Editorial der Ausgabe 10-2020 29.10.2020, 00:00 Uhr

Resilienz in Produktionsunternehmen erhöhen

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

ich freue mich, Sie zur Oktober-Ausgabe der „wt Werkstatttechnik online“ begrüßen zu dürfen. Wie jedes Jahr befasst sich diese Ausgabe mit Themen der Umformtechnik.

Aktuell befinden wir uns in einer aufreibenden Zeit, die uns alle vor große Herausforderungen stellt. Die Prozesse der Digitalisierung hin zu Industrie 4.0 haben in den vergangenen Jahren vielerorts Fahrt aufgenommen und an vielen Stellen ist der Nutzen digitaler Prozesse sichtbar geworden. In dieser Phase trifft uns die Corona-Pandemie unerwartet, offenbart schonungslos Lücken in der Digitalisierung und beschleunigt ihre Verbreitung fulminant. Home-Office, Reisebeschränkungen und Kontaktverbote führen zu einer Digitalisierung des Arbeitsalltags, die wir bisher nicht für möglich gehalten haben. Anderseits haben wir mit aller Macht die Anfälligkeit unserer global vernetzten und feinstufigen Lieferketten vor Augen geführt bekommen. Auch wenn eine Produktion noch möglich gewesen ist, musste nicht selten mangels notwendiger Zulieferteile oder dem nicht möglichen Weitertransport die Fertigung eingestellt werden. Dies hat einen Wirtschaftseinbruch zur Folge, der als historisch bezeichnet werden kann. Die Auswirkungen sind aber nicht nur in volkswirtschaftlichen Zahlen abzulesen, sondern auch in Form von reduzierter Verlässlichkeit und Verbindlichkeit in Liefernetzwerken deutlich zu spüren.

Die Corona-Pandemie ist ein Extremfall, für den es eine gute Vorbereitung kaum zu geben scheint. Sie steht aber auch für Störungen, die durch andere Ereignisse ausgelöst werden könnten. Damit stellt sich die Frage, wie wir auf die nächste unerwartete größere Störung antworten können. Ein Blick auf andere Disziplinen offenbart dabei mögliche Ansätze. Diese zielen auf eine Erhöhung der Resilienz, das bedeutet die Fähigkeit unter starken Störungen und Einschränkungen noch eine Mindestleistungs- und -lieferfähigkeit aufrechtzuerhalten und die Einschränkung schnell wieder abbauen zu können. Resilienz stuft neben Produktivität weitere Kriterien als wichtig für die Optimierung von Prozess- und Lieferketten ein. Dazu gehören die Fähigkeiten des kontinuierlichen Überwachens der Produktionszustände, die schnelle Reaktion bei Abweichungen, das systematische Lernen bei der Behebung von Störungen und die vorausschauende Reaktion auf sich anbahnende gravierende Beeinträchtigungen.

Die Entwicklung dieser Fähigkeiten fordert alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Anlagenbediener sind bei der Umsetzung andersartiger Produktionsprogramme ebenso gefordert wie Einkauf und Vertrieb, die belastbare Kommunikations- und Abstimmungsinstrumente benötigen. Die Digitalisierung bietet zahlreiche technologische Ansätze zur Erhöhung der Resilienz. Hier bieten robuste Regelungen der Prozesse, gesteigerte Anlagenflexibilität, maschinelle Lernverfahren und ein kontinuierliches Erfassen der produzierten Produkte mit ihren relevanten Eigenschaften gute Möglichkeiten. Einige dieser Maßnahmen werden mit Blick auf Umformtechnologien in dieser Ausgabe vorgestellt. So befassen sich Beiträge mit der Einzelteilrückverfolgbarkeit aus den Perspektiven der Datensicherheit beziehungsweise den Folgen für das Werkstoffverhalten. Ferner werden Möglichkeiten zum Ausgleich von Prozessschwankungen beim Tiefziehen und maschinelle Lernmethoden für die Materialcharakterisierung vorgestellt. Diese Beiträge und weitere hochinteressante Ergebnisse aus Studien finden Sie auf den folgenden Seiten. Ich hoffe, dass Ihnen diese Ausgabe Anregungen für Maßnahmen zum Erreichen höherer Resilienz gibt, diese Maßnahmen schlussendlich nicht erforderlich sind und wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre.  Mit den besten Grüßen Ihr Peter Groche

Von Peter Groche

Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Peter Groche ist Leiter des Instituts für Produktionstechnik und Umformmaschinen an der Technischen Universität Darmstadt. Bild: PtU

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