Besseres Anlagenmanagement mit dem Digitalen Zwilling
Das Unternehmen Netzsch ist einer der Hidden Champions Deutschlands und stellt seit 1873 Pumpen für die Industrie, Öl- und Gasbranche her. Jetzt digitalisiert sich das Familienunternehmen.

Pumpenmontage beim bayerischen Traditionsunternehmen; Der Hidden Champion setzt mit Erfolg auf digitale Services und verbessert damit das Anlagenmanagement.
Foto: Netzsch
Ohne sie geht in der Produktion in vielen Bereichen gar nichts. Sie sind in der Industrie und in der Öl- und Gasbranche genauso im Einsatz wie im Bergbau: die Pumpen des 1873 gegründeten Familienunternehmens Netzsch, einem der Hidden Champions Deutschlands. Jetzt will das Unternehmen mit Stammsitz in Selb mithilfe digitaler Services die Kundenzufriedenheit weiter erhöhen.
Digitale Mehrwerte anbieten
Das Unternehmen hat zu diesem Zweck mit dem SAP Intelligent Asset Management für seine Kunden, Partner und Dienstleister ein Geschäftsnetzwerk aus der Cloud geschaffen. Dies macht ein kollaboratives Anlagenmanagement möglich. Das soll nicht nur ungeplante Ausfälle verhindern, sondern auch Service und Wartung optimieren.

Die Pumpensysteme kommen weltweit zum Einsatz und trotzen auch harten klimatischen Bedingungen.
Foto: Netzsch
Technisch, so Bernhard Diemer, Senior Inhouse Consultant von Netzsch, seien die Pumpen des Unternehmens ausgereift. Aber Internet und Digitalisierung bieten die Chance, den Kunden zusätzliche digitale Mehrwerte zu bieten. „Wir möchten die Industrie dabei unterstützen, produktiver zu arbeiten. Die Unternehmen sollen mit unserer Hilfe ihre Betriebssicherheit verbessern, Stillstände ihrer Anlagen vermeiden und die Instandhaltungskosten senken.“ Mit der Digitalisierung setze sein Unternehmen auf eine stärkere Vernetzung aller Akteure. Alle Kunden, Partner und Dienstleister werden in ein übergreifendes Netzwerk für das Anlagenmanagement eingebunden.

Rotorfertigung in Selb: Dank der neuen cloudbasierten Datenplattform wissen die Servicetechniker genau, was bei einer anstehenden Wartung vor Ort beim Kunden auf sie zukommt.
Foto: Netzsch
Gemeinsame Plattform für das Anlagemanagement
Bereits 2020 will das Traditionsunternehmen aus Oberbayern die neue Software anbieten, der Pilotversuch mit ersten Kunden verlief erfolgreich. Das neue Asset Intelligence Network (AIN) aus der Cloud erlaubt ein kollaboratives Anlagenmanagement, weil es alle Assets transparent macht. Das funktioniert so: Im virtuellen Netzwerk, das auf der SAP-Cloud-Platform basiert, können Hersteller, Dienstleister und Betreiber ihre Daten miteinander teilen – natürlich auf freiwilliger Basis. Die Betreiber der Maschinen und Anlagen greifen dann auf aktuelle Wartungsstrategien und Handbücher des Herstellers zu.
Der Pumpenhersteller wiederum erhält automatisch Daten darüber, wie sein Kunde die Anlage nutzt und wann und wo es zu einem Ausfall kam. Dieses Wissen soll dazu beitragen, ungeplante Ausfallzeiten zu verhindern und zu verkürzen. So informiert die Software Netzsch und die Kunden automatisch, wenn eine Wartung ansteht. Diemer: „Wir alle gewinnen so mehr Planungssicherheit.“
Reibungslose Integration ins ERP-System
Die Anwendung stellt die Daten eines jeden Maschinenmodells strukturiert und digital zur Verfügung. Die Kunden, die die jeweilige Pumpe nutzen, übernehmen diese Informationen in ihr ERP-System. Alle Daten bleiben so stets aktuell – ohne aufwendige manuelle Arbeit oder Medienbrüche. Diemer: „Früher gab es allenfalls Schnittstellen zu den ERP-Partnersystemen. Mit der vernetzten Plattform für das Anlagemanagement unterstützen wir den Orderprozess künftig bis in das ERP-System des Kunden hinein.“ Die Grenzen zwischen den Systemen spielen keine Rolle mehr.
Tatsächlich gab der Wunsch, die Ersatzteilbeschaffung zu optimieren, den Ausschlag für dieses Transformationsprojekt mit SAP. Häufig bestellen die Kunden aus der Industrie, so Diemer, nämlich eine bestimmte Pumpe und merken dann, dass sie diese für ihre konkreten Anforderungen optimieren müssen. Sie ordern bei Netzsch also höherwertige Ersatzteile, ohne dem Hersteller aber gleichzeitig mitzuteilen, für welche Maschine und für welchen Einsatzzweck sie diese benötigen.
Die Folge: „In unserem ERP ist dann wiederum nicht vermerkt, dass er bei künftigen Reparaturen eben auch die höherwertigen Teile benötigt.“ AIN soll das nun ändern und für alle Beteiligten schnell Transparenz schaffen. Wenn Netzsch mit der neuen Technologie Zugriff auf die Maschinenbücher der Dienstleister oder die Ersatzteilstücklisten der Kunden hat, kann das Unternehmen mit diesem zusätzlichen Wissen den eigenen Service erheblich verbessern.
Überall und zu jeder Zeit bester Service
Auch die Servicetechniker von Netzsch und die Service-Experten der Dienstleister profitieren von der virtuellen Zusammenarbeit: Wer früher eine Pumpe warten sollte, schleppte ganze Papierberge mit sich herum – egal, ob ihn sein Weg in eine Fabrik, zu einer Förderstelle im Dschungel oder zu einer Pumpenanlage in der Wüste führte.
Mit der neuen Software ist das nicht mehr notwendig: Dokumente, wie zum Beispiel die Produkt- und Sicherheitsdatenblätter, können die Servicetechniker in der Cloud abrufen. Jederzeit und an jedem Ort. Netzsch installiert dazu einen Digitalen Zwilling, eine Simulation der realen Daten. Der Zwilling bildet die Datenstruktur einer jeden Maschine und jeder ihrer Komponenten digital ab.

