Innovative Fertigungstechnik 20.10.2021, 09:30 Uhr

Wie die EMS-Branche von der additiven Fertigung profitiert

Preisgünstig, flexibel und schnell: Moderne 3D-Druck-Technologien bieten in vielen Bereichen die Chance, die Produktionsprozesse zu revolutionieren. Großer Nutznießer ist zum Beispiel der Bereich EMS (Electronic Manufacturing Services).

Bilder aus dem 3D-Druckbereich eines Elektronik-Dienstleisters: Die EMS-Branche ist eindeutig einer der Nutznießer der Vorteile von Additiven Technolgien. Foto: TQ

Bilder aus dem 3D-Druckbereich eines Elektronik-Dienstleisters: Die EMS-Branche ist eindeutig einer der Nutznießer der Vorteile von Additiven Technolgien.

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In Zeiten zunehmenden Kostendrucks in der Produktion sowie stetig steigender Qualitätsansprüche sind Flexibilität, schnelle Umsetzung und geometrische Gestaltungsfreiheit in der Fertigung gefragt. Hinzu kommt die von den Kunden zunehmend gewünschte Individualisierbarkeit von Produkten. Und genau hier „punktet“ der 3D-Druck. Dank ihm lassen sich Prototypen schnell und zu relativ niedrigen Kosten anfertigen und Verbesserungsideen schnell umsetzen. Darüber hinaus trägt er dazu bei, hohe Startkosten bei der Produktentwicklung und im Werkzeugbau zu vermeiden.

Diese Vorteile lassen sich auch bestens in der EMS-Branche nutzen: Electronic Manufacturing Services bezeichnet die komplette Auftragsfertigung von elektronischen Baugruppen, Geräten und Systemen – von der Entwicklung über die Leiterplattenbestückung bis hin zu Prüfkonzepten und weltweiter Auslieferung. Elektronikdienstleister gehören also eindeutig zu den Profiteuren: Rasch herstellen lassen sich hier beispielsweise Spezialgreifer und multifunktionale Aufsätze für Robotik-Lösungen (etwa für Cobots, die das Prüfen von bestückten Leiterplatten übernehmen). Ebenso lassen sich auch Platinen additiv fertigen: zur Überprüfung der Passform in Gehäusen genauso wie zur Visualisierung und zum Testing von Gehäuse-Prototypen. 

Teurer und langwieriger Spezialwerkzeugbau kann entfallen

Generell beschleunigt die additive Fertigung einen sicheren Entwicklungsprozess für die Serienfertigung und auch bei Einzelanfertigungen – ohne den teuren, klassischen Spezialwerkzeugbau. Ganz konkret bietet sie sich beispielsweise an, um schnell und unkompliziert individuelle Werkzeuge und Aufsätze zu fertigen, zur Überprüfung der Passform in Gehäusen, zur Visualisierung und zum Testen von Gehäuse-Prototypen, aber auch für die Fertigung von Kleinserien. Für die vielen unterschiedlichen Anwendungen stehen diverse 3D-Druck-Technologien bereit, die gängigsten davon sind das SLS (Selective Laser Sintering)-Verfahren, das FDM (Fused Deposition Modeling)-Verfahren und das Stereolithographie-Verfahren.

Die verschiedenen 3D-Druck-Technologien im Vergleich

Welches der Verfahren jeweils angewendet sind, hängt von den Anwendungsgebieten ab:

