Durchbruch bei additiv gefertigten Kupferbauteilen
Eine neue Generation von äußerst kompakten Teilchenbeschleunigern soll zahlreiche Aufgaben in der Industrie, aber auch im kommerziellen Bereich neu erschließen. Beteiligt ist auch ein deutsches Forschungsinstitut: Es „druckt“ erstmals Quadrupol-Bauteile für Linearbeschleuniger.

Ansicht eines kompletten Quadrupols in "klassischer Bauweise": Hintereinandergeschaltet, beschleunigen diese Vierer-Elektroden zum Beispiel Protonen auf sehr hohe Geschwindigkeiten.
Foto: CERN
Die neuartigen Teilchenbeschleuniger sollen künftig vieles erschwinglich machen, was vorher aufgrund der hohen Kosten Großkonzernen und -einrichtungen vorbehalten war: Diese elementaren Bauteile sind so kompakt, dass sie zum Beispiel sogar für Labore neue Möglichkeiten erschließen. Sie eignen sich für die Materialanalyse ebenso wie für eine Krebstherapie oder die Drogenfahndung. Um diese Entwicklung zu fördern, setzt das Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS gemeinsam mit der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) in der Schweiz, der lettischen Riga Technology University (RTU) und der Politecnico di Milano (PoliMi) auf laserunterstützte 3D-Drucker. Im „I.FAST“-Projekt, das von der Europäischen Kommission im Programm „Horizont 2020“ mit finanziert wird, ist es nun weltweit erstmalig gelungen, wichtige Quadrupol-Bauteile für Linearbeschleuniger aus reinem Kupferpulver additiv zu fertigen.
Neuartige Perspektiven für Quadrupol-Beschleuniger
Die additive Fertigung eröffnet perspektivisch neue Wege hin zu einer kommerziellen Produktion und zum praktischen Einsatz derartiger Anlagen, die auf dem Prinzip der „High Frequency Radio Frequency Quadrupole“ (HF-RFQ) basieren. Die Forschenden sehen großes Chancen im 3D-Kupferdruck: „Damit können wir die Fertigungszeiten deutlich verkürzen“, prognostiziert Samira Gruber, die am Fraunhofer IWS Expertin ist für die additive Fertigung von Kupfer und Kupferlegierungen. „Möglich wird so beispielsweise ein schneller Prototypenbau. Dies kann die Weiterentwicklung der Beschleunigertechnologie deutlich voranbringen.“ Durch das Fertigungsverfahren lässt sich außerdem Material einsparen und so der Ressourcenverbrauch von Kupfer im Vergleich zu klassischen Verfahren verringern.

Ein hochfrequenter grüner Laser schmilzt im Labor des Fraunhofer IWS Dresden ein Reinkupfer-Pulverbett auf und erzeugt daraus ein Quadrupol-Viertelsegment.
Foto: Christoph Wilsnack/Fraunhofer IWS
Diese Argumente fallen erheblich ins Gewicht, wenn sich diese kompakten Beschleuniger breiter durchsetzen sollen. Denn Hochfrequenz-Quadrupole, die auf einer neuen, am CERN entwickelten Technologie basieren, sind die entscheidenden Bauteile und Taktgeber für eine neue Generation von Anlagen. In den Quadrupolen stehen sich vier abwechselnd gepolte Elektroden gegenüber, die sich um eine zentrale Teilchenflugbahn anordnen. Legt der Nutzer eine Wechselspannung an, bauen sich schnell wechselnde elektrische Felder auf. Diese schicken die Teilchen zwischen den wellig geformten Elektrodenspitzen auf eine Bahn. Mit jeder passierten Elektrode, mit jedem Quadrupol gelangen sie immer näher an die Lichtgeschwindigkeit heran. Anders als die meist riesigen unterirdischen Ringbeschleuniger nehmen die Linearbeschleuniger oft kaum mehr Raum ein als ein „Wohnzimmer“.
Grüner Laser sorgt für Technologiesprung bei der Bauteiloptimierung
Weil die Anlagen im Langzeitbetrieb viel Abwärme erzeugen, bestehen die taktgebenden Quadrupole aus reinem Kupfer. Denn dieses Metall leitet Strom und Wärme besonders gut. Bisher war die Produktion dieser Komponenten allerdings sehr aufwendig: Sie werden aus Halbzeugen in Form gefräst und dann aus sehr vielen Einzelteilen zusammengesetzt. Deshalb haben die Forschenden der beteiligten Institute nun eine Alternative entwickelt. Sie schmelzen dafür mit einem grünen Laser reines Kupferpulver auf. Aus dieser Metallschmelze formen sie dann das Viertelsegment eines Quadrupols. Dabei sparen sie Material überall dort ein, wo es für die Bauteilfestigkeit nicht gebraucht wird. Bei „klassischen“ Metallverarbeitungsverfahren ist diese Bauteiloptimierung sehr aufwendig, an manchen Stellen sogar überhaupt nicht möglich. Nun wird es machbar, deutlich leichtere Quadrupol-Segmente zu erzeugen, die in nur einem Tag fertig aufgebaut sind.
Eine Vergrößerung des Bauraums von Laserschmelzanlagen mit grünem Laser kann demnächst dafür sorgen, dass sich komplette Quadrupol-Segmente per 3D-Druck herstellen lassen. Aber auch mit den jetzt erzeugten Viertelsegmenten sind bereits die nächsten Projektphasen möglich. Zum Beispiel haben die Bauteile aus der additiven Fertigung erfahrungsgemäß raue Oberflächentopologien. Derzeit analysieren die Forschenden am Beispiel von Protoptypen, ob und wie die 3D-Druck-Quadrupole nachträglich geglättet werden – beispielsweise durch eine plasma- oder elektrochemische Politur.
Auf der Projektagenda stehen außerdem Versuche, ob und wie sich kleine Verschleißschäden an Beschleunigern mithilfe additiver Fertigungstechnologien nachträglich reparieren lassen, ohne ganze Bauteile „verschrotten“ zu müssen. Außerdem wird erforscht: Welche anderen Werkstoffe und Bauteile für die additive Fertigung kämen für Beschleuniger sonst noch in Frage?

