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Tools für den letzten Schliff 18.05.2022, 16:21 Uhr

Additiv gefertigte Lösungen als Booster für E-Rennwagen-Projekt

Rennstall-Feeling auch ohne Benzin in der Luft, dafür Tempo-Superlative voll unter Strom? Wenn das „GreenTeam“ der Uni Stuttgart und ihr vollelektrischer Rennwagen auf Erfolgskurs liegen, haben dazu Additive Fertigung und innovative Tools beigetragen.

Auf Platz 1 der Weltrangliste: Das "GreenTeam" war in der Saison 2021 einfach unschlagbar. Foto: Uni Stuttgart / Ceratizit

Auf Platz 1 der Weltrangliste: Das "GreenTeam" war in der Saison 2021 einfach unschlagbar.

Foto: Uni Stuttgart / Ceratizit

In der Formula Student werden Jugendträume Realität. Dass sich das studentische Rennteam der Universität Stuttgart ganz vorne auf den Ranglisten platziert, ist nicht zuletzt dem additiv gefertigten Radträger zu verdanken. Damit dessen anspruchsvolle Endbearbeitung gelingt, entwickelte das Project Engineering Team von Ceratizit eine Zerspanungslösung, die dem Projekt einen gehörigen Schub verlieh.

Extremer zeitlicher Aufwand wird belohnt

Erster Gedanke beim Thema Studenten: überfüllte Hörsäle, spannungsarme Vorlesungen und Freizeit im Überfluss? Und dann noch ein Jahr Pause vom Studium nehmen? Was nach „Lenz“ und Abschlussaufschub klingt, bekommt beim GreenTeam der Universität Stuttgart gleich ein ganz anderes „Geschmäckle“: Denn insgesamt 70 Studenten widmen sich ein ganzes Jahr lang ausschließlich einem vollelektrischen Rennwagen – von der Entwicklung über Bau bis hin zur Teilnahme an der Formula-Student-Saison. Dass sich dieser zeitliche und personelle Aufwand auszahlt, belegen die Erfolge: Seit 2009 zählt das Team zu den Top 10 in der Welt und brach bereits zweimal den Weltrekord für die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h. Hypercars wie ein Porsche 918 Spyder kennen den E-Renner aus Stuttgart am besten von hinten. Der jüngste Erfolg des Teams lautet: In dieser Saison sicherten sich die Stuttgarter den ersten Platz auf der Weltrangliste.

Der Name ist noch etwas sperrig, aber umso erfolgreicher verlief die Rennsaison für das Modell "E0711-11 EVO" des GreenTeam.

Foto: Ceratizit / Uni Stuttgart

Hoher Engineering-Aufwand: vollelektrisch in Richtung Siegerpodest

Genau genommen sind es seit 2016 sogar zwei Autos, an denen die immer neu zusammengestellten Teams Jahr für Jahr arbeiten: ein konventionelles Modell mit Fahrer sowie ein Driverless-Fahrzeug, das dank Sensoren und künstlicher Intelligenz ohne direkten menschlichen Eingriff Rennen bestreitet. Für die Saison 2021 hatte sich das Team einmal mehr vorgenommen, der Konkurrenz davonzufahren.

„Wir sind eines der besten Teams, weswegen der Sieg für uns alles bedeutet“, erklärt Maximilian Ziegler, der für die Gesamtfahrzeugleitung Mechanik sowie die Entwicklung der neuen Radträger verantwortlich ist. Eine Schlüsselrolle bei diesem Vorhaben kam laut Ziegler den neuen, additiv gefertigten Radträgern zu: „Mit ihnen bekommt unser Modell E0711–11 EVO enormes Potenzial, wobei besonders die Verlagerung der Elektromotoren in die Räder die Aerodynamik entscheidend verbessert.“

Frisch aus dem 3D-Drucker, benötigt der neue Radträger für das vollelektrische Rennauto des GreenTeam noch etwas Nachbearbeitung.

Foto: Ceratizit / Uni Stuttgart

Knifflig und komplex: die Fertigung der Radträger

So fortschrittlich die neuen Radträger sind, so komplex ist deren Fertigung. „Daher waren für deren Produktion unbedingt auf das Wissen und die Erfahrung aus der Industrie angewiesen“, räumt Ziegler ein. Und so ging es gemeinsam mit den Experten für additive Fertigung von Renishaw zunächst daran, die Komponenten für den 3D-Druck zu optimieren.

Doch die nächste Herausforderung „lauerte“ schon, wie Ziegler erklärt: „Nach dem 3D-Druck brauchten wir eine Lösung, um einige Oberflächen zu bearbeiten.“ Doch die Suche war alles andere als einfach, schreckte die Aufgabe doch viele Firmen schon im Vorfeld ab: Die Kombination aus einem komplexen Bauteil mit Durchmessern über 120 Millimetern, geringen Wanddicken von unter einem Millimeter und engen IT6-Toleranzen an den zu bearbeitenden Innen- und Außenflächen war zu vielschichtig.