  • Das Fused Deposition Modelling (Materialextrusion) ist ein 3D-Druck-Fertigungsverfahren, bei dem ein Filament aus festem, thermoplastischem Material durch eine beheizte Extruder-Düse gedrückt wird und dabei schmilzt. Der Drucker legt das Material dann über einen vorgegebenen Pfad auf der Bauplattform ab. Dort kühlt das Filament ab und härtet zu einem Festkörper aus. Übliche Anwendungsbereiche für das FDM-Verfahren sind der Werkzeugbau, Elektronikgehäuse, Form- und Passformüberprüfung sowie Heft- und Spannvorrichtungen.
  • Beim Selective Laser Sintering bringt eine thermische Energiequelle selektiv Pulverpartikel innerhalb des Baubereichs zum Schmelzen und ermöglicht somit die Herstellung des Festkörpers. Dieses Verfahren wird häufig für das Drucken sehr komplexer, funktioneller Teile sowie für komplexe Kabelführung (hohle Designs) und für die Fertigung von Teilen in kleiner Stückzahl verwendet.
  • Das Stereolithographie-Verfahren schließlich wird vor allem für die Erstellung von spritzgussähnlichen Polymer-Prototypen, für Feinguss-Objekte sowie in der Zahntechnik und bei der Hörgeräte-Produktion verwendet. Es handelt sich dabei um ein 3D-Druck-Fertigungsverfahren, bei dem eine Lichtquelle einen Photopolymer-Resin selektiv in einem Behälter aushärtet.

Vorteile von 3D-Druck in der Serienfertigung

Rapid Manufacturing bezeichnet den Einsatz von 3D-Druck in der Serienproduktion, wodurch sich ganz neue technische und wirtschaftliche Möglichkeiten ergeben – etwa bei der kundenspezifischen Individualisierung. Gerade was Kleinserien anbelangt, sorgt die additive Fertigung nicht nur für viel Flexibilität, sondern auch für Kosteneinsparungen gegenüber klassischen Verfahren, wie der Spritzgussfertigung. In der Elektronikbranche wird sie meist für die Herstellung von Gehäusen genutzt. Im Bildbeispiel sind Gehäuseober- und unterschalen eines Handscanners kurz nach dem Druck zu sehen. Diese werden im nächsten Schritt entpulvert und eingefärbt, bevor sie dann in die Endmontage zum Einfügen der Elektronik und zum Endtest kommen.

Rapid Tooling: Ein Roboteraufsatz, in diesem Fall ein Vakuumsauger, entsteht in der Konstruktion und wird dank des 3D-Drucks rasch in der Praxis umgesetzt.

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Agile Produktentwicklung mit 3D-Druck

Beim sogenannten Rapid Prototyping geht es darum, Ideen zu visualisieren und auszuprobieren und das zu verhältnismäßig geringen Kosten. Denn die Entwicklung von neuen Produkten in der Elektronikbranche findet mittlerweile meist agil statt. Das heißt, nach einem Sprint – also einem Abschnitt von circa sechs Wochen – wird anhand eines ersten Prototyps besprochen, was die nächsten Schritte sind. 3D-Druck ermöglicht das schnelle Bauen von Prototypen und macht alle Aspekte einer Lösung praxisnah erlebbar und die Ergebnisse testbar. In der Produktentwicklung ist Rapid Prototyping mittlerweile unverzichtbar, da es nicht nur den Entwicklungsprozess beschleunigt, sondern auch Erkenntnisse und Sicherheit für die Serienfertigung liefert. Bei den abgebildeten Produkten wurde die SLS-Technologie gewählt, um eine hohe Festigkeit umzusetzen und Stützstrukturen zu vermeiden.

Prototypenleiterplatte und -gehäuse in SLS-Technologie. Das SLS-Verfahren wurde gewählt, um eine hohe Festigkeit umzusetzen und Stützstrukturen zu vermeiden.

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Spezial-Tools konstruieren – auch dies gelingt mithilfe von 3D-Druck

Das Rapid Tooling bezeichnet eine Sonderform des Rapid Prototyping: die schnelle und unkomplizierte Konstruktion von Werkzeugen und Aufsätzen. Hier kommen gleich mehrere Vorteile des 3D-Drucks zum Tragen: So lassen sich etwa Einzelanfertigungen ohne teuren klassischen Spezialwerkzeugbau realisieren sowie auch extrem komplexe, individuelle Formen umsetzen. Den Anwendungsbereichen sind also kaum Grenzen gesetzt. Möglichkeiten ergeben sich zum Beispiel in der Endmontage von Produkten: egal ob Halterungen, Spannvorrichtungen, Schablonen, Materialrutschen oder Einpressvorrichtungen. Denn für diese genannten Fertigungshilfsmittel ist der konventionelle Werkzeugbau nicht zwingend notwendig. Ebenso wenig müssen diese stets aus Metall gefertigt sein. Oft lohnt es, sie aus einem Guss zu drucken – dann müssen sie auch nicht aus mehreren Teilen montiert werden.

