Statt Präsenz-Veranstaltung: Digitale Neuheiten-Messe
Im Maschinenbau und weiteren Branchen wurden 2020 fast sämtliche Messen abgesagt. Also gibt es derzeit kaum eine Chance für innovative Unternehmen, ihre Neuheiten dem Publikum direkt zu präsentieren. Digitale Messen fangen das auf.

Die digitale „Neuheiten-Messe“ zeigt 100 frisch entwickelte Produkte auf einer 400 Quadratmeter großen Fläche, die wie ein realer Messestand aufgebaut ist, Bild: igus
Wichtige Präsenz-Messen wie die „AMB“, die „Hannover Messe“ oder die „Control“ finden im Jahr 2020 nicht statt. Diverse Firmen haben als Ausweg neue kreative Ideen entwickelt, wie die Beispiele von igus oder aber des Werkzeugmaschinenbauers Mazak zeigen. Der „motion-plastics“-Spezialist aus Köln demonstrierte kürzlich, dass ein Messestand auch in Corona-Zeiten auf große Aufmerksamkeit stoßen kann.
Positive Resonanz auf den virtuellen Messestand
Seit Mai 2020 steht in einer Halle in Köln Porz-Lind, am Hauptstandort des Unternehmens, die „igus-Neuheiten-Messe“. Dort sind exakt 100 neuentwickelte Produkte auf einer 400 Quadratmeter großen Fläche, die wie ein realer Messestand aufgebaut ist, ausgestellt. Die Innovationen des weltweit führenden Herstellers von Energiekettensystemen und Polymer-Gleitlagern lassen sich eigenständig oder gemeinsam mit den Fachleuten aus Köln digital erkunden. Bis Ende Juni 2020 hatten bereits über 18.000 Besucher das attraktive Angebot angenommen.
Interessenten finden die neuesten Angebote, mit sie ihre Technik verbessern und Kosten sparen können: Dies umfasst Low-Cost-Automation-Roboter, „intelligente“ Gleitlagertechnik oder auch moderne „e-ketten“, die als montagefreundliche und wartungsarme Alternative zur Stromschiene dienen. Die virtuellen Besucher können alles realitätsnah erkunden. Lediglich reale Besucher sind auf dem igus-Stand in den typischen orangenen Farben nicht zu sehen.
Jedoch über das Internet haben sich zahlreiche Interessierte in der virtuellen Version oder bei einem „digitalen Besuch“ gemeinsam mit Kölner Spezialisten vor Ort oder im Netz ausgetauscht. An den einzelnen Stationen informieren Displays, Filme und Texte zum Beispiel über „SPE“-Leitungen speziell für die e-kette bis zur leichten „drylin“-Polymerteleskop-Führung oder über den 2-Komponenten-3D-Druck. Verlinkungen führen zu weitergehenden technischen Informationen und Videos auf der Webseite. Die „Besucher“gaben anschließend eine positive Kritik ab. Die persönliche schnelle Beratung sei sehr effizient, auch im Gegensatz zu einer realen Messe, sagt beispielsweise Konstrukteur René Wirt von der CKO Maschinen- und Systemtechnik GmbH aus Solingen. Die Terminvereinbarung funktioniere schnell und reibungslos, Wartezeiten wie auf hochfrequentierten Messen werden vermieden.
Die Haptik fehlt beim virtuellen Besuch
Die News-Tour sei nicht besonders zeitaufwendig, dafür aber umso individueller. Uwe Kinze, Entwicklungsleiter beim Velberter Beschlaghersteller Haps, ist dennoch überzeugt, dass sich der klassische Messeauftritt mittelfristig nicht ersetzen lässt:. „Ich habe gerne das Haptische an einem Stand. Am liebsten möchte die Bauteile auch einmal in die Hand nehmen und mir die Details genau ansehen.“ Dafür haben ihm die Kölner nach dem Termin einfach die entsprechenden Muster zugeschickt. Bei kleinen Komponenten ist das problemlos möglich, bei großen erklärungsbedürftigen Produkten oder ganzen Maschinen sieht es schon etwas anders aus.
Damit noch mehr Interessierte die Neuheiten persönlich erleben können, gehen die Kölner Experten ab dem Herbst 2020 „auf Tour“ direkt zu den Standorten der Kunden. igus-Mitarbeiter stellen zum Beispiel die neuesten motion plastics „vor Ort“ vor und können gemeinsam mit den Spezialisten der jeweiligen Unternehmens die Einsatzszenarien erörtern sowie bei der konstruktiven Auslegung helfen.
Auch der „vector award“ wurde diesmal auf der virtuellen Messe vergeben. Die Prämie in Gold gewann Gildemeister Italiana S.p.A. mit ihrer „Multisprint“-Bearbeitungsanlage: Auf engstem Bauraum sorgen in der Mehrspindel-Drehmaschine acht fertig konfektionierte Energieketten von igus für eine sichere Führung der Leitungen und Schläuche.
Ein „Webinar-Studio“ wird aktuell eingerichtet. Hier erfahren Kunden alles zu aktuellen Entwicklungen im Bereich der Tribo-Kunststoffe – von der Materialkunde über die Projektplanung bis zu Montagehilfen, dem Recycling von Kunststoffen oder der Thematik, wie sich 3D-Drucker selbst bauen lassen. Eine Übersicht der aktuellen Schulungsangebote findet sich hier.
Maschinenbauer lädt zur visuellen Reise in alle Technologiezentren ein
Der japanische Werkzeugmaschinenbauer Mazak mit deutschem Sitz in Göppingen ging einen etwas anderen Weg. Er kombinierte ein Präsenz- und ein digitales Angebot. So konnten interessierte Kunden zunächst „vor Ort“ in Düsseldorf ein breites Spektrum an Maschinen-, Automatisierungs- und Steuerungstechnologie erleben. Da viele Kunden aktuell nicht reisen dürfen, schloss sich daran eine virtuelle Präsentation an, die alle deutschen Technologiezentren (Düsseldorf, Göppingen, Leipzig, München) mit einbezog.
In der modernen Niederlassung in Düsseldorf war nicht nur die Kompetenz in Sachen innovative Maschinenkonzepte und Automation zu sehen, sondern auch der technologische Vorsprung beim Thema künstliche Intelligenz (KI). KI wird in den modernen Steuerungen des japanischen Spezialisten genutzt: Die auf der EMO 2019 vorgestellte „SmoothAi“-Steuerung ist bislang in zwei Maschinenbaureihen integriert. Ein Ai-Steuerungssimulator zeigte während der Hausausstellung anschaulich, wohin die Reise in Sachen Steuerung geht. Drei Hauptmerkmale zeichnen die Technologie aus: Machine Learning, basierend auf dem Einsatz künstlicher Intelligenz, die Möglichkeit zur Erstellung digitaler Zwillinge (Digital Twins) und der „Robot Setup Assist“. Dieser Assistent wird in naher Zukunft die schnelle Programmierung eines Roboters über eine einfache Schnittstelle gestatten. Drei der sechs ausgestellten Maschinen im Technologiezentrum Düsseldorf waren zudem mit unterschiedlichen Automatisierungslösungen ausgestattet.

