Zollpolitik beschleunigt Abwanderung der Industrie
Jedes fünfte Unternehmen hat seine Produktion bereits verlagert. Auch Forschung, Entwicklung und Verwaltungsfunktionen werden zunehmend verlegt. Ergebnisse einer Studie.
Zölle lassen aktuell viele Unternehmen darüber nachdenken, einzelne Abteilungen oder gar ganze Standorte ins Ausland zu verlagern.
Foto: Smarterpix/grigvovan
Die Zollpolitik der vergangenen Monate hat die Abwanderung der Industrie aus Deutschland beschleunigt: Deutlich mehr Firmen als vor zwei Jahren haben wesentliche Teile ihrer Wertschöpfung verlagert, wie die aktuelle Ausgabe des Supply Chain Pulse Check von Deloitte und vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) zeigt. So gibt fast jedes fünfte Unternehmen an, nicht mehr in Deutschland zu produzieren (19 %). Das sind acht Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Die Abwanderung findet zunehmend auch in anderen Bereichen statt: Ihre Entwicklung haben 17 % der Unternehmen verlagert (2023: 12 %), auf die Forschung triff das bei 13 % zu (2023: 10 %). Die Endmontage ist bei 18 % abgewandert (2023: 11 %).
In Zukunft voraussichtlich noch mehr Abwanderung
Dieser Trend wird sich voraussichtlich noch verstärken, da künftig deutlich mehr Unternehmen eine Verlagerung planen. In den kommenden zwei bis drei Jahren wollen 43 % ihre Produktion neu verorten; bei einer vergleichbaren Befragung vor zwei Jahren lag dieser Anteil bei 33 %. Ihre Entwicklung planen 30 % der befragten Firmen zu verlagern (2023: 24 %), die Forschung sehen 35 % außerhalb Deutschlands (2023: 23 %). Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bei Funktionen wie Einkauf, Vertrieb und Marketing.
Für die aktuelle Ausgabe des Supply Chain Pulse Check wurden im September und Oktober 148 Lieferketten-Verantwortliche des produzierenden Gewerbes befragt, insbesondere in den Branchen Automobil, Technologie, Maschinenbau, Energie und Chemie.
Die Firmen zieht es vor allem in andere europäische Länder (30 %), in die USA (26 %) und nach Asien (19 %, ohne China). 16 % geben an, nach China zu verlagern, 14 % nach Indien (Mehrfachnennungen möglich). „Kurzfristig können die Unternehmen anderswo zwar kostengünstiger produzieren, aber dadurch werden sie nicht unbedingt resilienter“, sagt Dr. Jürgen Sandau, Partner und Lieferkettenexperte bei Deloitte. „Wenn sich der neue Standort nicht als sicherer Hafen erweist, macht ein Lieferstillstand sehr schnell alle Einsparungseffekte zunichte.“ Eine Rückverlagerung von China beziehungsweise aus den USA nach Europa fand bei 9 % beziehungsweise 7 % der Befragten statt.
Zollpolitik treibt Beschaffungskosten in die Höhe
Zugleich können die Lieferketten angesichts des wachsenden Protektionismus nur noch mit erheblichem Aufwand abgesichert werden. Bei 53 % der Unternehmen sind die entsprechenden Ausgaben etwas gestiegen, bei 39 % sind sie stark oder sehr stark angestiegen. Bei zwei von drei Firmen (66 %) hat die Zollpolitik der vergangenen Monate die Beschaffungskosten in die Höhe getrieben. Bei rund jedem Zweiten sind die Verwaltungskosten gestiegen (52 %) und die Margen gesunken (53 %).
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KI kann Supply Chain Management verbessern
Künstliche Intelligenz kann hier zwar Abhilfe schaffen. So sagen 54 % der Befragten, dass KI die Lieferkette stark oder sehr stark optimieren kann. Für 58 % kann sie die betriebliche Effizienz stark oder sehr stark steigern, für 65 % hat sie großes oder sehr großes Potenzial, das Bestandsmanagement zu verbessern, und 46 % sehen in der KI eine große oder sehr große Hilfe bei der Entscheidungsfindung.
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Doch weniger als die Hälfte der befragten Unternehmen (41 %) setzt neue Technologien zur Früherkennung von Lieferschwierigkeiten ein und nur 34 % nutzen KI, um ihre Supply Chain zu planen. „Umfassend digitalisierte und diversifizierte Lieferketten können helfen, Produktionsstopps und Lieferengpässe zu vermeiden. Für die Resilienz der Unternehmen ist das eine wesentliche Voraussetzung“, sagt Sandau.