Die Kombination aus einem komplexen Bauteil mit Durchmessern über 120 Millimetern, geringen Wanddicken von unter 1 Millimeter und engen IT6-Toleranzen an den zu bearbeitenden Innen- und Außenflächen war den meisten Firmen zu vielschichtig.

Foto: Ceratizit / Uni Stuttgart

Analysieren geht über Experimentieren

Nach intensiver Recherche kontaktierte Max Ziegler schließlich den Werkzeugspezialisten Ceratizit. Für deren Global Project Engineering-Team gehören komplexe Zerspanungslösungen für anspruchsvolle Automotive-Kunden immerhin zum alltäglichen Geschäft. Projektmanager Tim Haudeck nahm die Herausforderung an. „Wir sind ständig mit den Grenzen des Möglichen konfrontiert und suchen immer wieder Lösungen, um solche Limits aus dem Weg zu räumen. Beim GreenTeam-Projekt konnten wir unser Know-how für die E-Mobility unter Beweis stellen“, so Haudeck.

Gemeinsam mit dem GreenTeam und Renishaw analysierten Tim Haudeck und sein Team die Bauteile, die Anforderungen an den 3D-Druck sowie die Nachbearbeitung, um die Radträger weiter zu optimieren: „Uns war schnell klar: Mit einer Standardlösung würden wir kaum die geforderten Toleranzen einhalten“.

Die Lösung: 3D-Druck-Komponenten und Bearbeitung mit U-Achse

Doch selbst mit einer Sonderlösung waren die Anforderungen hoch. „Für die Bearbeitung auf einer 5-Achs-Maschine mit HSK63-Schnittstellte mussten wir die Unwucht reduzieren und das Gewicht minimieren. Ansonsten wären die geforderten Toleranzen nicht einzuhalten. Wo war der Ausweg? Ganz klar in einer additiv gefertigten Lösung“, so Haudeck weiter.

Die Lösung für die optimale Bearbeitung war ein ebenfalls additiv hergestelltes Sonderwerkzeug, mit dem selbst die engen Toleranzen eingehalten werden konnten – und zwar komplett in einer einzigen Aufspannung.

Foto: Ceratizit

Um die IT6-Toleranzen zu schaffen, sollten alle wichtigen Durchmesser und Passungen in einer Aufspannung bearbeitet werden. Hierfür konstruierte das Engineering Team einen additiv gefertigten Aufsatz mit zwei Aufnahmen für Wendeschneidplatten und einem Schwingungsdämpfer, der auf eine U-Achse montiert wird. Das leichte, FEM (Finite-Elemente-Methode)-optimierte Design nimmt die bei der Zerspanung auftretenden Kräfte optimal auf, dank additiver Fertigung wurde sogar eine Kühlung direkt an der Schneide realisiert.

Die innovative U-Achse wurde mit additiv gefertigtem Aufsatz und zwei Aufnahmen ergänzt, sodass alle wichtigen Durchmesser und Passungen in einer Aufspannung bearbeitet werden konnten.

Foto: Ceratizit

Erstklassiges Fahrverhalten dank additiv gefertigter Radträger

Den Entwicklungsprozess zu begleiten und die Bearbeitung des eigenen Bauteils zu verfolgen, war auch für Maximilian Ziegler ein Highlight: „Die Arbeit mit hochqualifizierten Industrieunternehmen wie Ceratizit und Renishaw war fantastisch: Alle kommunizieren auf Augenhöhe miteinander und teilen dieselbe Leidenschaft“, zeigt sich Ziegler nach der Fertigstellung des ersten Bauteils begeistert.

Maximilian Ziegler (links) war für die Gesamtfahrzeugleitung Mechanik sowie die Entwicklung der neuen Radträger verantwortlich. Zusammen mit Ceratizit-Projektmanager Tim Haudeck vom Global Project Engineering-Team freut er sich über die hervorragende Zusammenarbeit.

Foto: Ceratizit / Uni Stuttgart

Hat sich denn der erhebliche Aufwand für die additiv gefertigten Radträger für das Team gelohnt? „Auf jeden Fall, konnten wir doch bei vier Rennen in der Saison 2021 in der Gesamtwertung zweimal den ersten und einmal den zweiten Platz abräumen. Das Auto ist so, wie wir es uns erträumen konnten. Für mich persönlich war aber auch die Zusammenarbeit mit dem Werkzeugspezialisten super, es ist perfekt gelaufen“, freut sich Maximilian Ziegler über den Ausgang der Saison.

Innovative Lösungen für Automotive-Kunden

Für Tim Haudeck ist das GreenTeam-Projekt ein Aushängeschild dafür, was moderne Fertigungsverfahren und das Know-how der Ceratizit-Mitarbeiter leisten können. „Komponenten wie der Radträger des GreenTeam hätte man noch vor ein paar Jahren überhaupt nicht herstellen können. Erst durch die additive Fertigung und das notwendige Know-how sind solche Teile realisierbar. Mit unserer Erfahrung in der Automotive- und E-Mobility-Branche sowie mit unserem „Global Project Engineering“-Team sind wir für die Anforderungen der Automobilindustrie bestens aufgestellt.“

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