Lean Production: Prozessoptimierung mit Hilfe von 3D-Druck

Bei der Anwendung von Lean-Methoden werden Arbeitsschritte in der Fertigung analysiert, vereinfacht und standardisiert. Die Herausforderung dabei besteht oft in der Materialzuführung oder auch der Werkzeugbereitstellung. Um Lean Production, also einen schlanken und zeiteffizienten Fertigungsprozess zu erreichen, werden Prozesse kontinuierlich verbessert. Auch hier kann der 3D-Druck dazu beitragen, Optimierungen schnell umzusetzen. Beispiele dafür sind Werkzeughalter, Ordnungssysteme für Staubsaugerzubehör, Mülltütenspender, Kabelhalterungen, Stoppvorrichtung und vieles mehr. Im Gegensatz zum konventionellen Werkzeugbau profitieren Anwender hier von der Möglichkeit, Optimierungspotentiale schnell zu nutzen und praktisch umzusetzen, Ordnung zu schaffen, Zeit einzusparen und Kosten zu senken.

Was die Zukunft bringt – neue Einsatzbereiche für 3D-Druck

Die Herstellung 3D-gedruckter Leiterplatten ist ein ganz neues und sehr spannendes Anwendungsfeld in der Elektronikfertigung. Das Verfahren basiert auf dem Inkjet-Druckverfahren, bei dem Metalle und dielektrische Polymere gleichzeitig auf eine Druckplatte aufgebracht werden. Somit lassen sich mehrlagige Leiterplatten (Multilayer-PCBs) einschließlich Durchgangslöcher (Vias) herstellen. Ein Elektrotechniker, der die nächste Leiterplatte für das nächste Produkt entwirft, muss zunächst herausfinden, wie das Produkt funktionieren soll und welche Komponenten dafür erforderlich sind. Dies geschieht mithilfe einer EDA-Software (Electronic Design Automation). Diese ausgeklügelte Design-Software ermöglicht es, das Design anhand verschiedener Simulationen zu testen, bevor es an den Dritthersteller verschickt wird.

Dank dieses neuen Verfahrens können Elektroingenieure eine physische Platine entwerfen und additiv herstellen. Somit lässt sich sicherstellen, dass diese korrekt ist oder anderenfalls lassen sich Fehler oder Verbesserungsmöglichkeiten schnell identifizieren. Diese Technologie macht es möglich, eine Idee innerhalb eines Tages zu drucken, da keine Leiterplatten-Fertigung durch Dritte nötig ist, was – je nach Komplexität des Designs und der Verfügbarkeiten – mehrere Wochen dauern kann.

Der 3D-Druck und seine Vorteile in Kurzform:

  • · Erhebliche Kostenersparnis gegenüber klassischen Fertigungsverfahren für Spezialwerkzeuge oder bei Kleinserien.
  • · Umfassende Anwendungsmöglichkeiten (Rapid Prototyping, Rapid Tooling und Additive Kleinserienfertigung) mit allen gängigen 3D-Druck-Verfahren.
  • · Schnelle und kostengünstige Realisierung von der Idee zum Modell.
  • · Schnellerer Entwicklungsprozess und mehr Sicherheit für die Serienproduktion.
  • · Individuelle Werkzeugfertigung, auch bei komplexen Geometrien.

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Von Martin Silberkuhl

Martin Silberkuhl ist Bereichsverantwortlicher 3D-Druck bei der TQ-Group in Helling bei München, ein deutschen Elektronikdienstleister sowie Anbieter von eingebetteten Modulen und Systemen, Antriebs- und Automatisierungslösungen. Foto: TQ Group