Die Hausausstellung des japanischen Werkzeugmaschinenbauers in Düsseldorf wurde dieses Mal in Form von „exklusiven Kundenterminen“ abgehalten.
Foto: Mazak
Ausstellung mit hohen Sicherheitsstandards
Die Hausausstellung in Düsseldorf gab es dieses Mal nur in Form von „exklusiven Kundenterminen“, unter Berücksichtigung der derzeit relevanten Sicherheitsvorkehrungen. Beispielsweise wurden Plexiglas-Wände zwischen dem Bedienpult und dem Bearbeitungsraum installiert. Die Anzahl der parallel anwesenden Personen im Showroom war von Beginn an begrenzt.
An die Ausstellung schlossen sich die „digitalen Mazak-Zukunftstage“ an. Hier konnten Kunden auf interaktive und individuell zugeschnittene Maschinenpräsentationen zugreifen. In einem Zeitraum von drei Wochen standen sieben ausgewählte Maschinen zur Verfügung, die durch ein virtuelles Auge im Detail präsentiert wurden. Somit ließ sich hochaktuelle Technologie auch dazu nutzen, dass die Kunden standortübergreifend für digitale Maschinenpräsentationen in die Technologiezentren „reisen“. Aus der gewohnten Umgebung heraus erlebten die Interessenten die auf ihre Wünsche zugeschnittenen Vorführungen. Zur digitalen Präsentation wurde AR-Technologie eingesetzt, die sehr gut ankam. Auf die im Registrierungsprozess genannten Wünsche der Kunden wurde explizit eingegangen.

Bei den „digitalen Zukunftstagen“ wurden den Interessenten sieben Maschinen mithilfe von AR (Augmented Reality)-Technologie präsentiert.
Foto: Mazak
Die Resonanz bei beiden Veranstaltungen war Angaben von Mazak groß. In Düsseldorf waren nahezu alle verfügbaren Termine ausgebucht. Die digitalen Maschinenvorführungen wurden sowohl von Bestands- als auch von potentiellen Neukunden gebucht und zeigen, dass sich die Kunden sich für neue Investitionen interessieren und antizyklisch investieren wollen. Die Teilnehmer lobten die professionelle Vorbereitung, die hohe Interaktivität der Vorführung und die erzielte Zeitersparnis. Das von den deutschen Kollegen initiierte neue Veranstaltungskonzept soll mit diesen positiven Erfahrungen auch in Zukunft und ebenso an anderen europäischen Standorten umgesetzt werden.
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Birgit Etmanski ist Chefredakteurin der Zeitschrift VDI-Z.