Künstliche Intelligenz in der Produktion
In den vergangenen Wochen und Monaten häufen sich in Zeitungen und Zeitschriften Meldungen über Fortschritte der Künstlichen Intelligenz, kurz KI. Inzwischen steht dieses Thema auch weit oben auf der politisch-strategischen Agenda.
Länder wie China, USA und Russland streben die technologische Vormachtstellung zu KI an, allerdings mit unterschiedlichen Ausgangspositionen. Beeindruckend sind die Investitionen, die vor allem in China geplant sind. Die Bundesregierung hat reagiert und ebenfalls ein Budget von drei Milliarden Euro zur Umsetzung einer Strategie zu „KI made in Germany“ angekündigt. Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie erstellte und 2018 veröffentlichte Studie berechnet in den Jahren bis 2023 sogar ein zusätzliches KI-induziertes Wachstum des produzierenden Gewerbes in Deutschland in Höhe von 31,8 Milliarden Euro. Das kommt etwa einem Drittel des gesamten Wachstums der Branche in diesem Zeitraum gleich.
Für produzierende Unternehmen in Deutschland resultieren hieraus viele Fragen. Wie muss sich ein Unternehmen strategisch bezüglich KI ausrichten, um auch in Zukunft noch wettbewerbsfähig zu sein? Welche Kompetenzen muss es selbst aufbauen, um die Potentiale nutzen zu können? Welche Partnerschaften mit Technologieanbietern oder Forschungseinrichtungen sind nötig? Und was sind überhaupt die konkreten Nutzenpotentiale, die Firmen in Deutschland bei ihren Produkten und Produktionsprozessen erschließen können, um Innovationen zu schaffen, neue Wertschöpfungsmöglichkeiten zu erschließen und letztendlich ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen?
Bisher war dieses Feld fast ausschließlich durch die Informatik geprägt. Wie deutlich inzwischen das Bewusstsein für das Thema und die damit verbundenen Fragestellungen gewachsen ist, zeigt der jüngst durch den VDMA veröffentlichte „Quick Guide: Machine Learning im Maschinen- und Anlagenbau“. Wird über die Zukunftspotentiale von KI in der Produktion berichtet, dann dient häufig Predictive Maintenance als Beispiel. Doch inzwischen gibt es weit mehr Beispiele, die in der produktionstechnischen Forschung einen konkreten Nutzen zeigen. Die WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik) hat sich in ihrer Herbsttagung im vergangenen November intensiv über die Nutzenpotentiale von KI in der Produktion ausgetauscht. Die dabei vorgestellten Beispiele aus den Instituten lassen erahnen, wie sich durch die rasante Entwicklung von Schlüsseltechnologien – wie dem „Deep Learning“ oder dem „verstärkenden Lernen“ (Reinforcement Learning) zukünftig Engineering-Prozesse in der Produktion verändern werden. Nicht nur die wachsenden Fähigkeiten zur intelligenten Datenanalyse in der vorausschauenden Instandhaltung oder zur Bilderkennung in der Qualitätskontrolle stellen Chancen für eine effizientere Produktion der Zukunft bereit. Technologien, die Google derzeit in seiner Forschung zum selbstlernenden Roboter beim „Griff in die Kiste“ nutzt, wenden auch Forschungsinstitute der Produktionstechnik an. Ziel dabei ist, beispielsweise auf Basis von Echtzeitsimulationen produktionstechnischer Steuerungsabläufe Programme hierzu automatisiert zu erstellen. Die ersten Ergebnisse zeigen, wie sich dadurch das Engineering zur Automatisierung von Produktionsprozessen insgesamt verändern wird.
Dass sich auch die Produktionsforschung heute breiter als bisher mit dem Thema KI und insbesondere dem Maschinellen Lernen befasst, liegt vor allem an der Verfügbarkeit von Softwarewerkzeugen, die hierzu – häufig als Open Source – genutzt werden können. Von der dabei gewonnenen Expertise, beispielsweise zur Einbindung in den Engineering-Workflow, werden künftig auch produzierende Unternehmen sehr profitieren. Damit sich Deutschland im internationalen Wettbewerb auf diesem Gebiet behaupten kann, bedarf es einer methodischen Vorgehensweise, um stetig wachsende Fähigkeiten in der KI systematisch auf Produktionsprozesse abzubilden – und damit schneller als bisher Innovations- und Wertschöpfungschancen zu erschließen.
Dabei stellen sich auch den Produktionsforschern neue Fragen. Wie kann durch die im Rahmen von Industrie 4.0 fortschreitende „Sensorisierung“ von Maschinen und Anlagen systematisch auch das Lernen in Produktionsprozessen vorangetrieben werden? Wie können hierzu in den Unternehmen entsprechende Qualifikationen aufgebaut werden? Zu diesen Fragen einer strategisch methodischen Vorgehensweise erarbeitet die WGP derzeit ein Standpunktpapier, das im Mai 2019 veröffentlicht werden soll. Der Fokus wird auf die übergreifende Frage gerichtet sein, wie sich aus der breiten domänenspezifischen Kompetenz der Produktionstechnik in Deutschland heraus gezielt die Potentiale von KI in Innovationen und neue Wertschöpfung überführen lassen. Denn nur, wenn wir eine Antwort auf diese Frage finden, können wir die Wettbewerbsfähigkeit der produzierenden Unternehmen in Deutschland sichern.

Prof. Dr.-Ing. Jörg Krüger ist Leiter des Fachgebiets Industrielle Automatisierungstechnik im Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb (IWF) der TU Berlin sowie Leiter des Geschäftsfeldes Automatisierungstechnik des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK in Berlin.