Gezeigt ist ein fertiges Quadrupol-Viertelsegment, das mit Material sparenden Hohlstrukturen und Kühlkanälen ausgestattet ist.
Foto: Christoph Wilsnack/Fraunhofer IWS
Viele Einsätze denkbar – EU fördert Projekt mit zehn Millionen Euro
Hintergrund: Die Linearbeschleuniger sind nicht nur für Teilchenphysiker interessant. Auf dem Gebiet der Medizintechnik lassen sie sich für die Protonentherapie gegen Tumore einsetzen, außerdem für die Herstellung medizinischer Isotope. Am CERN werden noch viele weitere Anwendungen für die Quadrupol-Beschleuniger erforscht – einschließlich der Materialanalyse. Eines der Ziele liegt im Bereich Kunst: Meisterwerke ließen sich u.a. auf Echtheit untersuchen.
Beschleuniger bieten erhebliche Marktchancen. Momentan sind weltweit etwa 30.000 davon im Einsatz, schätzten die kalifornischen Branchenexperten Robert Hamm und Marianne E. Hamm in ihrer Analyse „Industrial Accelerators and Their Applications“ aus dem Jahr 2012. Mit diesen Anlagen fertigen und analysieren demnach Unternehmen und Institute rund um den Erdball industrielle Waren im Wert von 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Das Projekt I.FAST zielt darauf ab, die Innovationen in der „Gemeinschaft der Teilchenbeschleuniger“ zu fördern. In Anbetracht des großen Potenzials neuer Beschleunigertechnologien unterstützt die Europäische Kommission das Projekt im Rahmen ihres Programms Horizont 2020 mit insgesamt zehn Millionen Euro. An dem Projekt sind 49 Partner beteiligt, darunter 17 Industrieunternehmen als Co-Innovationspartner. Die additive Fertigung von Quadrupolen ist eines der Teilprojekte.
Breites Technologiespektrum auf der Formnext
Das Fraunhofer IWS wird seine Entwicklungen auch auf der Messe „Formnext“ in Frankfurt/Main vorstellen (Fraunhofer-Gemeinschaftsstand). Als führende Branchenplattform für additive Fertigung und industriellen 3D-Druck versteht sich die Formnext als internationaler Meetingpoint für die „nächste Generation der intelligenten industriellen Produktion“. Zahlreiche Mitgliedsinstitute des Fraunhofer-Kompetenzfelds Additive Fertigung präsentieren ihre neuesten Forschungsergebnisse dort vom 16. bis zum 19. November 2021. Sie überzeugen mit Anwendungsvielfalt in der Luft- und Raumfahrt, der Biomedizintechnik, im Automobilbau und der Energietechnik. Ein weiterer Schwerpunkt – neben den Kupferbauteilen – sind filigrane Strukturen und programmierbare Materialien mit außergewöhnlichen Eigenschaften: So kann beispielsweise das Verformungsverhalten von Komponenten anforderungsgerecht gestaltet und variiert werden. Das funktioniert während der elastischen Verformung mit einer veränderlichen Steifigkeit oder durch Querausdehnungseffekte auxetischer Materialien. Weitere Exponate veranschaulichen den industriellen 3D-Druck mit Keramik und Hartmetallen. Die Exponate sind in Halle 12.0, Stand D41 zu finden.
Das könnte Sie auch interessieren:
Additive Fertigung in der Automobilindustrie
Neue Prozesskette sorgt für Tempo: Großbauteile per 3D-Druck