Per Klick erhalten alle Servicerechniker Zugriff auf die individuellen Einzelstücklisten oder die Maschinenbücher von Dienstleistern, die die Pumpen betreiben.
Foto: Netzsch
Digitales Abbild der Daten: der Digitale Zwilling
Dieser Digitale Zwilling leistet weit mehr als eine bloße Dokumentensammlung: „Der Digitale Zwilling ist nicht statisch, er lebt.“ Das heißt: Die Daten ändern sich, weil alle Akteure ihren Teil beitragen. „Der Digitale Zwilling wandelt sich permanent. Abhängig von der konkreten Vereinbarung fügen die übrigen Netzwerkteilnehmer Informationen hinzu oder modifizieren die Daten. Wir bekommen über den Digitalen Zwilling Hinweise zurückgespiegelt, über die wir bislang nicht verfügten.“
Denn in der Vergangenheit verblieben die Daten im jeweiligen ERP-System der Hersteller, Dienstleister und Kunden. Das bedeutete, dass sich die Netzsch-Mitarbeiter in zahlreiche Kundensysteme einarbeiten mussten. Ein Beispiel: Wenn ein Erstausrüster eine Pumpe verbaut, dann erwartet er, dass Netzsch dazu eine umfangreiche Projektdokumentation erstellt und zeitnah in die Archive des Kunden einspielt. Das ist ein aufwendiger Schritt, der in Zukunft entfällt, weil Netzsch die aufbereiteten Daten über die AIN-Software zur Verfügung stellt. „Das kooperative Verwalten eines gemeinsamen Datenbestands ist für uns alle eine neue Welt.“ Diese digitale Dokumentation lasse sich von allen Beteiligten ganz einfach verwenden – ohne dass man in den eigenen Systemen noch einmal Hand anlegen müsse.

Seit mehr als sechs Jahrzehnten entwickelt, produziert und vertreibt Netzsch rotierende Verdrängerpumpen weltweit; der Stammsitz der Gruppe liegt in Selb/Bayern.
Foto: Netzsch
Auch darüber hinaus bleibt Netzsch beim Thema Industrie 4.0 am Ball und stattet nun seine Maschinen für einen Feldversuch mit Sensoren aus. Diemer: „Wir haben für die Wirtschaft Szenarien wie Predictive Maintenance schon auf dem Radar, aber momentan fehlt uns dafür noch die Datenbasis“. Da kommt das neue Datenteilen mit dem SAP Intelligent Asset Management wie gerufen.
https://pumpen.netzsch.com

Ingrid Kirsch ist IT-Autorin aus Köln. Foto: Autorin