimierungspotenziale für die Fertigungssteuerung. [6, 7]
War die Schmelzeversorgung materialflusstechnisch bisher auf die kranbahngebundenen Transportwege limitiert, ergeben sich durch die Wandlungsbefähigung des Logistik- und Fabriksystems komplett neue Möglichkeiten für die Gestaltung der innerbetrieblichen Materialflüsse. Im Projektrahmen wurden deshalb zunächst die Ist-Prozesse und -Strukturen erfasst, bevor verschiedene Layoutvarianten konzipiert und vergleichend ereignisdiskret simuliert und bewertet werden konnten. Eingebettet in eine konfigurierbare Energiewertstromanalyse konnte damit untersucht werden, welche Anlagenkonfigurationen (Anzahl und Kapazität der Teilsysteme) von Vorteil sind. So sind die Ergebnisse nicht nur für die LGL als Praxispartner von Relevanz, sondern bieten breitenwirksame Übertragbarkeit für andere Unternehmen der Branche zur Interpretation der Wirtschaftlichkeit, Energieeffizienz, Arbeits- und Prozesssicherheit, Erweiterbarkeit und Flexibilität. Der alternative Einsatz von Gabelstaplern beispielsweise löst einen kapazitiven Engpass auf und bürgt zusätzlich eine zeitliche Ersparnis des Lastspiels von circa 75 %, die sich einerseits durch die wesentlich höhere Transportgeschwindigkeit begründet und andererseits aus der höheren Sicherheit beim Transport des mobilen Tiegels ergibt. Fahrerlose Transportsysteme führen perspektivisch gar zu einer effizienten Vollautomatisierung der Transporte. Neben dem Anforderungsdiskurs für die Steuerung des neuen Logistik- und Fabriksystems war initial eine Charakterisierung alternativer Materialflusstechnologien notwendig, die im Ergebnis zu vielseitig verwendbaren Steckbriefen und Morphologien führte. [8, 9]
3 Zielgrößen überzeugen – Effizienteres Gießen in allen Belangen
Dank der Forschungsbeteiligung des Fraunhofer IFF lassen sich die Auswirkungen der Umstrukturierung auf das gesamte Fabriksystem abschätzen und der energetische Gesamterfolg je Anwendungsfall bemessen. Migrier- und skalierbare Referenzmaterialflüsse ermöglichen den mittelständischen Entscheidern zukünftig fundierte Investitionsentscheidungen. Die multi-kriterielle Zielwirkung (wirtschaftliche, industrielle und gesellschaftliche Relevanz) ist bestechend: Neben der Reduzierung des Energieverbrauchs (je nach Strommix um bis zu 65 % Primärenergieeffekt) und signifikanten Abmilderung entstehender Lastspitzen mit der einhergehenden Leistungspreisersparnis, lassen sich die CO2-Emissionen in Summe um bis zu 80 % in den verschiedenen Stufen der Prozesskette senken. Die Flexibilitätssteigerung lässt es zu, verschiedene Legierungen zukünftig auch in kleineren Losgrößen wirtschaftlich zu produzieren. Die hervorragende Wärmeisolierung und der Entfall unnötiger Umschöpfprozesse sorgt für eine konstante und definierte Prozessumgebung. Wie das Institut für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung IFQ der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg als Projektpartner nachweisen konnte, spart dies nicht nur Energie, sondern führt zur erheblichen Verbesserung der Gussqualität, weniger Ausschuss und Kreislaufmaterial. Im Zuge der Ergebnisverwertung werden nun die Einsatzpotenziale anderer Anwendungsgebiete und der Einsatz von Wasserstoff als Energieträger abgeschätzt.
Die Autoren danken dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) für die Förderung des Projektes ETAL auf Grundlage des Rahmenprogramms 6. Energieforschungsprogramm zum Thema „Energieeffizienz in der Industrie“.
Literatur
- Bundesverband der deutschen Gießerei-Industrie (BDG) (Hrsg.): Die Gießerei-Industrie: Eine starke Branche in Zahlen Statista. Online verfügbar: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154902/umfrage/strompreise-fuer-industrie-und-gewerbe-seit-2006/. Zugriff am 11.02.2020
- Bundesnetzagentur, Bundeskartellamt (Hrsg.): Monitoringbericht Energie 2019, S. 457
- Umweltbundesamt. Internet: www.umweltbundesamt.de/themen/co2-emissionen-pro-kilowattstunde-strom-sinken. Zugriff am 11.02.2020
- Umweltbundesamt. Internet: www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1968/publikationen/co2-emissionsfaktoren_fur_fossile_brennstoffe_korrektur.pdf, S. 47. Zugriff am 11.02.2020
- Schenk, M.; Seidel, H.: Fabrikplanung – Zukunftsfähige Fabrikstrukturen energie- und ressourceneffizient betreiben. In: Dombrowski, U. (Hrsg.): Innovationen im Advanced Industrial Engineering and Management. Tagungsband zum Festkolloquium am 9. September 2015 in Braunschweig
- Schenk, M. (Hrsg.): Fraunhofer IFF. Jahresbericht 2018, S. 34–35
- Schenk, M.; Wirth, S.; Müller, E.: Fabrikplanung und Fabrikbetrieb: Methoden für die wandlungsfähige, vernetzte und ressourceneffiziente Fabrik, Springer, 2. Auflage
- Weinzierl, S.; Kujath, M: Einfach, aber (energie-)effizient. In: Fachzeitschrift Produktion, Leserservice Produktion, Landsberg, 32–33 (2015), S. 6–7
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Marc Kujath Dipl.-Phys. Bastian Sander, M. Sc. Dipl.-Ing. Holger Seidel Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF Magdeburg Geschäftsfeld Logistik- und Fabriksysteme (LFS) Sandtorstr. 22, 39106 Magdeburg Tel. +49 (0) 391 / 4090-328 marc.kujath@iff.fraunhofer.de www.iff.fraunhofer.de