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Energie 20.08.2025, 17:26 Uhr

Geht KI bald der Saft aus?

Die Digitalisierungsoffensive in Deutschland wird von überlasteten Stromnetzen ausgebremst.

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Arbeitet die KI noch? Oder ist sie mangels Energie eingefroren?

Foto: PantherMedia / stockasso

Im digitalen Zeitalter gilt künstliche Intelligenz als das neue Öl: eine Technologie mit dem Potenzial, Prozesse zu automatisieren, neue Formen menschlicher Interaktion zu ermöglichen und ganze Branchen zu transformieren. Doch die scheinbar grenzenlose Innovationskraft von KI birgt ein Risiko, das in der öffentlichen Debatte bislang wenig präsent ist: der rapide wachsende Strombedarf moderner KI-Anwendungen und seine Auswirkungen auf die physische Infrastruktur der Digitalisierung. Als Beispiel: Eine einzige Anfrage an ChatGPT kostet rund zehnmal so viel wie eine Google-Suche: etwa 2,9 Wh. „Es geht nicht nur um Energieziele, sondern auch um die Ausfallsicherheit digitaler Systeme. Somit steht die Digitalisierung vor der Hürde der eigenen physischen Grenze“, sagt Jerome Evans, Gründer und Geschäftsführer der firstcolo GmbH. „Künstliche Intelligenz funktioniert nicht ohne gewaltige Rechenleistung. Große Sprachmodelle, multimodale neuronale Netze und Machine-Learning-Systeme für Industrie, Medizin oder Forschung benötigen enorme Mengen an Energie.“

Jerome Evans, Gründer und Geschäftsführer der firstcolo GmbH.

Foto: Jan Burau Fotografie

Stromnetze längst am Limit

Während klassische Anwendungen mit verhältnismäßig stabilen Lastprofilen arbeiten, verursachen KI-Workloads komplexe Lastspitzen und Dauerbelastungen, die Rechenzentren stark fordern. „Wir sprechen von Workloads, die spezialisierte Hardware wie GPUs oder TPUs benötigen und dabei hohe Leistungsdichten aufweisen – oftmals in Bereichen, auf die durchschnittliche Rechenzentren pro Rack nicht ausgelegt sind“, so Evans. GPU (Graphics Processing Units) und TPU (Tensor Processing Units) sind Hardware-Beschleuniger, die auf Grafiken bzw. maschinelles Lernen optimiert wurden. Allerdings ist das Problem laut Evans nicht allein der Strombedarf der Server. „Auch die Energieversorgung, Kühlung und Redundanzsysteme müssen mitwachsen. Das ist zunehmend schwierig, da in vielen Städten die örtlichen Stromnetze bereits ausgelastet sind.“ Neue Anschlusskapazitäten gäbe es kaum, zudem gingen sie mit jahrelangen Genehmigungszeiten einher. Darüber hinaus benötigen KI-Systeme nicht nur mehr Strom, dieser muss auch kontinuierlich verfügbar sein. Denn: Ein einzelner Ausfall, beispielsweise während eines Modell-Trainings, kann sehr viel Geld kosten oder ganze Geschäftsprozesse zum Erliegen bringen.

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Netzausbau hinkt hinterher

Es besteht laut Evans ein strukturelles Missverhältnis: Die Geschwindigkeit, mit der KI-Anwendungen entwickelt werden und skalieren, übersteige die, mit der sich Energieinfrastruktur planen und realisieren lässt, bei weitem. „Software skaliert in Monaten, Netzausbau dagegen in Jahren. Die Lücke klafft daher immer weiter auseinander.“ Die Folge: Unternehmen würden ihre KI-Prozesse in Rechenzentren auslagern, ohne dabei auf die entstehende Last oder die damit verbundenen Risiken zu achten. „Es geht also darum, die Digitalisierung nicht nur als Softwarefrage, sondern als gesamtheitliche Systemaufgabe zu betrachten. KI-Innovationen können nur dann stattfinden, wenn auch die Infrastruktur vorhanden ist, die sie ermöglicht“, unterstreicht der Experte. „Energieeffizienz hilft zwar, den Bedarf zu bremsen, aber nicht, ihn zu verhindern.“

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Ohne Strom bleibt der Leuchtturm dunkel

Energieeffizienz ist aufgrund der hohen Strompreise für deutsche Rechenzentren längst eine Kernanforderung, der sie zum Beispiel durch Wärmerückgewinnung, Freikühlung oder den Einsatz regenerativer Energiequellen begegnen. „Wenn sich der Gesamtverbrauch vervielfacht, stößt aber auch die effizienteste Infrastruktur irgendwann an ihre Grenzen“, stellt Evans heraus. „Ein ausfallsicheres Rechenzentrum braucht zuallererst Strom, und zwar zuverlässig, stabil und rund um die Uhr. Möglichkeiten wären beispielsweise priorisierte Stromzugänge für systemrelevante digitale Dienste, die Förderung von Edge-Computing und dezentraler Lastverteilung oder schnellere Genehmigungs- und Netzausbauverfahren für Hochverfügbarkeitsinfrastruktur.“ Angesichts zunehmender Abhängigkeit von digitalen Prozessen wäre es fahrlässig, Strom als Nebensache anzusehen. Im Koalitionsvertrag hat die schwarz-rote Bundesregierung das Ziel formuliert, Deutschland als Standort für Rechenzentren zum „Leuchtturm Europas“ zu machen. „Fehlt der Strom, verlaufen solche Ambitionen jedoch im Sande und Deutschland läuft Gefahr, den Anschluss beim Thema digitale Zukunftstechnologien zu verlieren: Aus Europas Leuchtturm könnte schnell der Träger der roten Laterne werden“, mahnt Evans.

Von firstcolo/sta